EiÜ 21/2020
Digital Services Act: Kommission konsultiert – KOM
Die Europäische Kommission hat am 2. Juni 2020 eine öffentliche Konsultation zum geplanten Legislativpaket über digitale Dienste (Digital Services Act) eröffnet (s. Pressemitteilung). Bürger, Unternehmen und sonstige Interessenträger sind aufgefordert, bis zum 8. September 2020 ihre Meinung zum künftigen Regelungsumfeld von Online-Plattformen abzugeben. Konkret abgefragt werden Positionen zur Online-Sicherheit, Haftung, Marktbeherrschung, Online-Werbung und Smart contracts, zur Online-Selbstständigkeit und zu einem möglichen zukünftigen Regelungsrsahmen für Online-Dienste. Hauptschwerpunkte des geplanten Gesetzespakets über digitale Dienste werden Regeln zur Verantwortlichkeit von Dienstanbietern (vgl. Folgenabschätzung) sowie die Prüfung einer Vorabregulierung zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs (vgl. Folgenabschätzung) sein. Dazu sollen voraussichtlich die 20 Jahre alte E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG und die Platform-to-Business Verordnung 2019/1150 zum Teil überarbeitet werden.
Polnische Richter legen Beschwerden gegen Polen ein – EGMR
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einer Pressemitteilung mitgeteilt, dass vier Beschwerden gegen den Staat Polen eingegangen und der polnischen Regierung zur Stellungnahme übermittelt worden seien. Bei den Antragstellern handelt es sich um polnische Staatsangehörige, die zum maßgeblichen Zeitpunkt Posten als Richteranwärter, amtierende Richter bzw. Staatsanwalt innehatten und sich um freie Posten in einer Reihe von Gerichten beworben hatten. Laut Beschwerdeanträgen erfüllten sie sämtliche geltenden rechtlichen Voraussetzungen, dennoch lehnte Staatspräsident ihre Ernennung ohne nähere Begründung ab. Weiterhin beschweren sie sich über die Weigerung der Verwaltungsgerichte und des Verfassungsgerichts, ihre eingelegten Rechtsmittel zu prüfen, mit der Begründung, sie seien unzuständig. Die Beschwerden werden insbesondere auf das Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 sowie das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention gestützt.
Justiz, Corona & deutsche Ratspräsidentschaft: EU-Justizminister diskutieren – Rat
Am 4. Juni 2020 versammelten sich die Justizminister/innen der EU-Mitgliedsstaaten via Videokonferenz unter der Teilnahme von Justizkommissar Didier Reynders. Erörtert wurden die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Justiz in der EU auf Basis von Analysen der Kommission und des EU-Grundrechteagentur. Des Weiteren wurde der Verordnungsvorschlag über die Drittwirkung von Forderungszessionen diskutiert (vgl. EiÜ 17/20). Der Rat veröffentlichte eine Mitteilung der kroatischen Präsidentschaft (nur in englischer Fassung) zu den Kernpunkten des Verordnungsvorschlags und möchte die Diskussion hierüber fortsetzen. Dabei haben sich die Ministerinnen und Minister weitgehend für ein Rückwirkungsverbot und eine universelle Anwendung der Verordnung ausgesprochen. Im Rahmen des Meinungsaustauschs über die Frage der Auslieferung von EU-Bürgern an Drittstaaten, u.a. nach dem Urteil in der Rs. „Petruhhin“ C-182/15, kamen die Minister überein, Eurojust und das Europäische Justizielle Netz (EJN) um eine Analyse zu bitten, wie Auslieferungsersuchen von Drittstaaten betreffend EU-Bürger in der Praxis gehandhabt werden. Schließlich stellte die deutsche Ratspräsidentschaft ihr Arbeitsprogramm im Bereich der Justiz vor, das sich auf die Themen Zugang zum Recht, Opferrechte, Digitalisierung und künstliche Intelligenz, Desinformation und Hassreden, die Europäische Staatsanwaltschaft sowie die Gewährleistung der Widerstandsfähigkeit und des Vertrauens in die EU-Justizsysteme konzentrieren wird.
