Europa im Überblick, 32/2021

EiÜ 32/2021

Rule of Law Index 2021: Rechts­staat­lichkeit in EU erneut schwächer – WJP

Während sich die Lage der Rechts­staat­lichkeit weltweit im letzten Jahr erneut in mehr Ländern verbessert als verschlechtert hat, geht es in der EU erneut eher bergab. Das geht aus dem Rule of Law Index 2021 des World Justice Projects hervor, einem Verbund wissen­schaft­licher Vereini­gungen, der u.a. auch einen jährlichen weltweiten Bericht zum Zugang zum Recht herausgibt. Deutschland verbessert sich global um einen Platz auf Platz fünf. Nicht unter den besten zehn Ländern ist Deutschland allein beim Kriterium Ordnung und Sicherheit, wo eine deutliche Verschlechterung zu verzeichnen ist (Platz 20). Angeführt wird das globale Ranking wie im Vorjahr von Dänemark, Norwegen und Finnland, den letzten Platz hält wie 2020 Venezuela. Frankreich liegt auf Platz 23. Polen und Rumänien verlieren erneut und liegen damit nun auf den Plätzen 36 und 41. Ungarn bildet mit Platz 69 das Schlusslicht der EU-Staaten und befindet sich unter den einkom­mens­starken Staaten der Welt wie im Vorjahr auf dem vorletzten Platz, gefolgt nur von Panama. Der Bericht umfasst 139 Staaten und basiert auf 138.000 Haushalts­be­fra­gungen sowie 4.200 Befragungen von Rechts­prak­tikern. Bewertungs­kri­terien sind etwa auch die Einschränkung von Regierungs­gewalt, Transparenz der Regierung, Grundrechte, Rechts­durch­setzung und die Einhaltung rechts­staat­licher Grundsätze in Zivil- und Strafge­richts­barkeit.

Mehr Befugnisse für Europol: Parlament nimmt Position an – EP

Am 12. Oktober 2021 hat der im EU-Parlament federführende Innenausschuss (LIBE) über seine Änderungsanträge (hier und hier) zum Verordnungsentwurf zur Erweiterung des Europolmandats abgestimmt und diese überwiegend angenommen. Demnach soll Europol zukünftig Ausschreibungen in das Schengener Informationssystem (SIS) aufnehmen dürfen. Zudem ist eine zukünftige Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen durch einen Austausch von Daten bei Straftaten wie Kindesmissbrauch angestrebt. Um sicherzustellen, dass die Kompetenzerweiterung von Europol die Einhaltung von Grundrechten gewährleistet, soll zuletzt ein Grundrechtsbeauftragter ernannt werden. Diese Änderungsvorschläge modifizieren nur leicht den ursprünglichen Verordnungsvorschlag der EU-Kommission, zu dem sich der DAV bereits kritisch geäußert hat (vgl. Stellungnahme Nr. 31/2021). Bevor die Verhandlungen mit dem Rat beginnen können, müssen die Entwürfe der Verhandlungspositionen in einer zukünftigen Sitzung von dem gesamten Parlament gebilligt werden.

Mündliche Verhandlung zum Rechtsstaatlichkeitsmechanismus – EuGH  

Der EuGH hat am 11. und 12. Oktober 2021 über die Nichtigkeitsklagen von Polen und Ungarn in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21 mündlich verhandelt. Mit den Klagen streben Polen und Ungarn die Nichtigkeitserklärung der Verordnung 2020/2092 an, die am 1. Januar 2021 in Kraft getreten ist. Durch die Verordnung wird der sog. Rechtsstaatlichkeitsmechanismus etabliert. Damit können durch eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung des Rates Zuwendungen aus EU-Haushaltsmittel an Mitgliedstaaten zurückgehalten werden, wenn in den jeweiligen Mitgliedstaaten rechtsstaatliche Prinzipien nicht gewahrt werden (vgl. EiÜ 38/20). Polen und Ungarn argumentieren u.a., der Mechanismus umgehe die Voraussetzungen des Art. 7 EUV-Verfahrens. Ferner sei unklar, wann ein Verstoß gegen EU-Grundwerte vorliegen soll. Die EU-Kommission, der die Einleitung des Verfahrens zur Anwendung des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus obliegt, hat bislang trotz mehrfacher Aufforderung seitens des EU-Parlaments (vgl. u.a. EiÜ 29/21; 26/21; 23/21) noch kein Verfahren gegen einen Mitgliedstaat eingeleitet. Auch der DAV hat die EU-Kommission bereits in einer Pressemitteilung zur Anwendung des Mechanismus gegen Polen aufgefordert (vgl. EiÜ 31/21). Am 2. Dezember 2021 wird der Generalanwalt die Schlussanträge in vortragen. Das Urteil des EuGH wird im Frühjahr 2022 erwartet.

Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern gegen SLAPP - EP

Das EU-Parlament fordert die EU-Kommission erneut auf, einen Legislativvorschlag zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren (sog. SLAPP-Klagen) vorzulegen. Am 14. Oktober 2021 hat der Rechts­aus­schuss (JURI) des EU-Parlaments dazu seinen Bericht zu strate­gischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP) mit Änderungen (hier und hier) angenommen (vgl. Pressemitteilung und EiÜ 22/21). In diesem fordert das Parlament Regeln für eine frühzeitige Entlassung durch die Gerichte, damit SLAPP auf der Grundlage objektiver Kriterien wie der Anzahl und der Art der vom Kläger eingereichten Klagen oder Verfahren, der Wahl des Gerichtsstands und des Rechts oder des Vorliegens eines eindeutigen und belastenden Machtungleichgewichts schnell gestoppt werden können, sowie Sanktionen für den Kläger, wenn er nicht begründen kann, warum sein Vorgehen nicht missbräuchlich ist. SLAPP werden auch in EU-Mitglieds­staaten als Druckmittel zur Einschüch­terung von Journa­listen eingesetzt, insbesondere, um Ermitt­lungen gegen Korruption zu erschweren oder ganz zu verhindern. Bereits im September 2021 hatte die EU-Kommission Empfeh­lungen zum Kampf gegen SLAPP (in Englisch) an die Mitglieds­staaten gerichtet (vgl. EiÜ 28/21) und eine öffentliche Konsul­tation zum Schutz von Journa­listen und Menschen­rechts­ver­tei­digern gegen SLAPP eröffnet (vgl. EiÜ 31/21). Anfang des Jahres hat die EU-Kommission eine Anti-SLAPP Experten­gruppe ins Leben gerufen, in der über den Rat der Europäischen Anwalt­schaften (CCBE) auch Rechts­an­wältin Dr. Roya Sangi, Mitglied des DAV-Ausschusses Verfas­sungsrecht, vertreten ist.

e-Codex: Grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit verbessern – EP

Mithilfe von e-CODEX soll der grenzüberschreitende justizielle Informationsaustausch sicherer und besser werden und der Zugang zur Justiz für EU-Bürger und Unternehmen verbessert werden. Die Ausschüsse für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres sowie für Recht (LIBE und JURI) nahmen am 14. Oktober 2021 ihr Verhandlungsmandat mit Änderungen zum Verordnungsentwurf zur Änderung von e-Codex für die anstehenden Trilogverhandlungen an. E-Codex ist  ein Datentransfersystem für die elektronische Übermittlung von Informationen und Dokumenten in grenzüberschreitenden Zivil- und Strafverfahren. Der Bericht enthält zusätzliche Garantien für die Zulässigkeit elektronischer Dokumente, die Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung und die Wahrung der Grundrechte. Für die Verwaltung von e-CODEX war ein Konsortium von Mitgliedstaaten und Organisationen zuständig, doch dem System fehlte es an rechtlicher Klarheit auf EU-Ebene und es wurde nicht von allen Mitgliedstaaten genutzt. Mit der neuen Verordnung wird das e-CODEX-System formell auf EU-Ebene eingerichtet und in allen Mitgliedstaaten direkt anwendbar sein. Die Verwaltung des Systems wird der EU-Agentur für IT-Großsysteme (eu-LISA) übertragen. Mit den angenommenen Änderungen wird zudem die Nutzungsmöglichkeit von e-CODEX auf alle Straf- und Zivilverfahren ausgedehnt.

Veranstaltungshinweis – Konferenz zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit

In ihrem gemeinsamen Bemühen, den Rechtsstaat vor Erosion zu schützen sowie die Unabhängigkeit der Justiz und der Anwaltschaft in Europa zu fördern und zu unterstützen, veranstalten der DAV sowie die Anwaltskammern Warschau und Paris im Format des Weimarer Dreiecks der Anwaltschaften am 22. Oktober 2021 eine eintägige virtuelle Konferenz (s. Programm). Es referieren zahlreiche erfahrene Referentinnen und Referenten, darunter Vertreter prominenter internationaler Justizinstitutionen. Die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldungen sind unter folgendem Link möglich.

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