Europa im Überblick, 26/2021

EiÜ 26/2021

Datenwirtschaft soll in einheitlichem Datengesetz reguliert werden – KOM

Die EU-Kommission hat heute eine öffentliche Konsultation zum geplanten Datengesetz abgeschlossen, an der sich der DAV mit Stellungnahme Nr. 50/2021 beteiligt hat. Neben dem bereits veröffentlichten Verordnungsvorschlag über europäische Daten-Governance (vgl. EiÜ 40/20) hatte die EU-Kommission bereits in ihrer europäischen Datenstrategie (vgl. EiÜ 07/20) angekündigt, umfassende Regelungen zur Datenwirtschaft zu erarbeiten. In der vorausgegangen Folgenabschätzung in der Anfangsphase (in Englisch) hatte die EU-Kommission ihre Ziele zum geplanten Datengesetz vorgestellt; u.a. besserer Zugang zur Datenwirtschaft für KMUs, faire Wettbewerbsbedingungen sowie Effizienzsteigerung. In seiner Stellungnahme empfiehlt der DAV, nicht alle Detailfragen zur Datenwirtschaft in einen einzigen Gesetzgebungsakt zu übernehmen. Stattdessen sollten die einzelnen Problemkreise individuell betrachtet werden. Der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission wird im vierten Quartal 2021 erwartet.

Scharfe Kritik am EU-Migrationspakt – EP

Zwei durch das EU-Parlament in Auftrag gegebene Studien äußern deutliche Kritik am EU Asyl- und Migrationspakt, den die EU-Kommission am 23. September 2020 vorgestellt hat (vgl. EiÜ 31/20; DAV-Pressemitteilung Nr. 29/20 und DAV-Stellungnahme Nr. 08/2021). Sowohl die Studie (in Englisch) des Wissenschaftlichen Dienstes des EU-Parlaments (EPRS) als auch die Studie (in Englisch) des Policy Departments for Citizens‘ Rights and Constitutional Affairs kritisieren, dass das Prinzip, dass der erste Einreisestaat für Asylsuchende zuständig ist, verschärft werde. Damit würden Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten bei der Aufnahme und Verteilung von Asylsuchenden verstärkt. Wie bereits der DAV äußert die EPRS-Studie zudem erhebliche Bedenken mit Blick auf das vorgesehene vereinfachte Grenzaufnahmeverfahren für Geflüchtete mit geringen Erfolgsaussichten im Anerkennungsverfahren. Es sei zu befürchten, dass es zu exzessiven Eingriffen in die persönliche Freiheit der Asylsuchenden durch Verhaftungen komme. Zudem werde deren Zugang zu Gerichten unangemessen erschwert, weil nur eine Rechtsmittelinstanz bestehe und Rechtsmittel gegen Ablehnungsentscheidungen keine aufschiebende Wirkung entfalten. Unabhängig von diesen Kritikpunkten erscheint es jedenfalls überaus zweifelhaft, ob die Vorhaben des Asyl- und Migrationspaktes im Gesetzgebungsverfahren in EU-Parlament und Rat mehrheitsfähig sind.

EU-Parlament fordert Gesetzgebungsvorschlag zu legaler Migration – EP

Der Innenausschuss des EU-Parlaments (LIBE) diskutiert derzeit darüber, die EU-Kommission nach Art. 225 AEUV dazu aufzufordern, eine Gesetzesinitiative zur Verbesserung der legalen Migration vorzulegen. Nach einem Berichtsentwurf des LIBE-Ausschusses vom  12. Juli 2021 soll ein EU-weiter Talentpool eingerichtet werden, der es Arbeitgebern in der EU ermöglicht, gezielt mit potentiellen Arbeitnehmern aus Drittstaaten in Verbindung zu treten. Hiermit soll der Arbeitnehmerknappheit auf den nationalen Arbeitsmärkten begegnet werden. Weiterhin schlägt der Berichtsentwurf vor, die Aufnahme von Selbstständigen und Unternehmern aus Drittstaaten zu erleichtern sowie die Mobilität und den Zugang zum Arbeitsmarkt für Angehörige aus Drittstaaten, die sich bereits in der EU aufhalten, zu verbessern. Der Berichtsentwurf wurde im LIBE-Ausschuss weitgehend positiv aufgenommen. Kritik wurde aber insbesondere von Vertretern der rechtspopulistischen Fraktionen geäußert, die vor allem bemängelten, dass es keine Rechtsgrundlage für ein derartiges Tätigwerden der EU in den Verträgen gäbe.

