Europa im Überblick, 29/2020

EiÜ 29/2020

Digital Services Act: DAV bezieht Stellung zu Regelungsplänen – DAV

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßt in seiner Stellungnahme Nr. 56/2020 zur öffentlichen Konsultation zum Digital Services Act die Initiative der Europäischen Kommission, die E-Commerce-Richtlinie 2000/31 aus dem Jahr 2000 zu überarbeiten, um wichtige Rechtsfragen der Erbringung digitaler Dienstleistungen und der Plattformökonomie in einem einheitlichen Rechtsakt kohärent zusammenzuführen. Das Kollisionsrecht bedarf einer Nachschärfung, um die verschiedenen Regeln besser vorhersehbar und handhabbar zu machen, nach denen sich das für den Betrieb einer Online-Plattform anwendbare Recht bestimmt. Auch eine stärkere Vereinheitlichung des materiellen Rechts zum Einsatz von künstlicher Intelligenz und zur Bekämpfung von Hate Speech, bei denen es in jüngerer Zeit beispielsweise in Deutschland und Frankreich nationale Alleingänge gegeben hat, ist wünschenswert. Hinsichtlich der Haftung von Online-Vermittlern empfiehlt der DAV, Haftungsrisiken für europäische Anbieter zu begrenzen. Hinsichtlich sogenannter Smart Contracts hält der DAV EU-einheitliche Bestimmungen über das Erfordernis einer ausdrücklichen Einigung über den automatisierten Vollzug bzw. zur Automatisierung der Durchsetzung von Leistungsstörungsrechten zugunsten von Verbrauchern für denkbar. Hinsichtlich des anwendbaren Rechts und der gerichtlichen Zuständigkeit für Smart Contracts bedarf es nach Ansicht des DAV derzeit keiner neuen Bestimmungen.

Die Ernennung neuer EuGH-Richter und der Fall Sharpston – Rat/EuGH

Die Regierungsvertreter der EU-Mitgliedsstaaten haben am 2. September 2020 drei Richter und einen Generalanwalt am EuGH ernannt (vgl. Pressemitteilung). Als folgenschwer stellte sich die Ernennung von Herrn Athanasios Rantos als neuer Generalanwalt heraus. Dieser sollte nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs die Generalanwältin Eleanor Sharpston ersetzen, deren Amtszeit dadurch rund ein Jahr verfrüht beendet werden sollte. Mittels einstweiliger Verfügung wehrte sich Sharpston jedoch gegen diese Entscheidung. Die Ernennung beruhe auf einer fehlerhaften Interpretation von Art. 50 Abs. 3 EUV und sei ein ungerechtfertigter Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit. Anders als die Ämter britischer Richter sei das Amt der Generalanwältin rechtlich nicht an einen bestimmten Mitgliedsstaat gebunden. Generalanwälte haben die Aufgabe, den Richtern in gänzlicher Unabhängigkeit nicht bindende Vorschläge für ein Urteil zu unterbreiten. Der mit dem Eilantrag betraute Richter Anthony M. Collins gab dem Bestreben Sharpstons am 4. September 2020 statt: Durch den Antrag Sharpstons seien komplexe Rechtsfragen aufgekommen, die einer umfassenden Auseinandersetzung bedürfen. Ferne könne sich eine umstrittene Konstellation von Amtsträgern im EuGH negativ auf die Geltung seiner Entscheidungen auswirken. Im Sinne der Rechtsstaatlichkeit in der EU gelte es, dies zu vermeiden. Die Mitgliedsstaaten konnten bis zum 11. September 2020 dazu Stellung nehmen.

EU-Rechtsakt soll Unternehmen zu Nachhaltigkeit verpflichten – EP

Europäische Unternehmen sollen zukünftig durch einen EU-Rechtsrahmen an Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele gebunden werden. Justizkommissar Didier Reynders erläuterte die Pläne dazu am 2. September dem Rechtsausschuss des EU-Parlaments (JURI). Neben umfassenden Sorgfalts- und Rechenschaftspflichten sollen auch Einzelhaftungsfragen von Vorständen und Aufsichtsräten implementiert werden. Die EU-Kommission führt dazu bis zum 8. Oktober 2020 eine öffentliche Konsultation durch. Auch in den zuvor vorgestellten Initiativberichtsentwürfen zu Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeit von Unternehmen (Berichterstatterin Lara Wolters, Bericht derzeit noch nicht verfügbar

) sowie Nachhaltiger Unternehmensführung (Berichterstatter Pascal Durand) werden umfassende Bindungen aller europäischen Unternehmen im Bereich der Menschen- und Umweltrechte gefordert. Diese sollen auch von Drittländerangehörigen entlang der Lieferketten durch ein entsprechendes Haftungssystem durchzusetzen sein. Neben der besseren Wahrung von Arbeitnehmerrechten soll auch eine Strategie zur gerechten Bezahlung erwogen werden. In der anschließenden Diskussion wurde angemerkt, dass zum Schutz des Binnenmarktes eine Regelung vollharmonisierend erfolgen solle. Zudem müsse die EU trotz derartiger Selbstbindungen global wettbewerbsfähig bleiben. Auch die ohnehin durch die Coronakrise gezeichneten KMU müsste durch verhältnismäßige Regeln geschützt werden.

