EiÜ 18-19
Staatsanwaltschaft nicht unabhängig genug für Europäischen Haftbefehl! – EuGH
Die deutsche Staatsanwaltschaft ist nicht unabhängig genug, um einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen. Diese Auffassung vertritt Generalanwalt Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen vom 30. April 2019 in den verbundenen Rechtssachen C‑508/18 und C‑82/19 PPU sowie C‑509/18. In den zugrundeliegenden Vorabentscheidungsersuchen aus Irland hatten die Staatsanwaltschaften aus Lübeck und Zwickau sowie die Generalstaatsanwaltschaft Litauens Europäische Haftbefehle in verschiedenen Strafverfahren erlassen. Der Generalanwalt führt aus, dass der Begriff „Justizbehörde“ in Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI nicht die Einrichtung der Staatsanwaltschaft umfasst. Sánchez-Bordona hält den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit sowie den durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der EU verbürgten effektiven gerichtlichen Rechtsschutz für die entscheidenden Kriterien zur Bestimmung des Begriffs „Justizbehörde“. Es sei widersinnig, wenn die Staatsanwaltschaft nicht die weniger einschneidende Maßnahme – die Ausstellung eines kurzzeitig wirkenden nationalen Haftbefehls –, wohl aber die einschneidendere Maßnahme – die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls, der zu einer weitaus längeren Freiheitsentziehung führen kann, – treffen könne. Da die deutsche Regierung offen eingeräumt habe, dass die Staatsanwaltschaft, auch wenn dies in der Praxis nur im Ausnahmefall geschehe, von der Exekutive Hinweise und Weisungen erhalten könne, reiche dies allein aus, um auszuschließen, dass ihr richterliche Unabhängigkeit zukomme.
Vertrauen in Unabhängigkeit der Justiz im Wanken – KOM
Die Qualität und Effizienz der Justizsysteme in der EU hat sich verbessert, aber das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz nimmt ab. Das sind die zentralen Ergebnisse im EU-Justizbarometer 2019 (Daten von 2017), das die EU-Kommission am 26. April 2019 veröffentlicht hat (s. Pressemitteilung). So wird in drei Fünfteln der EU-Mitgliedsstaaten die Unabhängigkeit der Justiz schlechter beurteilt als im Vorjahr, darunter auch Deutschland. Grundsätzlich bleibt das Vertrauen in Deutschland aber hoch: 74% bewerten die Unabhängigkeit der Justiz als gut oder sehr gut, der sechsbeste Wert in der EU. Die EU-Kommission hat dieses Mal auch einige Kriterien zur strukturellen Unabhängigkeit der Justiz aufgenommen, u.a. eine Übersicht zu Disziplinarregeln für Richter und Verfahrensgarantien um die politische Kontrolle der Justiz zu verhindern. Hinsichtlich der Effizienz der Justizsysteme geht aus dem Bericht hervor, dass die durchschnittliche Verfahrensdauer in erster Instanz seit 2010 klar zurückgegangen ist. In Deutschland allerdings ist die Verfahrensdauer in erstinstanzlichen Zivil- und Handelsverfahren zwischen 2010 und 2017 leicht angestiegen und liegt mit 204 Tagen im europäischen Mittelfeld. Bei der Qualität der Justizsysteme sieht die EU-Kommission positive Entwicklungen in Bezug auf die Bürgerfreundlichkeit durch einen verbesserten Online-Zugang zu Gerichtsurteilen. Verglichen wird auch die Anzahl an Anwälten pro 100.000 Einwohner – Deutschland liegt hier mit 200 Anwälten an zehnter Stelle im EU-Vergleich.
CETA-Streitbeilegungsmechanismus mit Unionsrecht vereinbar – EuGH
Der im Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) vorgesehene Streitbeilegungsmechanismus, durch welchen Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten vor einem eigenen Schiedsgericht verhandelt werden sollen, ist mit dem Unionsrecht vereinbar. So stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 30. April 2019 auf Ersuchen Belgiens in der Gutachtensache 1/17 fest, dass eine solche Übereinkunft grundsätzlich zulässig ist und nicht gegen europäisches Primärrecht verstößt. Damit folgt er den Schlussanträgen des Generalanwalts Bot vom 29. Januar 2019 (s. EiÜ 5/19). Das Unionsrecht stehe dem EuGH zufolge auch der Gründung eines multilateralen Investitionsgerichtes grundsätzlich nicht entgegen, solange dieses lediglich die Vorschriften des Abkommens selbst behandle. Damit seien die Bedenken Belgiens bezüglich der Autonomie der Rechtsordnung der Union unbegründet. Auch in Bezug auf die Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Gebot der Wirksamkeit sowie die Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht sieht der EuGH keine Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht.
