Europa im Überblick, 18/2021

EiÜ 18/2021

Stellungnahmen: Digital Services Act & Digital Markets Act – DAV

Wie könnte ein europäisches NetzDG ausgestaltet sein? Was müssen Plattformen in Zukunft beachten, wenn es um Wettbewerb und die Ausgestaltung digitaler Dienste geht? Die EU-Kommission hat in zwei Verordnungsvorschlägen zum Digital Markets Act und Digital Services Act einen ersten Anlauf gewagt diese Fragen zu beantworten (vgl. EiÜ 17/21; 3/21; 32/20). Der DAV hat sich ebenso mit den Verordnungsvorschlägen auseinandergesetzt und versucht Lösungsvorschläge auf diese und weitere Fragen im Zusammenhang mit der Plattformregulierung zu erarbeiten. Zum einen äußert sich der DAV in seiner Stellungnahme Nr. 34/21 zum Digital Services Act und den geplanten Verpflichtungen, die Plattformen erfüllen müssen, und kritisiert u.a. den anfallenden Bürokratieaufwand sowie das Verhältnis zum Datenschutz. Zum anderen analysiert der DAV in seiner Stellungnahme Nr. 36/21 den Gesetzesvorschlag für den Digital Markets Act der EU-Kommission und die Einordnung von Plattformen in den Binnenmarkt. Durch die Einführung dieses neuen Instruments stellen sich zahlreiche Abgrenzungsfragen, die der DAV in vier Kapiteln mit Forderungen kommentiert. Im EU-Parlament werden stetig weitere Berichterstatterinnen und Berichterstatter ernannt, sodass die Arbeiten an einem Verhandlungsmandat zeitnah beginnen können.

Nachschärfung der Rechte Einzelner im Umweltschutz – EP/DAV

Am 20. Mai 2021 hat das EU-Parlament im Plenum mit großer Mehrheit das Verhandlungsmandat über den Vorschlag der EU-Kommission für eine Änderung der Århus-Verordnung 1367/2006/EG angenommen. Die Århus-Verordnung regelt den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Unionsebene. Die Änderung soll insbesondere die vollständige Übereinstimmung des EU-Rechts mit der völkerrechtlichen Århus-Konvention sicherstellen. Dies hatte der UN-Ausschuss zur Einhaltung der Århus-Konvention schon 2017 in einem Bericht (in Englisch) gefordert. Das Verhandlungsmandat des EU-Parlaments enthält unter anderem eine Ausdehnung der überprüfbaren Regelungen auf alle Rechtsakte mit allgemeiner Geltung und solche, die im weiten Sinne gegen Umweltrecht verstoßen. Ebenfalls soll der überprüfungs- und klagebefugte Personenkreis unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Mitglieder der Öffentlichkeit ausgeweitet werden. In seiner Stellungnahme Nr. 37/21 fordert der DAV insbesondere die Klarstellung der Voraussetzungen einer potenziellen Klagebefugnis für die Öffentlichkeit, damit Rechtssicherheit geschaffen wird. Mit dem Verhandlungsmandat kann nun der sogenannte informelle Trilog zwischen EU-Parlament und Rat beginnen.