IPR: Zuständigkeit für Vollstreckungsabwehrklage – EuGH
Der EuGH hat in der Rs. C-41/19 am 4. Juni 2020 entschieden, dass sich die Zuständigkeit für eine Vollstreckungsabwehrklage nach der Zuständigkeit des Gerichts des Mitgliedsstaats richte, in dem die Zwangsvollstreckung beantragt wird. Damit folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts (vgl. EiÜ 8/20). Das angerufene deutsche Gericht, das mit der Abwehrklage befasst war, hatte Zweifel über seine Zuständigkeit nach der EU-Unterhaltsverordnung Nr. 4/2009 (EU-UntVO) und fragte, ob es sich bei dem Vollstreckungsabwehrantrag gemäß § 767 ZPO gegen einen ausländischen Unterhaltstitel um eine Unterhaltssache handelt oder um ein Verfahren nach der Verordnung Nr. 1215/2012. Der EuGH begründet die Zuständigkeit der Gerichte des Vollstreckungsmitgliedsstaats damit, dass sich aus Art. 41 Abs 1 EU-UntVO Nr. 4/2009 implizit und zwangsläufig ergebe, dass ein Antrag, der in einem engen Zusammenhang mit dem Unterhaltsverfahren steht, in die Zuständigkeit der Gerichte des Vollstreckungsmitgliedsstaats fällt. Zuständig sind also Gerichte des Vollstreckungsmitgliedsstaats für Verfahren zur Vollstreckung einer erlassenen Entscheidung, mit der ein Unterhaltsanspruch festgestellt worden ist, – wie der Vollstreckungsabwehrantrag – ebenso wie für den Antrag auf Vollstreckung dieser Entscheidung selbst. Die Beurteilung der Zulässigkeit und Schlüssigkeit der Abwehrklage obliegt schließlich dem nationalen Gericht.
Generalanwältin: Militärdienstverweigerung als Asylgrund – EuGH
Am 28. Mai 2020 plädierte Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen in der Rs. C‑238/19 vor dem EuGH dafür, dass syrische Militärdienstverweigerer in der EU Asyl erhalten können. Hintergrund war die Klage eines syrischen Staatsbürgers, der aus seinem Heimatland geflohen war, um der Einberufung ins Militär zu entgehen. Das BAMF in Deutschland erkannte zwar einen subsidiären Schutzstatus des Betroffenen an, lehnte aber die Anerkennung als Flüchtling ab, da keine Verfolgung in seinem Heimatland vorgelegen habe. Der Kläger machte dagegen geltend, eine begründete Furcht vor Verfolgung zu haben, weil er mit der Kriegsdienstverweigerung eine politische Überzeugung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. e der Anerkennungsrichtlinie vertreten würde. Das VG Hannover legte dem EuGH den Fall daraufhin zur Auslegung dieser Richtlinie vor. Generalanwältin Sharpston kommt zu dem Schluss, dass die Verweigerung des Militärdienstes in einem Land mit einer politischen Lage wie in Syrien grundsätzlich eine asylrelevante politische Überzeugung darstellen kann. Generell könne es hierzu allerdings keine pauschale Antwort geben. Vielmehr müsse die zuständige Behörde im Einzelfall entscheiden, wobei insbesondere die Hintergründe im Herkunftsland des Asylsuchenden zu berücksichtigen sind.
Bei Umweltverstößen einfacher gegen Infrastrukturprojekte klagen – EuGH
Der EuGH hat das Klagerecht von Privatleuten gegen große Projekte, die der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) unterfallen, gestärkt. In der Rs. C-535/18 hatte sich der Gerichtshof mit dem Bauprojekt eines Autobahnzubringers nahe Detmold zu befassen, gegen das Grundstückseigentümer und Landwirte geklagt hatten. Das BVerwG hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, inwiefern die Betroffenen überhaupt gegen die Planfeststellung klagebefugt seien, wenn umweltrechtliche Vorschriften – im vorliegenden Falle der EU-Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG – nicht eingehalten worden seien. In seiner Antwort auf die erste Vorlagefrage befand der EuGH § 4 Abs. 3 Satz 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes für unionsrechtskonform, wonach Privatkläger die Nichtigerklärung einer Projektgenehmigung wegen eines Verfahrensfehlers nur verlangen können, wenn sie nachweisen, dass ihnen selbst das nach Art. 6 der UVP-Richtlinie 2011/92/EU garantierte Recht auf Beteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren genommen wurde. Der EuGH betonte zudem, dass die Geltendmachung wasserrechtlicher Verstöße durch Privatpersonen nur dann möglich sei, wenn diese durch die Verletzung unmittelbar subjektiv betroffen seien.
Kommentare