Europa im Überblick, 27/2021

EiÜ 27/2021

Finanzielle Sanktionen gegen Polen beantragt – KOM

Die EU-Kommission hat beim EuGH die Festsetzung eines täglichen Zwangsgeldes gegen Polen wegen der Nichtumsetzung der einstweiligen Anordnung des EuGH in der Rechtssache C-204/21 R (in Französisch) vom 14. Juli 2021 beantragt. Wie in der Pressemitteilung verkündet, hat die EU-Kommission gleichzeitig ein Anhörungsschreiben nach Art. 260 AEUV an Polen gerichtet, mit dem sie feststellt, dass Polen nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-791/19 vom 15. Juli 2021 nachzukommen. Sollte sie mit der Antwort Polens auf dieses Schreiben nicht zufrieden sein, kann sie erneut den EuGH anrufen. Die Rechtssachen betreffen unterschiedliche Aspekte der polnischen Justizreform im Zusammenhang mit der polnischen Disziplinarordnung und der Tätigkeiten der polnischen Disziplinarkammer (vgl. EiÜ 03/21, 41/20, 17/20, 14/20). Mit der einstweiligen Anordnung vom 14. Juli 2021 hatte der EuGH Polen u.a. dazu aufgefordert, die Tätigkeit der Disziplinarkammer vorläufig auszusetzen. Durch das Urteil vom 15. Juli 2021 hatte der EuGH festgestellt, dass die polnische Disziplinarordnung gegen Unionsrecht verstößt. Die Kommission ist der Meinung, dass Polen den Entscheidungen u.a. deswegen nicht vollständig nachgekommen sei, weil weiterhin Disziplinarverfahren gegen polnische Richter betrieben würden, die Disziplinarkammer noch immer tätig sei und weiterhin Disziplinargerichte erster Instanz ernannt würden.

Gender Pay Gap: Parlament zeigt sich ambitioniert – EP

Die Berichterstatterinnen im Ausschuss für Frauenrechte und Gleichstellung (FEMM), Samira Rafaela, und im Ausschuss für Beschäftigung und Soziale Angelegenheiten (EMPL) des EU-Parlaments, Kira Marie Peter-Hansen, haben ihren Berichtsentwurf zum Legislativvorschlag zur Beseitigung des Gender Pay Gaps vorgelegt. Sie zeigen sich in mehreren Punkten ambitionierter als die EU-Kommission in ihrem Vorschlag (vgl. EiÜ 08/21) und liegen damit auf Linie mit der DAV-Stellungnahme Nr. 41/21.  Wie der DAV ist auch das Parlament der Auffassung, dass der Schwellenwert von 250 Beschäftigten für die Berichtspflicht zu hoch angesetzt ist und will eine solche Pflicht ab 10 Beschäftigten begründen. Eine Sammelklage sieht das Parlament wie vom DAV gefordert für Verbände und Organisationen für mehrere und nicht lediglich individuelle Arbeitnehmer/innen vor. Der DAV fordert jedoch ein echtes Verbandsklagerecht, das nicht nur für die beteiligten Arbeitnehmer/innen Wirkung entfaltet, sondern diskriminierende Praktiken im gesamten Unternehmen beseitigt. Die Auskunftsansprüche von Bewerbern und von Angestellten hinsichtlich des Durchschnittsentgelt, das in vergleichbaren Positionen gezahlt wird, wird durch das EU-Parlament erweitert. So soll künftig – wie vom DAV gefordert - die Angabe des Median vorgeschrieben sein, um eine Verfälschung der Werte durch einzelne „Ausreißer“ nach oben und unten zu vermeiden.

Treffen der EU-Verfassungsgerichte mit dem EuGH – BVerfG/EuGH

Auf Einladung des lettischen Verfassungsgerichts haben sich am 2./3. September 2021 Vertreter der Verfassungsgerichte der EU-Mitgliedsstaaten und des EuGH zu einer in dieser Form erstmalig stattfindenden Diskussionsrunde getroffen. Thema der Diskussion war die Frage, wie nationale Verfassungsidentitäten mit Grundprinzipien des EU-Rechts, insbesondere mit dem Vorrang des EU-Rechts vereinbart werden können. Anlass hierzu hat insbesondere das PSPP-Urteil des BVerfG vom Mai 2020 (vgl. EiÜ 19/20) gegeben, in welchem das BVerfG u.a. auch das Urteil des EuGH in Rs. C-493/17 als sog. ultra-vires Akt bewertete. Aber auch der aktuelle Konflikt zwischen dem polnischen Verfassungsgericht und dem EuGH zeigt die Brisanz der Fragestellung. Die Präsidentin des lettischen Verfassungsgerichts sieht die Notwendigkeit einheitlicher Kriterien, wie mit nationalen Verfassungsidentitäten im EU-Recht umzugehen ist. Weitere Treffen dieser Art sollen folgen.

Asylrecht: Antragszeitpunkt entscheidet über „Minderjährigkeit“ – EuGH  

Auf Vorlage des BVerwG entschied der EuGH am 9. September 2021 in der Rechtssache C‑768/19, dass es für den Zeitpunkt der „Minderjährigkeit“ i.S.d. Art. 2  lit. j der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU auf den Zeitpunkt ankommt, in dem ein Antragssteller einen Antrag auf Gewährung subsidiären Schutzes stellt. Der Sohn des Antragsstellers hatte im Alter von 14 Jahren einen Asylantrag gestellt, ihm wurde jedoch erst kurz nach Erreichen seines 18. Geburtsstages subsidiärer Schutz zugesprochen. Dagegen wurde der Antrag des Antragsstellers auf Gewährung abgeleiteten subsidiären Schutzes abgelehnt, weil sein Sohn zwar zum Zeitpunkt der Antragsstellung, aber nicht mehr zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag minderjährig gewesen war. Damit könne der Antragssteller keinen Schutzanspruch von seinem Sohn nach § 26 (3) AsylG i.V.m. Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU ableiten. Der EuGH stellte nun klar, dass es in dieser Konstellation entgegen der Rechtsauffassung Deutschlands für die Auslegung des Begriffs der „Minderjährigkeit“ nicht auf den Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung, sondern auf den Zeitpunkt der Antragsstellung ankomme. Andernfalls stünde es im Belieben der Behörde, das Recht auf Familienzusammenführung durch schlichtes Zuwarten mit einer Entscheidung auszuhöhlen, was den Zielen der Richtlinie sowie dem Schutzgehalt der Artt. 7 und 24 der Grundrechtecharta widerspreche.

Europa im Überblick abonnieren

Verpassen Sie keine wichtigen rechtlichen Entwicklungen in Europa! Abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter „Europa im Überblick“ und bleiben Sie stets informiert über die neuesten EU-Gesetzgebungen, Rechtsprechungen und deren Auswirkungen auf Ihre Praxis.

Kommentare

0 Kommentare zum Artikel
Bitte rechnen Sie 9 plus 1.