Europa im Überblick, 25/2020

EiÜ 25/2020

KI im Justizbereich braucht klare Grenzen – DAV

Gerichtliche und ähnlich eingriffsintensive verbindliche Entscheidungen staatlicher Instanzen dürfen niemals vollständig automatisiert werden. Dies ist eine der Feststellungen des DAV in seiner Stellungnahme Nr. 40/2020 zur Konsultation der EU-Kommission zum Weißbuch zur Künstlichen Intelligenz (vgl. dazu EiÜ 7/20). Im Bewusstsein um die zunehmende Bedeutung künstlicher Intelligenz in der modernen Gesellschaft und die möglichen Vorteile, die diese Technologie auch für das Justizwesen schaffen kann, empfiehlt der DAV der Kommission, bei der Ausarbeitung eines neuen Rahmenwerks zur künstlichen Intelligenz die besonders hohen Grundrechtsrisiken zu berücksichtigen, mit denen die Einführung von KI im Justizwesen verbunden ist. Daher sollte sie strengen Anforderungen unterworfen werden. In jedem Fall müssen umfassende und sinnvolle Transparenzpflichten eingehalten werden. Darüber hinaus müssen die Haftungsregeln auf EU-Ebene in Bezug auf KI erweitert werden. Ebenso müssen wirksame Rechtsbehelfs- und Kontrollmechanismen für den Einsatz von KI im Bereich der Justiz und der öffentlichen Verwaltung geschaffen werden. Um den von der EU verfolgten menschenzentrierten Ansatz zu gewährleisten, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten, dafür sorgen, dass die zunehmende Automatisierung von Dienstleistungen nicht zu einem Abbau von Arbeitsplätzen im Justizsektor führt, sondern zusätzliche Ausbildungsangebote und einen verstärkten Wissensaustausch für Angehörige von Rechtsberufen im Bereich KI schaffen.

EU-Ratspräsidentschaft unter deutschem Vorsitz – Rat

Seit dem 1. Juli 2020 hat Deutschland den Vorsitz im Rat inne und sein Arbeitsprogramm mit dem Titel „Gemeinsam Europa wieder stark machen“ vorgestellt. Gemeinsam mit Deutschland sind auch Portugal und Slowenien Teil der sog. Trioratspräsidentschaft, welche sich in einem gemeinsamen 18-Monats-Programm langfristige Ziele gesetzt hat. In den nächsten sechs Monaten werden insbesondere die Themen Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie und die Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens im Fokus stehen. Daneben werden u.a. der Brexit, die Künstliche Intelligenz und die Veröffentlichung des ersten jährlichen Rechtsstaatlichkeitsberichts in die deutsche Präsidentschaft fallen (s. DAV-Pressemitteilung 21/20). Weitere Punkte im Programm umfassen u.a. die Themen Geldwäschebekämpfung, elektronische Beweismittel, die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie das geistige Eigentum. Noch vor der Pandemie nannte Deutschland die geplante Reform der Asyl-und Migrationspolitik als Priorität. Diese soll nun unter der deutschen Ratspräsidentschaft angestoßen werden, obgleich ein Abschluss bis Dezember 2020 offen bleibt.

Konsultationen im Verbraucherrecht gestartet – KOM

Am 23. Juni 2020 hat die EU-Kommission drei für das Verbraucherrecht relevante Konsultationen gestartet. Dies betrifft zunächst die neue Verbraucheragenda, die neugestaltet werden muss, da die derzeitige Verbraucheragenda aus dem Jahr 2012 stammt und im Jahr 2020 ausläuft. Die Schwerpunkte der Agenda sollen darauf liegen, die Verbraucherpolitik an den grünen und digitalen Wandel anzupassen und auch die Auswirkungen der COVID-Pandemie miteinbeziehen. Eine Rückmeldung zum Fahrplan ist bis 11. August 2020 möglich. Des Weiteren ist die Neufassung dreier sektoraler Initiativen im Jahr 2021 geplant. Dies betrifft eine Initiative zur Verbesserung der Information über nachhaltige Produkte, die Überarbeitung der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG und der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG. Mit der Überarbeitung der Produktsicherheitsrichtlinie soll diese an die neuen technologischen Herausforderungen angepasst werden und eine Vereinfachung bei der Durchsetzung von Rechten erzielt werden. Eine Rückmeldung zum Fahrplan ist bis 1.September 2020 möglich. Bei der Überarbeitung der Verbraucherkreditrichtlinie wurden im Rahmen der Evaluierung Verbesserungsbedarf bezüglich des Anwendungsbereichs und bei der Bereitstellung von Informationen und der Bewertung der Kreditwürdigkeit festgestellt. Im Rahmen der Folgenabschätzung sollen die Auswirkungen von COVID-19 auf den Kreditmarkt für Verbraucher miteinbezogen werden. Eine Rückmeldung zum Fahrplan ist bis zum 1. September 2020 möglich.

