Europa im Überblick, 15/2021

EiÜ 15/2021

Einigung zur Bekämpfung des Kindesmissbrauchs im Internet – EP/Rat

Das EU-Parlament und der Rat haben sich am 30. April 2021 vorläufig auf ein temporäres Instrument geeinigt, das es den Anbietern elektronischer Kommunikationsdienste ermöglichen soll, auf freiwilliger Basis Inhalte mit Bezug zu sexuellem Kindesmissbrauch im Internet zu scannen, zu entfernen und zu melden. Die Regelung soll höchstens für die Dauer von drei Jahren gelten, mindestens aber bis zum Inkrafttreten der von der EU-Kommission angekündigten dauerhaften Verordnung zur Bekämpfung des sexuellen Kindesmissbrauchs im Internet. Der Verordnungsvorschlag hierzu ist für das 2. Quartal 2021 geplant. Der DAV hat sich kontinuierlich gegen die verdachts­un­ab­hängige und flächen­de­ckende Durchleuchtung von Online-Inhalten ausgesprochen, da dadurch insbesondere auch die vertrauliche Kommuni­kation zwischen Anwalt und Mandant bzw. anderen Berufs­ge­heim­nis­trägern gefährdet wird (vgl. Stellungnahme Nr. 25/2021, EiÜ 13/21). Wie es scheint, sollen sich EU-Parlament und Rat nun darauf geeinigt haben, den Berufsgeheimnisträgerschutz zwar nicht in den Verordnungstext, aber zumindest in die Erwägungsgründe mitaufzunehmen. Die vorläufige Einigung bedarf noch der Zustimmung des Rates.

Die Verordnung gegen terroristische Online-Inhalte kommt – EP

Am 28. April 2021 hat nun auch das Plenum des EU-Parlaments der umstrittenen Verordnung zur Bekämpfung der Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet zugestimmt (vgl. EiÜ 11/21). Diese ermöglicht es nationalen Behörden grenzüberschreitend die Löschung oder Deaktivierung vermeintlich terroristischer Inhalte von Online-Plattformen innerhalb einer Stunde zu verlangen, ohne dass hierzu eine vorherige richterliche Anordnung nötig ist. Inhalte, die pädagogischen, journalistischen, künstlerischen oder Forschungszwecken dienen, werden von der Löschanordnung ausgenommen. Mehrere Nichtregierungsorganisationen, die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) und die Internationale Juristenkommission (IJC) sehen darin weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Meinungsfreiheit. Dies entspricht auch der in Stellungnahme Nr. 04/2019 erklärten Position des DAV. Insbesondere das weite Verständnis der „terroristischen Inhalte“ birgt die Gefahr, dass Anordnungen zu politischen Zwecken unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung missbräuchlich erlassen werden. Abzuwarten bleibt, ob die Verordnung einer möglichen gerichtlichen Überprüfung standhalten kann.

CSR-Richtlinienvorschlag: Offenlegungspflichten für Unternehmen – KOM

Die EU-Kommission hat am 21. April 2021 im Rahmen ihres lang angekündigten Pakets zur Nachhaltigen Finanzierung (in Englisch) unter anderem einen Vorschlag (in Englisch) zur Änderung der Richtlinie 2014/95/EU über die Nichtfinanzberichterstattung (NFRD) vorgelegt. Dabei wurde der Name dahingehend geändert, dass der Richtlinienvorschlag nun zur "Corporate Sustainability Reporting Directive" (CSRD) werden soll. Eine Überarbeitung sei deswegen nötig geworden, um die NFRD an die neue Taxonomie und verschiedene Offenlegungsgesetzgebungen anzupassen. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich werden weiterhin große Unternehmen erfasst, die Schwelle von 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern soll jedoch wegfallen. Dies erweitert den Anwendungsbereich von 11.000 Unternehmen in der EU auf ca. 49.000. Somit müssen zukünftig alle Unternehmen und Banken ab 250 Mitarbeitern offenlegen, inwiefern der Klimawandel ihr Geschäftsmodell beeinflusst und inwiefern umgekehrt ihre Aktivitäten den Klimawandel beeinflussen. Die EU-Kommission schlägt die Entwicklung von Standards für Großunternehmen sowie die Entwicklung getrennter, sog. „verhältnismäßiger Standards“ für KMU vor, die nicht-börsennotierte KMU freiwillig anwenden können. Alle an der Börse gelisteten KMU werden in den Anwendungsbereich aufgenommen (mit Ausnahme der gelisteten Mikro-Unternehmen), wobei diesen aber eine längere Übergangsfrist von drei Jahren eingeräumt wird, in der sie noch keine Offenlegungspflicht trifft.