Rechtsanwälte nicht als Kreditdienstleister definiert – EP/Rat
Sowohl der Rat als auch das EU-Parlament haben Fortschritte in der Befassung mit dem Richtlinienentwurf über Kreditdienstleister, Kreditkäufer und die Verwertung von Sicherheiten COM(2018) 135 erzielt. Der Rat hat hierzu am 26. März 2019 seine allgemeine Ausrichtung angenommen. Diese sieht u.a. in Art. 2 Abs. 4a vor, dass Mitgliedsstaaten die Schuldendienstverwaltung der Ansprüche eines Kreditgebers im Rahmen eines Kreditvertrags oder bei einem Kreditvertrag selbst durch einen Anwalt vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausnehmen können. Der DAV hatte in seiner Stellungnahme Nr. 52/2018 kritisiert, dass die Definition von „Kreditdienstleistern“ so weit gefasst ist, dass darunter auch anwaltliche Rechtsdienstleistungen in einem nennenswerten Kernbereich fallen würden (s. EiÜ 39/18). Hier erfolgt somit eine begrüßenswerte Klarstellung. Der Berichtsentwurf und die Änderungsanträge im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des EU-Parlaments gehen in eine ähnliche Richtung: In AM 61 wird eine quasi identische Änderung zur allgemeinen Ausrichtung vorgeschlagen und in AM 292 eine explizite Ausnahme für Anwälte vom Anwendungsbereich in der Definition „Kreditdienstleister“ vorgesehen. Zudem sehen sowohl der Rat als auch das EU-Parlament die Streichung des umstrittenen AECE-Verfahrens (Vereinbarung zur beschleunigten Sicherheitenverwertung durch freihändigen Verkauf oder öffentliche Versteigerung) vor. Das Verfahren muss nun in der nächsten Legislaturperiode wieder aufgegriffen werden.
Zukunft der EU: Strategische Ausrichtungen für 2019-2024 – KOM
Angesichts des bevorstehenden Endes der Legislaturperiode zieht die EU-Kommission Bilanz der vergangen fünf Jahre und schlägt strategische Prioritäten für das nächste Mandat von 2019 bis 2024 vor. Dazu hat sie am 30. April 2019 eine Mitteilung veröffentlicht (s. Pressemitteilung). Insgesamt zieht die EU-Kommission eine positive Bilanz der wirtschaftlichen Entwicklung und legislativen Ergebnisse während ihres Mandats. Konkret hebt sie dabei 20 wichtige Errungenschaften wie etwa die DSGVO und die Europäische Staatsanwaltschaft hervor, nennt aber auch zehn Schlüsseldossiers, bei denen eine Einigung noch aussteht, wie die Vorschläge zu E-evidence und e-Privacy sowie die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Aufbauend auf der Debatte zur Zukunft Europas werden daraufhin fünf strategische Prioritäten für die nächste Legislaturperiode vorgeschlagen: Ein schützendes Europa, mit einer Vervollständigung der Sicherheitsunion, ein wettbewerbsfähiges Europa durch die Vollendung des Binnenmarkts, ein faires Europa in Bezug auf soziale Inklusion und Gleichstellung, ein nachhaltiges Europa sowie ein einflussreiches Europa auf internationaler Ebene. Die Mitteilung befasst sich außerdem damit, wie eine effektivere Kommunikation über die Erfolge und Vorteile der EU in Zeiten von Desinformation und Fragmentierung aussehen kann. Der Beitrag der EU-Kommission dient als Diskussionsgrundlage für das anstehende Treffen der Staats- und Regierungschefs am 9. Mai 2019 in Sibiu, Rumänien.