Europäischer Haftbefehl: Licht und Schatten – KOM

Der Europäische Haftbefehl ist seit seiner Einführung im Jahr 2004 das am häufigsten genutzte Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU. Dies befindet die EU-Kommission in ihrem Umsetzungsbericht vom 2. Juli 2020 und zieht ein insgesamt positives Fazit. Die in den drei vorigen Umsetzungsberichten ausgesprochenen Empfehlungen sind demnach von einigen Mitgliedstaaten aufgegriffen worden und etwa die bislang nicht vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls eingeführt worden. Einige Mitgliedstaaten haben die Empfehlungen und die immer umfangreichere Rechtsprechung des EuGH zum Europäischen Haftbefehl in ihrer nationalen Gesetzgebung allerdings bislang nicht berücksichtigt. Hier will die EU-Kommission wenn erforderlich Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Der Bericht wird begleitet von Statistiken zum Europäischen Haftbefehl für das Jahr 2018. Demnach wurden 2018 bei 27 Mitgliedstaaten nahezu ebenso viele Haftbefehle ausgestellt, wie im Vorjahr mit 28 Mitgliedstaaten. 7000 gesuchte Personen wurden an andere Mitgliedstaaten übergeben. Seit 2005 wurden insgesamt 185575 Europäische Haftbefehle ausgestellt, von denen etwa ein Drittel vollstreckt wurden.

In Zukunft mehr Videokonferenzen bei Gericht – EP/Rat

Am 30. Juni 2020 haben sich der Rat und das EU-Parlament im Hinblick auf die Neufassung der Zustellverordnung Nr. 1393/2007 und Beweisaufnahmeverordnung Nr. 1206/2001 geeinigt. Die beiden Verordnungen bilden ein Paket zur Modernisierung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen. Durch die Änderungen soll die Effizienz und die Geschwindigkeit grenzüberschreitender Gerichtsverfahren verbessert werden, indem die Digitalisierung und moderne Technologien genutzt werden, um den Zugang zur Justiz zu verbessern. Die Änderungen an beiden Verordnungen sehen unter anderem vor, dass für die Übermittlung von Dokumenten und Anfragen zwischen den Mitgliedsstaaten verpflichtend ein dezentrales elektronisches IT-System, das aus miteinander verbundenen nationalen IT-Systemen besteht, verwendet wird. Mit den Verordnungen wird die Kommission auch mit der Schaffung, Wartung und Pflege sowie mit der künftigen Weiterentwicklung einer Referenzsoftware betraut, die die Mitgliedstaaten als ihr Back-End-System anstelle nationaler IT-Systeme anwenden können. Mit der Neufassung der Beweisaufnahmeverordnung wird auch der Einsatz von Videokonferenzen oder anderen Fernkommunikationsmitteln bei der Beweisaufnahme gefördert, was bedeutet, dass Zeugen, Parteien oder Sachverständige, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat aufhalten, vernommen werden können.

Abschiebehaft von „Gefährdern“ – EuGH

„Gefährder“ dürfen für die Dauer ihrer Abschiebehaft in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht werden. Dies entschied der EuGH am 2. Juli 2020 über die Vorlagefrage des BGH in der Rechtssache C-18/19 und folgte damit den Schlussanträgen des Generalanwalts (vgl. EiÜ 8/20). Gegenstand war die Auslegung von Art.16 Abs.1 der Rückführungsrichtlinie 2008/115, der die Unterbringung von illegalen Drittstaatsangehörigen in speziellen Abschiebeeinrichtungen vorsieht, vgl. §62a I AufenthG. Ein tunesischer Staatsbürger, der als „Schleuser und Rekrutierer für den islamischen Staat“ vom Verfassungsschutz eingestuft worden war, wehrte sich gegen die Anordnung der Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt durch das Amtsgericht Frankfurt/Main. Der EuGH bejahte die Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie. Die Berufung auf den Schutz der inneren Sicherheit nach Art. 72 AEUV stelle keine Ermächtigungsgrundlage für die Mitgliedsstaaten dar, von einer Bestimmung des Unionsrechts abzuweichen. Im Übrigen sei die Unterbringung sich illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in gewöhnlichen Haftanstalten zulässig. Sowohl die Systematik der Richtlinie, die in Art.16 Abs.1 S. 2 und Art. 18 Abs. 1 auf Ausnahmen von dem Grundsatz der getrennten Unterbringung von Strafgefangenen hinweise, als auch deren Zweck erlaube es den Mitgliedstaaten, Drittstaatangehörige in gewöhnlichen Haftanstalten unterzubringen. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Union berühre und die getrennte Unterbringung von Strafgefangenen.

Rückführungsrichtlinie: Parlament mahnt Änderungen an – EP

Im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments wurde in dieser Woche der Berichtsentwurf der Berichterstatterin Tineke Strik zum Entwurf der überarbeiteten Rückführungsrichtlinie vorgestellt. Der Berichtsentwurf greift die vom DAV in seiner Stellungname Nr. 61/2018 geäußerten Bedenken auf, wonach die erhebliche Ausweitung der Kriterien für das Vorliegen einer Fluchtgefahr als Haftgrund in Art. 6 unverhältnismäßig und z.T. nicht EMRK-konform ist. Die Frist von fünf Tagen für einen Rechtsbehelf in Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie bei Rückkehrentscheidung gemeinsam mit einer bestandskräftigen Ablehnung eines Asylantrags sei zudem zu kurz gefasst. Der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments hat derweil eine Studie zur Umsetzung der bisherigen Rückführungsrichtlinie 2008/115 veröffentlicht, die mehrere Schutzlücken in Bezug auf die vier Schlüsselmaßnahmen der Rückführungsrichtlinie – Rückkehrentscheidung, Vollstreckung der Rückkehrentscheidung, Einreiseverbot und Auslieferungshaft – feststellt, die zu Grundrechtsverletzungen für irreguläre Migranten führen können.

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