Europa im Überblick, 13/2021

EiÜ 13/2021

DAV gegen Erweiterung der Befugnisse von Europol – DAV

Der DAV steht dem Verordnungsvorschlag der EU-Kommission für ein neues Europol-Mandat kritisch gegenüber. In Stellungnahme Nr. 31/2021 erkennt der DAV zwar die Bedeutung der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität an, dennoch begegnen die vorgeschlagenen Erweiterungen der Befugnisse von Europol im Hinblick auf die Wahrung der Grundrechte, den Schutz der Privatsphäre und den Datenschutz erheblichen Bedenken. Der DAV mahnt an, dass der Vorschlag der EU-Kommission keine hinreichenden Schutzmechanismen vorsieht, um sicherzustellen, dass beim Austausch von Daten mit Privaten und, dass bei der sog. Big-Data-Analyse Daten, die vom Berufsgeheimnisschutz erfasste sind, ausgeschlossen sind. Zudem würde es Europol ermöglicht werden, personenbezogene Daten unverdächtiger Personen in großem Ausmaß zu verarbeiten. Insgesamt gehen die vorgeschlagenen Änderungen weit über die in Art. 88 AEUV zugewiesenen Befugnisse hinaus. Danach beschränken sich die Befugnisse von Europol auf die Unterstützung und Stärkung der Tätigkeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden. Im nächsten Schritt des Gesetzgebungsverfahrens wird der im EU-Parlament federführende Innenausschuss (LIBE) einen Berichtsentwurf zu dem Gesetzgebungsvorhaben vorlegen.

Vorratsdatenspeicherung für bessere Kriminalitätsbekämpfung? – EP/DAV

Am 12. April 2021 fand eine Aussprache zwischen der EU-Kommission und Abgeordneten des Innenausschusses des EU-Parlaments (LIBE) zur EuGH-Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung statt. In seinen jüngsten Urteilen bestätigte der EuGH, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen die Grundrechte-Charta grundsätzlich verboten ist und nur in engen Ausnahmefällen als zulässig angesehen werden kann (Rs. C-746/18, verbundene Rs. C-511/18, C-512/18 und C-520/18, vgl. EiÜ 8/21, 33/20). Die EU-Kommission will den vom EuGH aufgestellten Ausnahmenkatalog zur Bekämpfung schwerer Kriminalität weiter konkretisieren, um die Vorratsdatenspeicherung für bessere Kriminalitätsbekämpfung zu nutzen. Hintergrund ist u.a. das Verhandlungsmandat des Rates (in Englisch) zur geplanten e-Privacy-Verordnung, das in Art. 7 Abs. 4 die Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten „zur Prävention von Straftaten“ vorsieht (vgl. EiÜ 5/21). Während im EU-Parlament die Fraktionen der Christ- und Sozialdemokraten die Bestrebungen der Kommission grundsätzlich unterstützen, positionieren sich die Liberalen und die Grünen klar gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Letzteres entspricht auch der Position des DAV. In Stellungnahme Nr. 28/2021 vom 14. April 2021 argumentiert der DAV, dass die präventive Vorratsdatenspeicherung faktisch einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gleichkommt und somit der EuGH-Rechtsprechung widerspricht. Zudem fehlen gesicherte empirische Erkenntnisse, die den Zusammenhang zwischen einer flächendeckenden Speicherung von Kommunikationsdaten und einer sinkenden Kriminalitätsrate belegen.

EU-Konsultation zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch online – DAV

Der DAV hat sich in Stellungnahme Nr. 29/2021 zum Fragebogen der EU-Kommission zur Erkennung, Entfernung und Meldung illegaler Online-Inhalte zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern geäußert. In der Beantwortung dieses Fragebogens argumentiert der DAV, dass die verdachtsunabhängige und flächendeckende Durchleuchtung von Online-Inhalten, wie sie in dem Entwurf der Übergangsverordnung der Kommission vorgesehen ist, grundrechtswidrig ist und gegen Europarecht verstößt (vgl. Stellungnahme Nr. 25/2021, EiÜ 8/21). Durch das Scannen von Online-Inhalten wäre auch die vertrauliche Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant bzw. anderen Berufsgeheimnisträgern umfasst. Deswegen setzt sich der DAV für eine zukünftige permanente Regelung dafür ein, dass das Berufsgeheimnis zwingend geschützt werden muss. Die Nutzung und Verwertung von Informationen, die dem Berufsgeheimnis unterliegen, muss dementsprechend unterbunden werden.

