Europa im Überblick, 19/2021

EiÜ 19/2021

Verstärktes Handeln im Kampf gegen Desinformation – KOM

Die EU-Kommission legte am 26. Mai 2021 einen Leitfaden (in Englisch) zur Stärkung des Verhaltenskodex für Desinformation vor. Bereits 2018 verpflichteten sich Internet-Plattformen, führende soziale Netzwerke und Akteure der Werbeindustrie mit ihrer Unterzeichnung des freiwilligen Verhaltenskodex zu einer Reihe von Maßnahmen. Dazu zählen die Bekämpfung von Desinformation, Maßnahmen gegen die Verbreitung falscher und irreführender Online-Inhalte sowie eine verstärkte Zusammenarbeit mit externen Faktenprüfern, die Herstellung von Transparenz in der politischen Werbung und das Schließen von Fake-Accounts. Da der jährliche Selbstbewertungsbericht der Unterzeichner und externe Bewertungen jedoch diverse Defizite in der Anwendung ergeben haben, sah die EU-Kommission Handlungsbedarf zur Sicherstellung einer verbesserten Umsetzung des Kodex (vgl. EiÜ 39/19). Der erarbeitete Leitfaden soll Unstimmigkeiten und Lücken bei der Anwendung beheben und Eckpfeiler für einen effektiveren Überwachungsrahmen festlegen. Zudem zielt er auf die Weiterentwicklung des Verhaltenskodex zu einem Ko-Regulierungsinstrument ab, d.h. dass zukünftig Plattformen gemeinsam mit der EU-Kommission in bestimmten Bereichen eigene Regeln aufstellen dürfen. Dies ist so auch im Verordnungsvorschlag für den Digital Services Act vorgesehen. Die unterzeichnenden Internet-Akteure sind dazu angehalten, im Herbst 2021 der EU-Kommission einen Entwurf zur Umsetzung des verschärften Verhaltenskodex vorzulegen.

Fahrplan zur Ausarbeitung europäischer Digitalgrundsätze – KOM

Im Zusammenhang mit der Mitteilung über den digitalen Kompass vom 9. März 2021 plant die EU-Kommission nun die Erarbeitung einiger digitaler Prinzipien, die den „europäischen Weg“ in die digitale Gesellschaft abstecken sollen (vgl. EiÜ 09/21). Diese Grundsätze sollen zum einen der Information der Bürgerinnen und Bürger und zum anderen als Wegweiser für politische Entscheidungsträger und Akteure des digitalen Bereichs dienen. In ihrem Fahrplan zur Erklärung zu den Digitalgrundsätzen weist die EU-Kommission unter anderem darauf hin, dass die Datenerhebung zur Erarbeitung der Grundsätze in engem Zusammenhang mit den jüngsten wichtigen Gesetzgebungsinitiativen wie dem Data Governance Act, dem Digital Services und Digital Markets Act und dem Verordnungsvorschlag (in Englisch) zu künstlicher Intelligenz steht. Rückmeldungen zum Fahrplan können noch bis zum 9. Juni 2021 und im Rahmen der öffentlichen Konsultation noch bis zum 2. September 2021 abgegeben werden. Die Erkenntnisse fließen in einen für das vierte Quartal 2021 geplanten Vorschlag der EU-Kommission zu den Digitalgrundsätzen ein, die dann in eine interinstitutionelle feierliche Erklärung der EU-Kommission, des EU-Parlaments und des Rates aufgenommen werden.

Konsultation zur EU-weiten Anerkennung der Elternschaft – KOM

Das Gesetzgebungsvorhaben zur EU-weiten Anerkennung der Elternschaft tritt nach Veröffentlichung des Fahrplans der EU-Kommission am 14. April 2021 in die nächste Phase der öffentlichen Konsultation ein (vgl. EiÜ 14/21). Diese ist noch bis zum 11. August 2021 geöffnet und soll allen Interessenten, unter anderem Eltern und Rechtsanwälten mit einem Tätigkeitsschwerpunkt im Familienrecht, ermöglichen, sich zu den politischen Optionen und den sonstigen Aspekten der Initiative über einen Online-Fragebogen zu äußern. Die Ergebnisse dienen der Erarbeitung eines entsprechenden Verordnungsvorschlags der EU-Kommission, dessen Veröffentlichung dann für das zweite Quartal 2022 geplant ist. Das Ziel der Initiative ist es, die Anerkennung der in einem EU-Mitgliedsstaat festgestellten Elternschaft in der gesamten EU zu gewährleisten, sodass Kinder auch in grenzüberschreitenden Situationen ihre Rechte behalten, insbesondere wenn ihre Familienmitglieder innerhalb der EU reisen oder den Wohnort wechseln.  

