EiÜ 34/19
Prioritäten der designierten Kommissare für Justiz und Binnenmarkt – EP
In seiner Anhörung vor dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments sagte der designierte Kommissar für Justiz, Didier Reynders, dass er in seinem ersten Jahr einen einsatzbereiten Rechtsstaatlichkeitsmechanismus unter Einbeziehung des Parlaments und Rat vorschlagen werde, der für alle Mitgliedsstaaten gelte. Als weitere Prioritäten nannte er eine mögliche Überprüfung des Europäischen Haftbefehls, die uneingeschränkte Unterstützung bei der Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, sowie die rasche Annahme der Richtlinie über Verbandsklagen. Reynders erklärte, dass es eine der ersten Aufgaben der Kommission sein werde, für einen ausgewogenen Ansatz beim Datenschutz, unter Gewährleistung der Privatsphäre und Vertraulichkeit für verschiedene Akteure zu sorgen. Die designierte Binnenmarktkommissarin Sylvie Goulard bekräftige in ihrer Anhörung vor dem Ausschuss für Binnenmarkt und Verbrauchschutz sowie dem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie, wie wichtig die Vollendung des Binnenmarkts sei - sowohl für den Dienstleistungssektor als auch für die Industrie. Sie kündigte ein neues Gesetz zu digitalen Dienstleistungen an, das die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit berücksichtigen werde. Frau Goulard sprach auch die mangelnde Steuergerechtigkeit in den Mitgliedstaaten sowie die Notwendigkeit eines fairen Mindestlohns in der EU an. Zudem müsse die digitale Wende forciert werden. Ihr Hauptaugenmerk legte Goulard insoweit auf künstliche Intelligenz, G5-Nutzung und Cybersicherheit.
Stärkung der Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren – KOM
Beschuldigte in Strafverfahren werden oft nicht ausreichend über ihre Rechte informiert und haben keinen angemessenen Zugang zum Recht. Das befand die European Union Agency for Fundamental Rights (FRA) in ihrem von der Kommission beauftragten Bericht (nur in englischer Sprache) in Ergänzung zu der Auswertung der Kommission zur Frage, wie die Mitgliedsstaaten die Richtlinie 2013/48/EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand umgesetzt haben. FRA hat mehr als 250 Beschuldigte und Angehörige der Rechtsberufe in acht Mitgliedsstaaten befragt. Danach ist eine einheitliche Art der Belehrung in mündlicher und schriftlicher Weise, die Mitteilung der erhobenen Anschuldigungen, die unmittelbare Gewährung eines Rechtsbeistandes und die Behandlung als Verdächtiger und nicht als Zeuge oder mittels informeller Befragung erforderlich. Im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl sollten die Mitgliedsstaaten Übersetzungs- und Dolmetschdienste zur Verfügung stellen, damit die Beschuldigten die Konsequenzen und Bedeutung nachvollziehen können. Beschuldigte haben häufig Probleme, in beiden Ländern eine rechtliche Vertretung zu erhalten. Die Behörden des Landes, das den Haftbefehl vollstreckt, sollten die Beschuldigten unterstützen, damit ihnen in dem Land, das den Haftbefehl erlassen hat, das Recht auf Rechtsbeistand gewährt wird.
Aktive Einwilligung zum Setzen von Cookies erforderlich – EuGH
Der EuGH urteilte am 1. Oktober 2019 C-673/17, dass für das Setzen von Cookies die aktive Einwilligung des Internetnutzers erforderlich ist. In dem vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fall hatte die Planet 49 GmbH im Jahr 2013 ein Online-Gewinnspiel veranstaltet, wobei für die Zustimmung zur Nutzung von Cookies ein Ankreuzkästchen verwendet wurde, welches bereits ein voreingestelltes Häkchen enthielt. Hiergegen war der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. vorgegangen. Laut EuGH sehen Art. 2 lit. f und Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2002/58/EG i.V.m. Art. 2 Buchst. h der Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG bzw. Art. 4 Nr. 11 und Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO eine „eindeutige bestätigende Handlung“ vor. Außerdem muss der Dienstanbieter gegenüber dem Nutzer hinsichtlich der Cookies u. a. Angaben zur Funktionsdauer und zur Zugriffsmöglichkeit Dritter machen. Ob es sich bei den sich bei den im Endgerät des Nutzers einer Website gespeicherten oder abgerufenen Informationen um personenbezogene Daten handele oder nicht, ist hingegen egal.