EU-Strategie gegen organisierte Kriminalität und Menschenhandel – KOM

In der am 14. April 2021 vorgestellten Strategie zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität kündigte die EU-Kommission eine Reihe von Maßnahmen an, darunter auch legislative Initiativen. Anlass hierfür bildet die von Europol am 12. April 2021 veröffentlichte Bewertung (in Englisch) der Bedrohungslage durch schwere und organisierte Kriminalität, die alle vier Jahre durchgeführt wird. Ermittelt wurde, dass organisierte kriminelle Vereinigungen in 2019 Einnahmen in Höhe von ca. 139 Mrd. Euro verzeichnen konnten, was in etwa 1 % des BIP der EU entspricht. Mit der Strategie soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Strafverfolgung und Justiz verbessert werden und der finanzielle Anreiz für kriminelle Handlungen durch Unterbindung der Finanzströme und der Bekämpfung von Korruption verringert werden. Konkret sollen unter anderem Verhandlungen für ein EU-Interpol Abkommen beginnen und die Vorschriften zur Einziehung von Taterträgen und zur Bekämpfung der Geldwäsche überarbeitet werden. Um Straftäter auch „online“ wirksamer erfassen zu können, will sich die EU-Kommission dem Thema der Vorratsdatenspeicherung und dem Zugang zu verschlüsselten Daten widmen. Erst kürzlich konnten durch die Aufdeckung des verschlüsselten Netzwerks EncroChat in diesem Bereich Ermittlungserfolge erzielt werden. Am selben Tag legte die EU-Kommission auch eine Strategie zur Bekämpfung des Menschenhandels vor. Diese stützt sich im Wesentlichen auf den durch die Richtlinie 2011/36/EU geschaffenen rechtlichen Rahmen (vgl. EiÜ 5/21). Durch den Einsatz von Rechtsvorschriften, politischen Strategien und Finanzmitteln soll neben der aktiven Zerschlagung krimineller Geschäfte auch die Stärkung und Reintegration der Opfer solcher Verbrechen, insbesondere von Frauen und Kindern, im Vordergrund stehen. Hierzu soll die Richtlinie auf ihre Wirksamkeit und Durchsetzung in den Mitgliedsstaaten geprüft werden und gegebenenfalls Vorschriften angepasst werden.

Mehrwertsteuerbefreiung für „soziale“ Tätigkeit des Rechtsanwalts? – EuGH

In Rs. C-846/19 konstatiert der EuGH in seinem Urteil vom 15. April 2021 die Möglichkeit, soziale Tätigkeiten eines Rechtsanwalts von der Mehrwertsteuer zu befreien. Voraussetzung für die Befreiung ist, dass die Arbeit als Beauftragter, Pfleger oder Betreuer ein dauerhaftes Engagement begründet und der soziale Charakter deutlich überwiegt. Gemäß der Richtlinie 2006/112 über das Mehrwertsteuersystem ist für entgeltliche Tätigkeiten grundsätzlich die Mehrwertsteuer zu entrichten. Ausnahmen können für sog. eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen gemacht werden. Als solche gelten auch Dienstleistungen zugunsten geschäftsunfähiger Erwachsener, um diese bei zivilrechtlichen Handlungen zu schützen. Ausgenommen hiervon sind aber z.B. Tätigkeiten eines Rechtsanwalts, die mit den besonderen Kenntnissen des Berufs zusammenhängen. Zwar kann die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Einzelfall zur Bewahrung finanzieller Schäden unerlässlich sein, doch kann aufgrund der prinzipiell allgemeinen rechtlichen, finanziellen oder sonstigen Unterstützung kein sozialer Charakter angenommen werden. Die Mitgliedsstaaten können aber unter Abwägung der Umstände im Einzelfall eine Aufgabe von der Mehrwertsteuer befreien, wenn sich eine ausreichend soziale Bindung feststellen lässt und andere Steuerpflichtige nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht benachteiligt werden. Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob der soziale Charakter der Tätigkeit im konkreten Fall überwiegt.

Unabhängigkeit des polnischen Obersten Gerichts – EuGH

In zwei Verfahren kritisieren die Generalanwälte des EuGH die Unabhängigkeit der Richter am polnischen Obersten Gericht. In den Schlussanträgen vom 15. April 2021 in der Rs. C-487/19 wurde die Besetzung der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten, die über die Versetzung eines polnischen Bezirksrichters zu entscheiden hatte, als unzureichend erachtet. Die Vereinbarkeit der Besetzung dieser Kammer mit dem Recht auf ein durch Gesetz errichtetes, unabhängiges Gericht gem. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV und Art. 47 GrCh sei fraglich, da der urteilende Einzelrichter vor Abschluss seines Ernennungsverfahrens und trotz laufendem Rechtsbehelfverfahrens gegen die Ernennung entschied. Die Feststellung, ob es sich um ein unabhängiges Gericht handle, obliege aber dem vorlegenden Gericht und nicht dem EuGH. In der Rs. C-508/19 wird in den Schlussanträgen vom 15. April 2021 ebenfalls die ordnungsgemäße Richterernennung am Obersten Gericht beanstandet. In Rahmen eins eingeleiteten Disziplinarverfahrens gegen eine polnische Amtsrichterin wurde die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Einzelrichters der Disziplinarkammer bemängelt. Es bleibt aber auch hier Aufgabe der vorlegenden polnischen Gerichte festzustellen, ob ein offenkundiger und vorsätzlich begangener Verstoß gegen die europäischen Grundsätze besteht. Im Falle einer solchen Feststellung sind die Entscheidungen des obersten Gerichts unangewendet zu lassen. Der EuGH hatte bereits im März 2020 die Richterernennung des polnischen Landesjustizrat (KSR) für unzureichend beanstandet und die Gefahr der polnischen Justizreform aus 2018 für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter betont (vgl. EiÜ 8/21). Die Kommission hat erst Ende März 2021 ein neues Verfahren beim EuGH eingeleitet, dass die unabhängige Arbeit des polnischen Rates prüfen soll (vgl. EiÜ 12/21). Die Rechtssache reiht sich in eine Vielzahl von Verfahren vor dem EuGH ein, die die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts in Polen kritisch sehen (vgl. EiÜ 41/20).

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