EU-Parlament äußert sich zum Vorschlag für ein neues Europol-Mandat – EP

Im Dezember 2020 hat die EU-Kommission ihren Verordnungsvorschlag für ein überarbeitetes Mandat von Europol vorgelegt (vgl. EiÜ 42/20). Bestandteile des Vorschlags sind zum einen erweiterte Befugnisse beim Austausch von Daten mit Privaten, Ausweitung der sog. Big-Data Analyse sowie das Verhältnis von Europol zu den Mitgliedsstaaten und anderen Institutionen wie der neu gegründeten Europäischen Staatsanwaltschaft. Der Vorschlag wurde vom DAV in Stellungnahme Nr. 31/21 stark kritisiert (vgl. EiÜ 13/21). Insbesondere wurden fehlende Vorkehrungen zur Sicherung der Grundrechte und des Berufsgeheimnisses bemängelt. Auch von Seiten des Rates der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) kam Kritik am Vorhaben der EU-Kommission. Im LIBE-Ausschuss des EU-Parlaments wurde nun ein Berichtsentwurf (in Englisch) des Berichterstatters Javier Zarzalejos (EVP) vorgelegt, welcher Änderungsvorschläge beinhaltet. Der Berichtsentwurf bewegt sich im Wesentlichen auf der Linie der EU-Kommission und begrüßt den Vorschlag überwiegend. Eine erste Aussprache zu dem Berichtsentwurf fand am 26. Mai 2021 im LIBE-Ausschuss statt. Bis zum 4. Juni 2021 haben die Schattenberichterstatter der anderen Fraktionen Gelegenheit, Änderungsanträge einzubringen.

Berufsgeheimnisschutz bei Onlinedurchsuchung – EP

Der Innenausschuss des EU-Parlaments (LIBE) hat am 26. Mai 2021 den in den interinstitutionellen Verhandlungen erzielten Kompromiss (in Englisch) zwecks Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet als vorübergehende Ausnahme zur E-Privacy-Richtlinie 2002/58/EG mit großer Mehrheit angenommen. Der Kompromisstext betont in den Erwägungsgründen 17c und 17ca, dass das Berufsgeheimnis unter Art. 7 GrCh geschützt ist und die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten von entscheidender Bedeutung ist. Die Achtung des Berufsgeheimnisses sei unabdingbar, um die wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte als wesentlichen Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren zu gewährleisten. Der DAV hatte sich in seiner Stellungnahme Nr. 25/2021 dafür eingesetzt, dass das Berufsgeheimnis zwingend geschützt werden muss. Am 5. Juli 2021 wird das Plenum des EU-Parlaments über den Kompromisstext abstimmen.

Ultimatum von Abgeordneten zur Rechtsstaatlichkeitskonditionalität – EP

Mehrere Abgeordnete des EU-Parlaments haben die EU-Kommission in einer gemeinsamen Erklärung dazu aufgefordert, die Anfang Januar 2021 in Kraft getretene Verordnung 2020/2092/EU über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union endlich anzuwenden (vgl. EiÜ 38/20). Mit Verweis auf die Resolution des EU-Parlaments vom 25. März 2021 drohen sie mit einer Untätigkeitsklage gemäß § 265 AEUV, sofern die EU-Kommission nicht bis zum 1. Juni 2021 die ersten Schritte gemäß Artikel 6 Abs.1 der Verordnung einleitet und das EU-Parlament hierüber informiert. In der Resolution war die EU-Kommission dazu aufgefordert worden, bis 1. Juni 2021 die Leitlinien zur Anwendung der Konditionalitätsregelung auszuarbeiten. In einem politischen Kompromiss hatte sich der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen im Dezember 2020 hingegen darauf verständigt, dass die Leitlinien zur Anwendung im Falle einer Nichtigkeitsklage vor dem EuGH erst nach dem Urteil fertig gestellt werden sollen. Eine solche hatten Ungarn und Polen im Frühjahr eingereicht.

