Europa im Überblick, 08/2021

EiÜ 08/2021

EU schlägt verbindliche Maßnahmen zur Lohntransparenz vor – KOM

Die EU-Kommission hat am 4. März 2021 einen Richtlinienvorschlag zum Gender Pay Gap mit dem Titel „Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ veröffentlicht. Mit dem vorgelegten Vorschlag sollen Arbeitgeber künftig zu mehr Lohntransparenz verpflichtet und der Zugang zur Justiz für Opfer von Lohndiskriminierung verbessert werden. Er enthält Maßnahmen zur Lohntransparenz, darunter Angaben zum Entgelt für Arbeitsuchende, das Recht auf Informationen über das Einkommen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die gleiche Arbeit verrichten, sowie Berichterstattungspflichten im Hinblick auf geschlechtsspezifisches Lohngefälle für große Unternehmen, ab mindestens 250 Beschäftigten. Die Umsetzungsfrist in nationales Recht, wenn die Richtlinie einmal angenommen ist, beträgt zwei Jahre. Nun beginnt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren.

DAV-Webinar: Equal Pay Day - Entgelttransparenz im Fokus – DAV

Der Deutsche Anwaltverein und der Berliner Anwaltsverein laden herzlich zur Online Veranstaltung „Equal Pay Day, Entgelttransparenzgesetz und die europäischen Maßnahmen“ am 10. März 2021,18.00 bis 20.00 Uhr ein. Anmeldungen sind bis zum 9. März 2021 unter ak-arbeit@berliner-anwaltsverein.de möglich. Die Teilnahme ist kostenlos und es handelt sich um eine Fortbildungsveranstaltung gem. § 15 FAO im Bereich Arbeitsrecht. Bundesjustizministerin Lambrecht wird das Grußwort halten und Rechtsanwältin Chris Ambrosi referiert zum Thema: „Das Entgelttransparenzgesetz im Lichte der neuesten Entscheidungen des BAG: Bekommt der ‚Papiertiger‘ nun Zähne?" Über die neuesten Maßnahmen der EU zum Thema Equal Pay und dem Gesetzesvorschlag zur Beseitigung des Gender Pay Gap berichtet Evelyn Regner, MEP und Vorsitzende im Ausschuss für Frauenrechte und Gleichstellung im EU-Parlament. Die Veranstaltung wird durch Rechtsanwältin Ulrike Silbermann, stellvertretende Vorsitzende des geschäftsführenden Ausschusses der ARGE Anwältinnen im DAV, moderiert. Weitere Details können über die Webseite des Berliner Anwaltsvereins entnommen werden.

Berufsgeheimnisschutz: Flächendeckendes Scannen von Online-Inhalten EP

In der Aussprache des Innenausschusses des EU-Parlaments (LIBE) am 1. März 2021 äußerten sich Abgeordnete kritisch über den Verordnungsvorschlag zwecks Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet der Kommission als vorübergehende Ausnahme zur E-Privacy-Richtlinie 2002/58. Dieser würde es Online-Kommunikationsdiensten erlauben, flächendeckend und verdachtsunabhängig Inhalte mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz zu scannen und dabei auch vertrauliche Kommunikation zwischen Anwalt und Mandat bzw. anderen Berufsgeheimnisträgern  umfassen. Folglich ohne den Schutz des Berufsgeheimnisses zu gewährleisten. Dabei zeigte sich in der Diskussion, dass die fundamentale Bedeutung der Vertraulichkeit der Kommunikation nachrangig betrachtet wird. Der Verordnungsvorschlag verfolgt absolut legitime Ziele, allerdings sollte das Durchsehen elektronischer Kommunikation nicht grenzenlos gestattet sein. Der DAV hat sich in Gesprächen mit dem EU-Parlament dafür eingesetzt, dass der Schutz von Kindern im Internet höchste Priorität erhält. Trotzdem müssen die Verhältnismäßigkeit und der Schutz der Grundrechte gewährleistet bleiben. Ein Bruch der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Mandat und Anwalt würde unter anderem wichtige Schutzräume für Opfer von Kindermissbrauch im Internet zerstören. In dem Verhandlungsmandat des EU-Parlaments von Dezember 2020 war das Berufsgeheimnis noch enthalten. In den hinter verschlossenen Türen stattfindenden Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission wurden das Berufsgeheimnis, sowie viele andere prozessuale Absicherungen für Betroffene, wieder aus dem Text gestrichen. Die Kommission plant bereits ein neues Gesetzesvorhaben, um Kindermissbrauch im Internet umfassender zu bekämpfen. Eine Beteiligung an der öffentlichen Konsultation ist noch bis zum 15. April 2021 möglich.