Kein angemessener Datenschutz im Vereinigten Königreich – EP

Der Brexit stellt die Zusammenarbeit der EU mit dem Vereinigten Königreich auch nach Inkrafttreten des Handels- und Kooperationsabkommens vor erhebliche Herausforderungen. Im Bereich des Datenschutzes hat die EU-Kommission bereits im Februar 2021 zwei Beschlussentwürfe vorgelegt, wonach das Datenschutzniveau des Vereinigten Königreichs im Verhältnis zu dem der EU als „angemessen“ anzusehen ist. Damit will die EU-Kommission den notwendigen Rechtsrahmen schaffen, um personenbezogene Daten an das Vereinigte Königreich übermitteln zu können. Eine solche Entscheidung erfordert sowohl die Datenschutzgrundverordnung 2016/679/EU als auch die Richtlinie 2016/680/EU zum Datenschutz im Bereich der Strafverfolgung. Das EU-Parlament hat am 20. Mai 2021 nun mit knapper Mehrheit zunächst einen Entschließungsantrag der EVP- und ECR-Fraktion, welcher sich für die Angemessenheitsbeschlüsse ausgesprochen hat, abgelehnt. Einen weiteren Entschließungsantrag des LIBE-Ausschusses, der die Beschlüsse in ihrer jetzigen Form als nicht mit EU-Recht vereinbar erachtet, hat das Plenum mit 344 zu 311 Stimmen, bei 28 Enthaltungen angenommen. Darin wird die EU-Kommission u.a. aufgefordert, die Beschlussentwürfe nachzubessern und mit EU-Recht in Einklang zu bringen. In der Vergangenheit hat bereits der Datenaustausch mit den USA für erhebliche Aufregung gesorgt, nachdem der EuGH in der Rs. C-311/18 („Schrems II“) den EU-US Privacy Shield für ungültig erklärt hat, weil ein angemessenes Datenschutzniveau in den USA nach Auffassung des EuGH nicht vorgelegen hat. Das EU-Parlament fordert von der EU-Kommission in einem weiteren Entschließungsantrag dazu auf, bei jedem neuen Angemessenheitsbeschluss die Vorgaben des Urteils genau zu beachten.

Zession: internationale Zuständigkeit bei Versicherungsforderung – EuGH

Der EuGH klärt mit Urteil vom 20. Mai 2021 in der Rs. C-913/19 die internationale Zuständigkeit für die Zession einer Forderung an ein Unternehmen, die ursprünglich einem geschädigten Verbraucher gegen einen Versicherer zustand, in Abgrenzung zum Deliktsgerichtsstand. Im Ergebnis stellt der EuGH fest, dass Abschnitt III der Brüssel-Ia Verordnung 1215/2012/EU ein eigenständiges System der Verteilung gerichtlicher Zuständigkeiten in Versicherungssachen mit dem Ziel errichtet, die schwächere Vertragspartei zu schützen. Dieses Ziel bedeutet, dass die Anwendung der besonderen Zuständigkeitsvorschriften nicht auf Personen ausgedehnt werden darf, die dieses Schutzes nicht bedürfen. Folglich ist der besondere Gerichtsstand in Abschnitt III nicht anwendbar. Zur Frage, ob es sich bei dem Unternehmen, das mit der Schadensregulierung vom Versicherer beauftragt wurde, um eine Niederlassung im Sinne von Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia Verordnung handelt, muss final das nationale Gericht entscheiden. Der EuGH führt aus, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene besondere Zuständigkeitsregel darauf beruht, dass zwischen der Streitigkeit und den angerufenen Gerichten eine enge Beziehung bestehen muss, die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege und einer sachgerechten Gestaltung des Prozesses die Zuständigkeit rechtfertigt. Das Unternehmen, das vertraglich die Schadensregulierung im Namen und auf Rechnung des Versicherers übernimmt, sei als Niederlassung zu verstehen, vorausgesetzt es erscheint als ständige Erweiterung des Versicherers und ist in der Lage die Versicherungssachen mit Dritten eigenständig zu verwalten. Ob das Unternehmen mehr als nur bloße Vermittlerin ist und aktiv an dem Rechtsstreit und der Rechtslage beteiligt ist, muss das nationale Gericht beurteilen.

Kritik am Einfluss des polnischen Justizministers in Strafverfahren – EuGH

Wieder einmal wurden in den Schlussanträgen des EuGH vom 20. Mai 2021 in den Rs. C‑748/19 bis C‑754/19 Zweifel an der Unabhängigkeit der polnischen Justiz laut, in denen es diesmal um den Einfluss des polnischen Justizministeriums auf die Richterbesetzung ging (vgl. EiÜ 12/20). Es widerspreche dem Rechtsstaatsprinzip, dem Gebot der unabhängigen Justiz und insbesondere dem Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV), dass der polnische Justizminister, der zugleich Generalstaatsanwalt ist, für das in der Sache entscheidende Bezirksgericht einzelne Richter benennen kann, ohne dass seine Entscheidung gerichtlich überprüfbar sei. Durch die Möglichkeit jederzeit Richter – auch aus untergeordneten Gerichten - zu ernennen und wieder zu entlassen sei die unabhängige Entscheidung des einzelnen Richters gefährdet. In den jeweiligen Strafverfahren wird konkret die Wahrung der Unschuldsvermutung und Gewaltenteilung durch den möglichen Einfluss zugleich auf Staatsanwaltschaft und Richter zum Nachteil der Angeklagten bezweifelt. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend. Zuvor wurde bereits die Unabhängigkeit des Obersten Gerichts bemängelt, deren Richter vom politisch beeinflussten Landesjustizrat ernannt werden (vgl. EiÜ 16/21; 13/21; 8/21; 14/20).