EuGH stellt Rechtsprechungsbericht und Jahresbericht 2020 vor – EuGH

Kürzlich hat der EuGH seinen Jahresbericht 2020 vorgelegt, in welchem die Tätigkeiten des EuGH im vergangenen Jahr zusammengefasst werden und bedeutende Entscheidungen in den Vordergrund gestellt werden. Ausweislich des Berichts hatte die COVID-19 Pandemie zur Folge, dass die Zahl neu eingegangener und erledigter Rechtssachen leicht rückläufig war und in etwa dem Niveau der Zahlen aus 2017 entspricht. Wenig überraschend machen Vorabentscheidungsersuchen den größten Anteil an neuen Rechtssachen aus, interessant ist allerdings, dass die mit Abstand meisten Ersuchen aus Deutschland kommen. Bedeutende Urteile des EuGH aus 2020 umfassen beispielsweise die Rs. C-354/20 und C-412/20 zur Vollstreckung eines in Polen ausgestellten Europäischen Haftbefehls (vgl. EiÜ 38/20), die Rs. C-311/18 zum EU-US Privacy Shield (vgl. EiÜ 27/20) sowie die Rs. C-623/17 und C-511/18 zur ansatzlosen Vorratsdatenspeicherung (vgl. EiÜ 33/20). Neben dem Jahresbericht hat der EuGH auch einen Rechtsprechungsbericht vorgestellt, welcher nach Themen geordnet Entscheidungen des EuGH zusammenfasst.

EGMR urteilt zur Massenüberwachung von Kommunikation – EGMR

Die Große Kammer des EGMR hat am 26. Mai 2021 in den Rs. Big Brother Watch and others v. The United Kingdom (Nr. 58170/13, 62322/14, 24960/15; in Englisch) und in Centrum för rättvisa v. Sweden (Nr. 35252/08; in Englisch) Maßnahmen zur Massenüberwachung von Kommunikation im Vereinigten Königreich und in Schweden als teilweise konventionswidrig befunden. Anlass zu diesen Klagen gaben die von Edward Snowden geleakten Dokumente zum Datenaustausch zwischen Nachrichtendiensten in den USA und im Vereinigten Königreich. Die massenhafte Überwachung von Kommunikation ist nach Auffassung des Gerichtshofs nur dann zulässig, wenn ausreichende Sicherungsvorkehrungen wie eine vorherige unabhängige Genehmigung der Maßnahme, worin auch der Umfang der Maßnahme genau definiert wird, oder eine unabhängige nachträgliche Überprüfung bestehen. Dem genügt das im Vereinigten Königreich bestehende System nicht. Neben einer Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) stellte der EGMR auch eine Verletzung von Art. 10 EMRK (Freiheit der Meinungsäußerung) fest, da keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen wurden, um sicherzustellen, dass Kommunikationen, die dem Schutz der Quellen von Journalisten unterfallen, ausschließlich nach richterlicher Anordnung gespeichert werden dürfen. Das schwedische System, das nach Auffassung des Gerichtshofs zwar überwiegend den Anforderungen der EMRK entspricht, wurde nichtsdestotrotz im Hinblick auf die Massenüberwachung mittels sog. signal intelligence als nicht mit Art. 8 EMRK vereinbar angesehen, da es an einer unabhängigen nachträglichen Überprüfung fehlt.

Deutschland gibt Vorsitz im Ministerkomitee an Ungarn ab – Europarat

Das Ende der deutschen Präsidentschaft im Ministerkomitee des Europarats am 21. Mai 2021 bietet Anlass für einen Rückblick auf die Errungenschaften des deutschen Vorsitzes (vgl. EiÜ 39/20). Den Schwerpunkt (in Englisch) ihrer Arbeit setzte die deutsche Präsidentschaft auf die Schaffung internationaler Standards für die Regulierung von künstlicher Intelligenz und den Schutz der Menschenrechte im Internet durch die Bekämpfung von Hassrede. Um effektive Lösungsansätze zu erarbeiten, wurde großen Wert auf einen bürgernahen und zukunftsorientierten Dialog gelegt, vor allem mit der jungen Generation. In diesem Rahmen wurden zahlreiche Online-Konferenzen veranstaltet, wie eine Expertenkonferenz (in Englisch) zur effektiven Umsetzung der EGMR-Urteile und ein Workshop (in Englisch) zum Thema "KI und Jugend". Zudem nutzte Deutschland den Synergieeffekt des im Jahr 2020 parallel verlaufenden deutschen Vorsitzes im Rat der EU, um nach mehrjährigem Stillstand die Aufnahme der Verhandlungen über den Beitritt der EU zur EMRK zu unterstützen. Bis zum November 2021 steht das Ministerkomitee des Europarats nun unter ungarischem Vorsitz. Ungarn definierte seine Prioritäten (in Englisch) für die nächsten Monate u.a. in den Bereichen des Schutzes nationaler Minderheiten, der Kinderrechte, der Digitalisierung der Justiz und der technischen Herausforderungen in Umweltfragen.

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