Anlässlich des „Tag des bedrohten und verfolgten Anwalts“ richtet sich der Blick des Deutschen Anwaltvereins insbesondere auf die Türkei. Im Vorfeld des am 24. Januar 2017 begangenen Tages ist eine vierköpfige Delegation des Deutschen Anwaltvereins für drei Tage in die Türkei gereist. Begleitet wurde sie von zehn Vertretern der Presse, die zum Teil als Korrespondenten selbst in Athen oder Istanbul tätig sind.
Die Türkei ist in zwei unversöhnliche Lager gespalten. Von einem rechtsstaatlichen Justizsystem kann nicht mehr gesprochen werden. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind insbesondere in der Strafverteidigung in ihrer Arbeit erheblich eingeschränkt. Die Wahrung des Anwaltsgeheimnisses und des vertraulichen Gesprächs zwischen Anwalt und Mandant gibt es nicht. Dies bestätigte auch ein Gespräch mit mehreren unterdrückten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, unter anderem mit der vom CCBE mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichneten Rechtsanwältin Ayşe Acinikli.
Auch der Besuch in der Hauptstadtredaktion der letzten freien Zeitung Cumhuriyet bestätigte die größten Sorgen. Hierzu der DAV-Präsident: „Wir sorgen uns sehr um die Unabhängigkeit der Justiz und die Pressefreiheit in der Türkei.“
Solidarität mit türkischer Anwaltschaft
Motivation zur Reise war es, die Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen in der Türkei zu signalisieren. Bei einem ersten Gespräch mit den Vertretern der türkischen Anwaltskammer wurde dies auch sehr dankbar aufgenommen. Die Kolleginnen und Kollegen berichteten vor Ort von der schwierigen Situation der Anwaltschaft im Hinblick auf den Zugang zu ihren Mandanten. Von einer freien Judikatur könne man nicht mehr sprechen, bestätigte Rechtsanwalt Prof. Dr. Metin Feyzioglu, Präsident der türkischen Anwaltskammer. Er berichtete auch darüber, dass Inhaftierte zunächst einmal für fünf Tage keinen Zugang zu einer Rechtsanwältinnen oder einem Rechtsanwalt haben. Und wenn der Zugang existiert, sei dieser nicht frei und nicht vertraulich. Anwältinnen und Anwälte hätten nur einmal pro Woche die Gelegenheit, für eine Stunde mit inhaftierten Mandanten zu sprechen. Dokumente dürfen nicht ausgetauscht und sich auch zum Teil keine Notizen gemacht werden. Die Berichte der repressierten Anwältinnen und Anwälte bestätigten auch, dass die Gespräche nicht vertraulich stattfinden können. Es wurde berichtet von Videoaufzeichnungen, Tonaufzeichnungen und von dem Beisein von Überwachern, die in bestimmten Situationen auch in die Gespräche unmittelbar eingreifen. Keiner der Vertreter der Anwaltschaft konnte darüber berichten, dass er unbeobachtet bzw. unüberwacht mit seinen Mandanten in den Haftanstalten sprechen konnte.
Treffen mit unterdrückten Anwälten und Angehörigen inhaftierter Anwälte
Als besonders schwierig auch in der Verteidigung stellt sich heraus, dass die Betroffenen viele Wochen darauf warten müssen, um überhaupt den Vorwurf und damit den Haftgrund zu erfahren. Dies macht eine anwaltliche Vertretung nahezu unmöglich. Auch bestätigten die Ehefrau des Herausgebers der Zeitung Cumhuriyet und die Ehefrau des Anwaltes und Justiziars dieser letzten freien Zeitung, dass sie bis heute nicht den Grund für die Inhaftierung ihrer Männer kennen.
Journalisten und Anwälte in besonderem Fokus
Neben der Anwaltschaft sind in besonderem Fokus auch die Journalisten. Neben der Schließung sämtlicher freier Medien, bis auf die Cumhuriyet, werden beide Berufsgruppen in der Ausübung ihres Berufes gehindert, bedroht und im schlimmsten Fall inhaftiert. Aus diesem Grund besuchte die DAV-Delegation auch die Hauptstadtredaktion der Cumhuriyet. Der
Leiter des Büros bestätigte die schwierige Situation der Anwaltschaft und der Presse. Mehrere Redakteure und Mitarbeiter der Zeitung seien in Haft. Anwaltliche Vertretung sei aus den genannten Gründen äußerst schwierig möglich. Leser der Zeitung könnten kaum in der Öffentlichkeit mit dieser herumlaufen. Anzeigen würden nahezu gar nicht mehr geschaltet. Am Tag des Besuches waren in der 18-seitigen Ausgabe lediglich zwei Anzeigen international tätiger Firmen. Dies wirke sich auch auf die wirtschaftliche Situation der Zeitung aus.
Gespräche mit Vertretern der Regierungspartei AKP und der Oppositionspartei CHP
Die Sorge über die Situation der Justiz und insbesondere der Anwaltschaft konnte der DAV-Präsident auch gegenüber dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses des türkischen Parlaments Ahmet Iyimaya und dem Vorsitzenden des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments Mustafa Yeneroğlu äußern. Letztlich bestätigten dann aber auch die Abgeordneten der größten Oppositionspartei CHP den Eindruck des DAV, dass die Türkei tief gespalten ist. Der DAV, der auch Prozessbeobachter in dem sogenannten KCK-Verfahren gegen Anwälte ist, sieht auch dem Referendum über die Verfassungsänderung in der Türkei hin zu einem mit extremer Machtfülle ausgestatteten Präsidialsystem mit allergrößter Sorge entgegen.
Zur Situation der Präsident des Deutschen Anwaltvereins Rechtsanwalt und Notar Ulrich Schellenberg: „Wenn unter anderem Anwälte, Oppositionspolitiker und Journalisten verhaftet werden, weil sie ihrer Arbeit nachgehen, ist dies schlicht entsetzlich.“