Begrenzte Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bei EEAs – EuGH

Generalanwalt Campos Sanchez-Bordona spricht sich in seinen Schlussanträgen vom 20. Mai 2021 in der Rs. C-724/19 gegen die Zuständigkeit der bulgarischen Staatsanwaltschaft zur Anordnung einer Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) aus, soweit es um die Überwachung von Verkehrs- und Standortdaten elektronischer Kommunikation geht. Der Äquivalenzgrundsatz aus Art. 6 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2014/41/EU verbiete die Anordnung durch die Staatsanwaltschaft, wenn im vergleichbaren nationalen Verfahren die richterliche Befugnis vorausgesetzt wird. Die entsprechenden bulgarischen Vorschriften erkennen zwar eine allgemeine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft zur Anordnung von EEAs an, doch liegen bestimmte Beweiserhebungen wie die Übermittlung von Verkehrs- und Standortdaten unter Richtervorbehalt. Die von der bulgarischen Staatsanwaltschaft angeordneten EEAs zur Übermittlung solcher Daten widersprechen somit der Richtlinie. Dies kann auch nicht durch Anerkennung der EEA im Vollstreckungsstaat geheilt werden. In Bezug auf Deutschland hat der EuGH zuletzt noch entschieden, dass auch die Staatsanwaltschaft EEAs erlassen darf, wenngleich es dort um die Übermittlung von Kontounterlagen ging (vgl. EiÜ 42/20). Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend.

EGMR-Reform durch Ratifizierung des Protokolls Nr. 15 – Europarat

Mit der Ratifizierung Italiens am 21. April 2021 tritt am 1. August 2021, acht Jahre nach Verabschiedung, das Protokoll Nr. 15 zur Änderung der EMRK in Kraft. Die wichtigste Neuheit in der Praxis: Die Frist zur Einreichung einer Beschwerde (Art. 35 Abs. 1 EMRK) wird von sechs auf vier Monate verkürzt. Sowohl für die Kläger als auch für die Anwälte bleibt daher zukünftig noch weniger Zeit, eine Klage beim EGMR vorzubereiten. Zudem können Parteien zukünftig gegen die Überweisung eines Falles an die Große Kammer keinen Einspruch mehr erheben. Befürworter der Reform erhoffen sich durch die Änderungen eine effizientere Arbeitsweise des Gerichtshofs und eine Stärkung der Position der Mitgliedsstaaten. So wird nun in der Präambel der EMRK auf das Prinzip der Subsidiarität und die „margin of appreciation“ bei der Gewährleistung der Rechte aus der EMRK hingewiesen. Außerdem kann der EGMR eine Beschwerde zukünftig als unzulässig erklären, wenn dem Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil entstanden ist (solange die Beschwerde innerstaatlich geprüft wurde). Schließlich ist auch eine Neuregelung der Altersgrenze für die Richterschaft am EGMR vorgesehen. Der Gerichtshof äußerte sich bereits in einem erläuternden Bericht (in Englisch) und einer Stellungnahme (in Englisch) zum Protokoll Nr. 15 und kündigte eine baldige Veröffentlichung aller neuen Maßnahmen auf der Website des EGMR an.

Feedback

Wir sind an Ihrem Feedback zu unserem Newsletter interessiert! Anmerkungen und Hinweise können Sie uns gerne an bruessel@eu.anwaltverein.de schicken.

Europa im Überblick abonnieren

Verpassen Sie keine wichtigen rechtlichen Entwicklungen in Europa! Abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter „Europa im Überblick“ und bleiben Sie stets informiert über die neuesten EU-Gesetzgebungen, Rechtsprechungen und deren Auswirkungen auf Ihre Praxis.

Kommentare

0 Kommentare zum Artikel
Was ist die Summe aus 9 und 5?