Keine Vollstreckung von Europäischen Haftbefehlen aus Polen? – EuGH

Die Rechtsbank Amsterdam hat dem EuGH Ende Juli die Frage vorgelegt, ob die "reelle Gefahr" eines unfairen Verfahrens wegen mangelnder Unabhängigkeit der polnischen Justiz ein allgemeines Vollstreckungsverbot für Europäische Haftbefehle aus Polen rechtfertigen könne (Openbaar Ministerie, Rechtssache C-354/20 PPU, die Vorlagefragen sind bisher nur in niederländischer Sprache verfügbar). Die Entwicklungen in den vergangenen Jahren hätten sich so stark auf die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte ausgewirkt, dass diese nicht mehr unabhängig von der polnischen Regierung und dem polnischen Parlament sein könnten. Das Verfahren wird als Eilverfahren geführt, eine Entscheidung dürfte bereits in wenigen Monaten ergehen. Knapp zwei Monate nach dieser Vorlage hat die Rechtsbank Amsterdam in einem weiteren Verfahren am 3. September 2020 entschieden, zunächst nicht mehr nach Polen auszuliefern. 2018 hatte der EuGH bereits in einem Verfahren gegen Polen entschieden, dass neben abstrakten Mängeln in der Rechtsstaatlichkeit auch im Einzelfall die Gefahr bestehen müsse, dass kein faires Verfahren garantiert wird.

Prioritäten der deutschen Ratspräsidentschaft – EP

Die deutschen Ministerinnen und Minister erläuterten Anfang September die Prioritäten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im EU-Parlament. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht betonte im Meinungsaustausch mit dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE), dass sich die deutsche Ratspräsidentschaft darauf konzentrieren werde, die Widerstandsfähigkeit der Justizsysteme nach der Corona-Krise zu erhöhen, indem sie sich verstärkt mit deren weiteren Digitalisierung befasse. Sie begrüßte, dass sich das Parlament aktiv am Digital Service Act der Kommission beteiligen und durch eigene Initiativen unterstützen möchte. Im Bereich der grenzüberschreitenden Übermittlung elektronischer Beweismittel werde man - sobald der noch ausstehende Bericht im EU-Parlament vorliege - in die Trilogverhandlungen eingetreten. Hinsichtlich des europäischen Haftbefehls sei eine effiziente und praxisgerechte Handhabe erforderlich. Für Impulse richte die Ratspräsidentschaft eine Konferenz am 24. September aus. Nach kritischen Fragen mehrerer Parlamentarier zum Thema künstlicher Intelligenz, führten Christine Lambrecht sowie der Staatssekretär Christian Lange aus, dass KI-Systeme für jeden erkennbar als solche dargestellt werden müssten. Maßgebliche Anforderungen seien Effizienz, Nachverfolgbarkeit und ein möglicher Rechtsschutz im Falle fehlerhafter Algorithmen.

Ein weiterer Schritt zur Digitalisierung des Zivilprozesses – EP

Am 10.September 2020 wurde der Trilogkompromiss vom 22. Juli 2020 bezüglich der Neufassung der Europäischen Zustellungsverordnung Nr.1393/2007 und der Neufassung der Europäischen Beweisverordnung Nr.1206/2001 im Rechtsausschuss (JURI) des EU-Parlaments angenommen. Diese Verordnungen zielen darauf ab, die grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit zwischen nationalen Gerichten durch die Digitalisierung in Zivil-und Handelssachen effizienter zu gestalten. Die Gerichte werden hierdurch in der Lage sein, Dokumente elektronisch auszutauschen. Informationen werden streng vertraulich behandelt und persönliche Daten sowie die Privatsphäre werden bei der Übermittlung von Dokumenten bei der Beweisaufnahme geschützt. Zudem werden moderne Kommunikationstechnologien, wie Videokonferenzen, die kostensparend sind und zu einer schnelleren Beweisaufnahme beitragen können, in einem angemessenen Maße und lediglich mit Zustimmung der vernehmenden Person eingesetzt. Es wird sich hierbei um ein dezentralisiertes IT-System aus nationalen, interoperablen IT-Systemen zusammensetzen, an denen keine EU-Institutionen beteiligt sind. Nun steht noch die Zustimmung des Rates aus.

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