Bald keine geheimen Steuertricks mehr in der EU? – RAT

Im Rahmen der informellen Videokonferenz der EU-Ministerinnen und Minister für Wirtschafts-, Industrie- und Forschungspolitik am 25. Februar 2021 fand eine öffentliche Aussprache zur Offenlegung von Ertragssteuerinformationen („öffentliches Country-by-Country-Reporting“) statt. Mit dem diskutierten Vorschlag, dessen Rechtsgrundlage gem. Art 50 AEUV oder Art. 115 AEUV wegen des steuerrechtlichen Bezugs umstritten ist, versucht die EU-Kommission seit 2016 eine Änderung der Bilanz-Richtlinie 2013/34/EU zu erreichen. Eine deutliche Mehrheit der Ministerinnen und Minister vertritt nun die Ansicht, dass der jüngste konsolidierte Kompromissvorschlag (in Englisch) des portugiesischen Ratsvorsitzes inhaltlich ausgereift sei. Deutschland legt weiterhin einen Prüfvorbehalt ein. Aufgrund der Videokonferenz war eine formelle Abstimmung nicht möglich, was jedoch schnellstmöglich nachgeholt werden soll, um mit dem EU-Parlament, das seine Position im März 2019 festgelegt hat, zu verhandeln. EU-Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro sollen künftig Informationen über ihren Umsatz, ihre Gewinne und Ertragssteuern für jedes EU-Land getrennt sowie für Drittstaaten, die sich auf der EU-Liste nicht kooperativer Länder und Gebiete für Steuerzwecke befinden, offenlegen. Während diese Daten bis jetzt nur den Finanzbehörden vorliegen, hätten bei Durchsetzung des Vorschlags auch NGOs, Journalisten und interessierte Bürger grundsätzlich Zugriff auf die sensiblen Informationen.

Besetzung freier Richterstellen am polnischen Obersten Gericht – EuGH

Mit Urteil vom 2. März 2021 hat der EuGH in der Rs. C-824/18 die unionsrechtliche Rechtmäßigkeit der polnischen Gesetzesänderungen für die Benennung von Richterstellen am polnischen Obersten Gericht begutachtet und kommt zum Ergebnis, dass mangels effektiver gerichtlicher Kontrolle der Entscheidungen des Landesjustizrats (KRS), ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliegen könnte. Es muss vom vorlegenden Gericht beurteilt werden, dass die Gesetzesänderungen von 2018 gegen das Unionsrecht verstoßen. Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts müssen diese Gesetzesänderungen zugunsten der Anwendung der zuvor geltenden nationalen Bestimmungen unangewendet bleiben. Das EU-Recht verlangt laut EuGH bestehende Regeln zur Ernennung von Richtern zur Sicherung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieser. Der KRS hatte in einer Entscheidung von August 2018 fünf Bewerber für ein Richteramt am Obersten Gericht nicht vorgeschlagen und stattdessen andere Kandidaten unterbreitet. Gegen diesen Beschluss legten die Bewerber Berufung vor dem polnischen Obersten Verwaltungsgericht ein. Das Verfahren wurde 2019 in Folge einer weiteren gesetzlichen Änderung mit Einführung des Verbots solcher Rechtsmittel gestoppt. In seiner Entscheidung betont der EuGH nun, dass nationale Regeln, die berechtigte Zweifel an der unparteilichen Entscheidung des Landesjustizrats und an der Unabhängigkeit der Richter am Obersten Gericht entstehen lassen, gegen die Rechtsstaatlichkeitsprinzipien der EU verstoßen. Art. 19 Abs. 1 UA. 2 EUV verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Rechtsbehelfe für einen wirksamen Rechtsschutz vorzusehen.

