Europa im Überblick, 06/2021

EiÜ 06/2021

Frontex-Files: Zugang zum Recht muss immer gewahrt sein – CCBE/DAV

Die deutsche Präsidentin des Rats der Europäischen Anwaltschaften (CCBE), Rechtsanwältin Dr. Margarete Gräfin von Galen, setzte sich in ihrer Rede auf der virtuellen 49. Europäischen Präsidentenkonferenz der Rechtsanwaltsorganisationen dafür ein, dass ein effektiver Zugang zum Recht auch an Europas Außengrenzen gewahrt sein muss (vgl. DAV-Pressemitteilung Nr. 07/21). Dies ist auch die Position des DAV, der in seiner Stellungnahme Nr. 08/2021 zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems dargelegt hat, dass die Vorschläge bezüglich der vorgesehenen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel insgesamt unzureichend sind, um den Erfordernissen an effektiven Rechtsschutz zu genügen. Hintergrund sind die kürzlich veröffentlichten Frontex-Files, die schwere Vorwürfe gegen die europäische Grenzschutzagentur Frontex erheben. Insbesondere steht Frontex unter Verdacht, durch rechtswidrige Pushbacks an Europas Außengrenzen gegen die Menschenrechte zu verstoßen. Dr. Gräfin von Galen betonte in ihrer Rede, dass die Aktivitäten von Frontex in keinem rechtlichen Vakuum stattfinden dürfen, sondern gerichtlich überprüfbar sein müssen, um den Betroffenen effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen. Solange die EU nicht der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten ist, ist der Zugang zum Recht im Zusammenhang mit den Frontex-Files weiterhin in Gefahr. Deswegen wollen der CCBE und der DAV die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und dem Europarat, die im vergangenen Jahr wieder aufgenommen wurden, weiterhin unterstützend begleiten.

Deutschland hat 4. Geldwäscherichtlinie unvollständig umgesetzt – KOM

Die Kommission hat im Februar 2021 gegen Deutschland rechtliche Schritte eingeleitet, da Deutschland seine Verpflichtung zur Umsetzung von EU-Recht nicht nachgekommen ist. Die Umsetzungsfrist für die  4. Geldwäscherichtlinie 2015/849 ist bereits im Juni 2017 abgelaufen. Deutschland hat Maßnahmen, die die Umsetzung der Richtlinie betreffen zwar mitgeteilt, die Kommission hat allerdings nach Prüfung der mitgeteilten Umsetzungsmaßnahmen festgestellt, dass mehrere Bestimmungen der Richtlinie nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden sind. Dies betrifft beispielsweise den ordnungsgemäßen Informationsaustausch zwischen den zentralen Meldestellen (FIU), die Sorgfaltspflichten bei der Feststellung der Kundenidentität (KYC-Prinzip), eine angemessene Zusammenarbeit zwischen den FIU und die Transparenz der zentralen Register wirtschaftlicher Eigentümer. Neben Deutschland müssen nun Portugal und Rumänien innerhalb von zwei Monaten auf die Ergebnisse der Kommission antworten und die Umsetzungsmaßnahmen begründen. Sollte die Kommission weiterhin Mängel bei der Umsetzung feststellen, kann sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln.

Europäischer Haftbefehl in Deutschland nicht korrekt umgesetzt – KOM

Die Kommission hat am 18. Februar 2021 ein Aufforderungsschreiben an Deutschland verschickt, da Probleme bei der Umsetzung des Rahmen­be­schlusses 2002/584/JI über den Europäischen Haftbefehl (EHB) bestehen (siehe Pressemitteilung). Die Begründung ist u.a., dass deutsche Staatsangehörige im Vergleich zu Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten bevorzugt behandelt würden. Weiterhin würden zusätzliche Gründe für die Ablehnung von EHBs eingeführt, die nicht im Rahmenbeschluss aufgeführt sind. Schon in der Vergangenheit war die Umsetzung des EHB in Deutschland in der Kritik. In seinem Urteil vom 27. Mai 2019 entschied der EuGH (verbundene Rs. C-508/18 und C-82/19, vgl. EiÜ 18/19, 22/19), dass die deutsche Staats­an­walt­schaft nicht unabhängig genug ist, um einen EHB auszustellen.