Stärkung der polizeilichen Zusammenarbeit innerhalb der EU – KOM

Als Teil der im Juli 2020 vorgestellten EU-Sicherheitsstrategie plant die EU-Kommission nun die Erstellung eines europäischen Kodex für grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit. Ziel der Initiative ist die Vereinfachung und Modernisierung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen nationalen Behörden im Bereich der Strafverfolgung. Der Kodex soll die verschiedenen bestehenden legislativen Instrumente und Leitlinien zur polizeilichen Zusammenarbeit zu einer gemeinsamen Verordnung zusammenfassen. Zusätzlich wird erwogen, ausgewählte Elemente aus bestehenden bilateralen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten zur polizeilichen Zusammenarbeit in diesen konsolidierten Rechtsakt aufzunehmen. Darunter könnten beispielweise verdeckte Ermittlungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Nachbarstaates, grenzüberschreitende Überwachungen ohne richterliche Anordnung in dringenden Fällen oder sogar freiheitsentziehende Maßnahmen auf dem Gebiet des Nachbarstaates fallen. Nach Veröffentlichung eines Fahrplans im September 2020 haben nun Bürger und Interessenvertreter im Rahmen einer öffentlichen Konsultation bis zum 14. Juni 2021 die Möglichkeit, sich zu dem Vorhaben zu äußern. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für den Verordnungsvorschlag der EU-Kommission, dessen Veröffentlichung für das vierte Quartal dieses Jahres angekündigt ist.

Strategie für freiwillige Rückkehr: stärkeres Mandat für Frontex – KOM

Die EU-Kommission hat am 27. April 2021 eine Strategie für freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung als Teil eines gemeinsamen EU-Rückkehrsystems im Rahmen des neuen Migrations- und Asylpakets vorgelegt (vgl. EiÜ 31/20). Bestandteil ist unter anderem die Stärkung des Mandats von Frontex, um freiwillige Rückführungen durchzuführen. Dazu sollen speziell ausgebildete Rückkehrberater und ein stellvertretender Direktor für Rückkehrmaßnahmen ernannt werden, der bereits bis Mitte 2022 die Aufgaben übernehmen könnte, die bisher vom Europäischen Rückkehr- und Wiedereingliederungsnetzwerk wahrgenommen wurden. Umstritten ist diese Strategie vor allem angesichts einer möglichen Verwicklung von Frontex in Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen durch illegale Push-Backs (vgl. EiÜ 06/21). Die anlässlich dieser Vorfälle gegründete Frontex-Kontrollgruppe des Innenausschusses des EU-Parlaments (LIBE) diskutierte in einer Experten-Anhörung am 28. April 2021 den Ausbau der Berichterstattungspflicht von Frontex und die Optimierung des Aufsichtsmechanismus, um anhand einer klaren Faktenlage die Einschätzung der Rechtmäßigkeit bestimmter Handlungen zu erleichtern und Menschenrechtsverletzungen so effektiver verhindern zu können. Ein analytischer Bericht soll bis zum Sommer diesen Jahres vorgelegt werden.