Weltweite Löschpflicht von Hassposts für Facebook & Co – EuGH
Wer auf Facebook oder anderen Online-Portalen beleidigt wird, kann nicht nur die Löschung dieser Formulierungen auf Facebook verlangen. Ein Gericht kann dem Hosting-Anbieter auch aufgeben, wortgleiche Formulierungen wie die Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind, zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren. Dies entschied der EuGH entschied am 3. Oktober 2019 in der Rs. C-18/18 im Falle einer Klage der früheren Chefin der österreichischen Grünen, Eva Glawischnig-Piesczek gegen Facebook und legte dabei insb. den Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr aus (vgl. EiÜ 24/19 zu den SA). Ebenfalls darf das Gericht im Rahmen des einschlägigen internationalen Rechts dem Hosting-Anbieter aufgeben, weltweit die von der Verfügung betroffenen Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren. Sogar bezüglich sinngleichen Formulierungen besteht eine Löschpflicht, wenn diese anhand „automatisierter Techniken und Mittel zur Nachforschung" erkannt und herausgefiltert werden können, also nur geringfügig variieren.
Umwandlung der Kredite in Verbrauchervertrag – EuGH
In Verbraucherdarlehensverträgen, die in Polen geschlossen wurden und an eine Fremdwährung gekoppelt sind, dürfen missbräuchliche Klauseln über die Wechselkursdifferenz nicht durch Bestimmungen des polnischen Zivilrechts ersetzt werden. Dies entschied der EuGH in seinem Urteil vom 3. Oktober 2019 in der Rs. C-260/18. Im konkreten Fall schlossen polnische Eheleute mit einer Bank einen Darlehensvertrag. Darin profitierten sie von einem gegenüber dem polnischen Zloty (PLN) niedrigeren, an den Schweizer Franken (CHF) gekoppelten, Zinssatz. Die Eheleute machten unter Berufung auf die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen die Unwirksamkeit des Darlehensvertrags und zugleich die Zugrundelegung des günstigeren, an den CHF gekoppelten Zinses geltend. Der EuGH entschied, dass nach der Richtlinie ein Vertrag im Übrigen wirksam bleibt, sofern er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann und ein solcher Fortbestand des Vertrags innerstaatlich rechtlich möglich ist. Nach dem polnischen Recht sei eine Änderung des Vertrags offenkundig rechtlich unmöglich. Damit stehe die Richtlinie hier der Unwirksamkeit des Vertrags nicht entgegen. Begehre der Verbraucher jedoch wie vorliegend die Abwendung nachteiliger Rechtsfolgen, die sich aus der Unwirksamkeit eines Vertrags ergeben, müsse er hiervor geschützt werden.
Verstoß gegen Gebot richterlicher Unabhängigkeit heilbar – EGMR
Der NPD-Politiker Pastörs ist mit seiner Klage vor dem EGMR gescheitert. Pastörs hatte 2010 im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern die Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus als „gute Idee“ bezeichnet. Das AG Schwerin verurteilte ihn wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Verleumdung. Pastörs scheiterte mit Rechtsmitteln vor dem LG Schwerin und dem OLG Rostock. Neben der Verletzung der Meinungsfreiheit beanstandete er auch die Besetzung des OLG-Senats dahingehend, dass einer der OLG-Richter der Ehemann der Richterin am erstinstanzlich entscheidenden AG sei. Ein neu gebildeter OLG-Senat aus bisher nicht mit dem Verfahren befassten Richtern lehnte den Befangenheitsantrag ab. Der EGMR wies die Klage Pastörs nun in der Entscheidung Nr. 55225/14 am 3. Oktober 2019 ab. Das Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 10 EMRK sei nicht verletzt worden. Die Rede sei im Kontext der besonderen moralischen Verantwortung Deutschlands zu betrachten und mit der EMRK nicht vereinbar. Auch werde das Recht auf ein angemessenes Verfahren aus Art. 6 I EMRK gewahrt. Zwar sei eine Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit auch bei verheirateten Richtern denkbar, die in derselben Sache in unterschiedlichen Instanzen entscheiden. Eine mögliche Verletzung der Konvention werde aber jedenfalls durch die zweite OLG-Entscheidung geheilt.