KI: Zukünftige europäische und globale Reglementierung – EP/KOM

Am 4. März 2021 erörterte der Ausschuss für Künstliche Intelligenz (AIDA) mit dem Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des EU-Parlaments im Rahmen einer Anhörung Fragen im Zusammenhang mit KI und Cybersicherheit. Der Fokus lag auf der Finanzierung von KI-basierten Waffensystemen durch den europäischen Verteidigungsfond und eine globale Kooperation im Bereich KI. Gilman Louie, Vertreter der U.S. National Security Commission on Artificial Intelligence, und Mircea Geoană, stellvertretender Generalsekretär der NATO, betonen die Bedeutung einer Kooperation, um die vertretenen Werte auch bei KI-Anwendungen zu sichern. Diesbezüglich begrüßt Mircea Geoană die Mitteilung über eine neue EU-US-Agenda für den globalen Wandel der EU-Kommission und des Hohen Vertreters für Sicherheits- und Außenpolitik vom 2. Dezember 2020, in der auch ein KI-Abkommen und eine freie Datenübertragung zwischen den Ländern angestrebt sind. François Arbault, Direktor - Koordinator für Verteidigung der Kommission, erklärt, dass Waffensysteme ohne menschliche Kontrolle nicht von der Förderung durch den Verteidigungsfond erfasst sind und ethische Leitlinien für die Beurteilung noch ausgearbeitet werden.

Absage an Vorratsdatenspeicherung - EuGH

In seinem Urteil vom 2. März 2021 in der Rs. C-746/18 wiederholt der EuGH seine roten Linien für die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung und erteilt den estnischen Bestimmungen zum Zugang zu Verkehrs- oder Standortdaten elektronischer Kommunikation zu strafrechtlichen Zwecken eine Absage. Die Voraussetzungen, unter denen Behörden in Anwendung der E-Privacy-Richtlinie 2002/58 durch Vorratsdaten Maßnahmen zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten verwenden dürfen, hat der EuGH unlängst in seinem Urteil La Quadrature du Net u.a. verbundene Rs. C-511/18, C-512/18 und C-520/18 (vgl. EiÜ 33/20) skizziert. So darf die nationale Regelung nur dann Vorratsdatenspeicherung vorsehen, wenn sie im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Bekämpfung schwerer Kriminalität oder der Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit ausgestaltet ist. Dies hat der EuGH verneint. Ebenso verneint er die zweite Frage, ob die estnische Staatsanwaltschaft eine „unabhängige“ Verwaltungsbehörde im Sinne des EuGH-Urteils Tele2 Sverige Rs. C‑203/15 und C‑698/15 darstellt. Wird die Kontrolle nicht von einem Gericht, sondern von einer unabhängigen Verwaltungsstelle wahrgenommen, muss diese objektiv und unparteiisch vorgehen, ohne jede Einflussnahme von außen. Im strafrechtlichen Bereich impliziert das Erfordernis der Unabhängigkeit insbesondere, dass die mit der vorherigen Kontrolle betraute Behörde zum einen nicht an der Durchführung des fraglichen Ermittlungsverfahrens beteiligt ist und zum anderen eine Position der Neutralität gegenüber den Beteiligten am Strafverfahren hat. Bei der estnischen Staatsanwaltschaft, die das Ermittlungsverfahren leitet und ggf. Anklage erhebt, ist dies nicht der Fall. Folglich ist die Staatsanwaltschaft keine unabhängige Verwaltungsbehörde.

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