Keine Europäischen Ermittlungsanordnungen aus Bulgarien – EuGH

In den Schlussanträgen vom 29. April 2021 zur Rs. C-852/19 kommt Generalanwalt Bobek zu dem Ergebnis, dass Bulgarien nach geltendem nationalen Recht keine Europäischen Ermittlungsanordnungen (EEA) erlassen darf. Das vorlegende bulgarische Gericht möchte im Rahmen eines Strafverfahrens in Bulgarien mit einer EEA die Beweiserhebung in Tschechien anordnen, zweifelt jedoch an der Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung, da bulgarisches Recht weder gegen nationale noch europäische Ermittlungsanordnungen wirksame Rechtsbehelfe vorsieht. Das vollständige Fehlen eines Rechtsbehelfs ist nach Auffassung des Generalanwalts weder mit Art. 14 der Richtlinie 2014/41/EU über EEAs noch mit den Verteidigungsrechten aus Art. 47 GrCh vereinbar. In der Vergangenheit wurde Bulgarien bereits wiederholt vom EGMR wegen Verstoßes gegen Art. 13 EMRK (Recht auf wirksame Beschwerde) verurteilt. Die bulgarische Regierung hat das Versäumnis zwar tatsächlich eingeräumt, bislang aber nicht behoben. Solange dies nicht der Fall ist, soll es den zuständigen bulgarischen Behörden verboten sein, EEAs zu erlassen, da diese automatisch und unweigerlich zu Grundrechtsverletzungen führen würden. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend.

EHB: ne bis in idem auch bei Urteilen aus Drittstaaten – EuGH

In seinem Urteil vom 29. April 2021 in Rs. C-665/20 (in Französisch) präzisiert der EuGH die Anforderungen an den Grundsatz ne bis in idem im Zusammenhang mit der fakultativen Ablehnung eines Europäischen Haftbefehls (EHB) nach Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI (vgl. EiÜ 14/21). Nach dieser Vorschrift kann die vollstreckende Behörde die Vollstreckung eines EHB verweigern, wenn die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Der Betroffene im vorliegenden Fall hat sich darauf berufen, dass er wegen der in Deutschland verfolgten Tat bereits im Iran rechtskräftig verurteilt wurde und die Strafe bereits verbüßt hat. Ein Teil der Strafe wurde dem Betroffenen im Rahmen einer allgemeinen Begnadigungsmaßnahme erlassen. Der EuGH kommt zu dem Schluss, dass grundsätzlich auch eine solche Begnadigungsmaßnahme, die nicht von einem Gericht ausgesprochen wurde, eine Verweigerung der Vollstreckung nach Art. 4 Nr. 5 des Rahmenbeschlusses rechtfertigen kann. Dennoch kommt der vollstreckenden Behörde ein Ermessensspielraum bei dieser Entscheidung zu, im Rahmen dessen die Behörde die Vermeidung von Straflosigkeit einerseits und die Rechtssicherheit andererseits gegeneinander abwägen muss.

Anerkennung von EU-Führerscheinen auf dem Prüfstand – EuGH

In zwei Urteilen des EuGH vom 29. April 2021 ging es um die Anerkennung von Führerscheinen, die in einem anderen Mitgliedsstaat der EU ausgestellt wurden, entsprechend den Vorschriften der Richtlinie 2006/126/EG. In dem der Rs. C-47/20 zugrundeliegenden Fall haben deutsche Behörden die Anerkennung eines in Spanien ausgestellten und mehrfach erneuerten Führerscheins abgelehnt, nachdem dem Betroffenen wegen einer Trunkenheitsfahrt in Deutschland die Fahrerlaubnis entzogen und zusätzlich eine Sperrfrist für die Neuerteilung angeordnet wurde. Der EuGH befand, dass die deutschen Behörden befugt waren, den in Spanien erneuerten Führerschein nicht anzuerkennen, da bei der Erneuerung nicht zu prüfen war, ob der Betroffene auch die erforderliche Fahrtauglichkeit besitzt. Insoweit bestehe ein Unterschied zur (Erst-)Ausstellung eines Führerscheins. Dennoch muss der Betroffene die Möglichkeit haben, seine Fahrtauglichkeit nachweisen zu können. In Rs. C-56/20 entzogen deutsche Behörden einem österreichischen Staatsangehörigen die Fahrerlaubnis, nachdem dieser in Deutschland das Fahrzeug unter Einfluss berauschender Mittel geführt hatte. Die Behörde gab dem Betroffenen zudem auf, den in Österreich ausgestellten Führerschein vorzulegen, damit dieser mit einem Vermerk über die Ungültigkeit des Führerscheins für das deutsche Hoheitsgebiet versehen werden konnte. Hier urteilte der EuGH, dass Vermerke auf dem Führerschein in die ausschließliche Zuständigkeit des Mitgliedsstaates fallen, in dem der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz hat (hier: Österreich). Den deutschen Behörden steht es dennoch frei, Österreich um die Anbringung eines entsprechenden Vermerks zu ersuchen.

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