Konsequentes Vorgehen gegen Polen und Ungarn gefordert – EP

Die Abgeordneten des Innenausschusses des EU-Parlaments (LIBE) haben am 1. September 2021 über den Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission diskutiert und ein durchwachsenes Fazit gezogen (vgl. EiÜ 25/21). U.a. wurden deutlichere Empfehlungen und striktere zeitliche Vorgaben zur Umsetzung gefordert. Auch mit Blick auf die Lage der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen bemängeln die Abgeordneten ein nicht hinreichend konsequentes Vorgehen gegen beide Mitgliedstaaten. Zu den laufenden Artikel 7 EUV Verfahren erklärte der slowenische Justizminister, der ebenfalls an der Sitzung im LIBE-Ausschuss teilgenommen hat, dass diese eine der Prioritäten der slowenischen Ratspräsidentschaft darstellen und auch auf dem Rat für allgemeine Angelegenheiten im Dezember 2021 behandelt werden (vgl. EiÜ 24/21; 23/21). Auch mit Blick auf die Anwendung der Vorschriften zur Rechtsstaatlichkeitskonditionalität zum „Schutz“ des EU-Haushalts scheint die Geduld des EU-Parlaments zu Ende zu sein. Am 30. August 2021 entschied die Konferenz der Präsidenten des EU-Parlaments, Vorbereitungen für eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission beim EuGH einzuleiten. Damit spitzt sich der seit Monaten andauernde Konflikt zwischen den EU-Institutionen nun endgültig zu.

Übersetzung eines Bußgeldbescheids ist nicht zwingend – EuGH

Am 2. September 2021 hat Generalanwalt Bobek seine Schlussanträge in der Rs. C-338/20 vorgelegt. Darin ging es um die Frage, ob ein Staat die Vollstreckung einer Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße verweigern darf, wenn der Bescheid ohne Übersetzung in eine für den Adressaten verständliche Sprache zugestellt wird. Im zugrundeliegenden Verfahren wurde einem polnischen Staatsangehörigen wegen eines Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung in den Niederlanden ein Bußgeld auferlegt. Der später zugestellte Bescheid war jedoch nur in niederländischer Sprache verfasst. Nach Auffassung des Generalanwalts führt dies nicht dazu, dass die Vollstreckung verweigert werden darf, da der Rahmenbeschluss 2005/214/JI zur gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen hierzu keine Regelung enthält. Auch bestehe in der EU kein einheitlicher Ansatz für die Sprachenregelung bei grenzüberschreitend zugestellten Dokumenten. Soweit von den Beteiligten geltend gemacht wurde, dass sich aus Art. 20 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses in Verbindung mit dem Recht auf ein faires Verfahren das Erfordernis einer Übersetzung ergebe, wird dies nur in Ausnahmefällen vom Generalanwalt geteilt. Die fehlende Übersetzung resultiert nach seiner Ansicht nicht zwangsläufig in einem Verstoß gegen das faire Verfahren, kann aber in Einzelfällen, z.B. wenn es sich um ein Verfahren handelt, das vollständig in Abwesenheit der betroffenen Person erfolgt ist, sehr wohl zu einem Verstoß führen. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend.

Einheitliche Anwendung von ne bis in idem im Wettbewerbsrecht – EuGH

In seinen Schlussanträgen vom 2. September 2021 in der Rs. C-151/20 appelliert Generalanwalt Bobek für eine einheitliche Prüfung der Anwendbarkeit des ne bis in idem Prinzips aus Art. 50 GRCh im Bereich des Wettbewerbsrechts. Das Verbot der Doppelbestrafung greift demnach nur dann, wenn sowohl die Person des Zuwiderhandelnden, der Sachverhalt als auch das geschützte Rechtsgut in beiden Verfahren identisch sind. Die Identität des Rechtsguts ist auch dann zu bejahen, wenn – wie im zugrundeliegenden Fall zweier deutscher grenzüberschreitend agierender Zuckerhersteller – die Wettbewerbsbehörden zweier Mitgliedstaaten sowohl ihre nationalen Wettbewerbsregeln als auch die europäische Bestimmung des Art. 101 AEUV anwenden. In der ähnlich gelagerten Rs. C-117/20 bestätigt der Generalanwalt seine Auffassung einer einheitlichen Prüfung. Darin wurden dem belgischen Postunternehmen bpost in zwei aufeinanderfolgenden Verfahren wegen Verstoßes gegen das Postrecht und gegen das Wettbewerbsrecht Geldbußen auferlegt. Laut den Schlussanträgen hindert ein früherer Freispruch vom Vorwurf des Verstoßes gegen sektorspezifische Regelungen die zuständige Behörde jedoch nicht an der Verhängung eines Bußgeldes nach wettbewerbsrechtlichen Vorschriften, wenn sich das spätere Verfahren in einem der drei genannten Kriterien vom früheren Verfahren unterscheidet. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend.

Neue Webseite für Beschwerdeführer schafft Übersichtlichkeit – EGMR

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat eine neue Seite für Beschwerdeführer („applicants page“) auf seiner Webseite eingerichtet. Sie enthält eine übersichtliche Darstellung der Zulässigkeitserfordernisse, der Formerfordernisse einer Beschwerde sowie des Verfahrensgangs am EGMR und ist in allen Amtssprachen der Mitgliedsstaaten des Europarats abrufbar. Das online verfügbare Beschwerdeformular muss weiter postalisch an den EGMR gesandt werden. Die Beschwerdefrist zum EGMR wird sich ab dem 1. Februar 2022 von sechs auf vier Monate verringern. Grund ist das kürzlich in Kraft getretene Protokoll Nr. 15 zur EMRK (vgl. EiÜ 18/21), in dem die Fristverkürzung nach Ablauf einer Übergangsfrist vorgesehen ist.

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