Ungarisches NGO-Gesetz widerspricht weiterhin EU-Recht  – KOM

Die Kommission hat am 18. Februar 2021 ein erneutes Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Hintergrund ist ein EuGH-Urteil vom 18. Juni 2020 (Rs. C-78/18), das das ungarische NGO-Gesetz aus dem Jahr 2017 für europarechtswidrig erklärte (vgl. EiÜ 23/20). Trotzdem habe sich Ungarn seitdem nicht um eine Verbesserung der Lage bemüht. Aus der Sicht der EU-Kommission ist die Offenlegungs­pflicht und Auflagen für Vereine und Verbände, die finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland erhalten, u.a. nicht vereinbar mit dem Datenschutz (Art. 8 GRCh) und dem freien Kapitalverkehr (Art. 63 AEUV) innerhalb der EU. Mit der offiziellen Einleitung eines erneuten Vertragsverletzungsverfahrens hat Ungarn nun zwei Monate Zeit, um Stellung zu beziehen.

Whistleblower müssen ihren Verdacht überprüfen – EGMR

Am 16. Februar 2021 entschied der EGMR in seinem Urteil Nr. 23922/19 (in Englisch), dass das Recht von Whistleblowern auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK bei fehlender Nachprüfung der vorgebrachten Vorwürfe eingeschränkt werden kann. Ein deutscher Arzt wurde nach Äußerung des Verdachts von Euthanasie in einem liechtensteinischen Krankenhaus, in welchem der Arzt zu dieser Zeit beschäftigt war, fristlos entlassen und strafrechtlich angezeigt. Anstelle das interne Beschwerdesystem des Krankenhauses zu durchlaufen, hatte er seine Vorwürfe an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet und damit viel Medienaufmerksamkeit hervorgerufen. Der EGMR bestätigte, dass die Meinungsfreiheit grundsätzlich auch Whistleblower im Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber schützt. Das Gericht befand aber eine verhältnismäßige Einschränkung der Meinungsfreiheit, da der Arzt an die Öffentlichkeit ohne vorherige Überprüfung seines offensichtlich unbegründeten Verdachtes ging. Die sorgfältige Prüfung seiner Informationen auf Zuverlässigkeit wären möglich und angemessen gewesen, um einen unberechtigten Schaden am Ruf von Krankenhaus und Mitarbeitern zu vermeiden.

Befangenheit eines Richters bei Vorbefassung möglich – EGMR

Ein Richter kann unter bestimmten Voraussetzungen als befangen gelten, wenn er in Bezug auf die gleiche Tat bereits in einem anderen Strafverfahren mitgewirkt hat. Dies entschied der EGMR in seinem Urteil Nr. 1128/17 vom 16. Februar 2021 und stellte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK fest. Die Antragstellerin wurde vom Landgericht Darmstadt wegen gemeinschaftlichen Mordes an ihrem Ehemann verurteilt. In diesem Verfahren wurde auch ein Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter gestellt mit der Begründung, dass dieser in dem zeitlich vorgelagerten Verfahren gegen den Mittäter bereits als Berichterstatter mitgewirkt hatte. Eine hierauf gestützte Revision wies der BGH zurück. Grundsätzlich befand der EGMR, dass eine Vorbefassung mit der gleichen Tat an sich nicht ausreicht, um objektive Gründe für eine Gefahr der Befangenheit zu begründen. Dies gelte allerdings nicht, wenn im ersten Urteil bereits eine genaue Beschreibung der Tatbeteiligung hinsichtlich der hier später verurteilten Antragstellerin erfolgte. Im vorliegenden Fall enthielt das Urteil gegen den Mittäter detaillierte Ausführungen zur Tatbeteiligung der Antragstellerin, sodass der EGMR hier eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren bejahte.

Ist deutsches Asylrecht zum subsidiären Schutz EU-rechtswidrig? – EuGH

Der Generalanwalt Pikamäe vertrat in seinen Schlussanträgen vom 11. Februar 2021 in der Rs. C-901/19, dass die Voraussetzung einer Mindestanzahl von zivilen Opfern allein nicht genüge, um den Schutz von Asylbewerbern abzulehnen. Stattdessen müsse die Gewährung von subsidiärem Schutz auf Grundlage einer qualitativen und quantitativen Gesamtwürdigung aller relevanter Tatsachen erfolgen. In der Sache ging es um die Anträge zweier afghanischer Staatsangehöriger auf subsidiären Schutz nach der Richtlinie 2011/95/EU, die zuvor von den deutschen Behörden abgelehnt worden waren. Die Schluss­anträge des General­anwalts sind für den EuGH nicht bindend.

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