Europa im Überblick, 34/2020

EiÜ 34/2020

Die Digitalisierung der Justiz schreitet voran – Rat

Am 13. Oktober 2020 hat der Rat den Entwurf der Schlussfolgerungen, die die EU-Justizminister zur Digitalisierung der Justiz erarbeitet haben, angenommen. In den Schlussfolgerungen werden die Mitgliedsstaaten darin ermutigt die Herausforderungen der COVID-19 Pandemie zu nutzen, um den digitalen Zugang zur Justiz zu gewährleisten. Des Weiteren wird die Kommission aufgefordert, eine umfassende EU-Strategie für die Digitalisierung der Justiz bis zum Ende des Jahres auszuarbeiten. Digitale Instrumente und Technologien sollen dazu dienen den Zugang zu Gerichten zu verbessern sowie für Rechtssicherheit und Rechtseinheitlichkeit von Entscheidungen sorgen. Der Entwurf betont hingegen auch die notwendige Beschränkung der Vorteile von Digitalisierung und Ausweitung der künstlichen Intelligenz. Die letztendliche Entscheidung müsse in der Hand eines menschlichen Richters verbleiben, um eine gebührende Achtung der Grund- und Menschenrechte zu garantieren. Es wird unterstrichen, dass der Einsatz von Instrumenten mit künstlicher Intelligenz weder die Entscheidungsgewalt der Richter oder die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen noch das Recht auf ein faires Verfahren und einen wirksamen Rechtsbehelf verletzen darf.

Kompetenzstärkung von Europol gefordert – EP

Am 15. Oktober organisierte die Fraktion Renew Europe ein Webseminar (vgl. Pressemitteilung) zur Zukunft von Europol mit dem Titel „From Europol towards a European FBI“. Die französische Rewnew Abgeordnete Fabienne Keller und die Spanierin Maite Pagazaurtundúa betonten den Erfolg von Europol sowie die Notwendigkeit für mehr Ressourcen und eine stärkeres Mandat zur sorgen. Dies vor dem Hintergrund, um den Austausch und die Analyse von Daten (vgl. EiÜ 38/19, 28/19, 40/18) zu vereinfachen und zu stärken. Wojciech Wiewiórowski, der Europäische Datenschutzbeauftragte, appellierte dafür, dass mehr Kompetenzen bei Ermittlungen immer auch mit einer entsprechenden Aufsicht der Behörden in Verhältnis gesetzt werden müssen. Ebenso sprach er sich für ein EU- Moratorium bei dem Einsatz von KI-Anwendungen in der Polizeiarbeit aus. Europol-Direktorin Catherine De Bolle und Tom Snels, der stellvertretende Kabinettchef von Kommissarin für Inneres Johansson, betonten den Bedarf an einer Lösung, die Europol bei der Bearbeitung von Daten hilft und Grundrechte respektiert. Die Abgeordnete Sophie in ’t Veld (NL) forderte ein echtes „europäisches FBI“, da die derzeitige Kooperation unzulänglich sei. Dagegen sprachen sich Alfredo Garcia Miravetes, Leiter des spanischen Europol-Verbindungsbüros und Jean-Jacques Colombi, Leiter der europäischen und internationalen Abteilung der französischen Kriminalpolizei, für mehr und bessere Kooperation, jedoch gegen ein „europäisches FBI“ aus. Die nationalen Unterschiede bei Ermittlungen und der Polizeikultur ließen sich nicht ohne weiteres vereinheitlichen.

Disziplinarverfahren gegen Richter – Verurteilung Polens - EGMR

Mit seinem Urteil Nr. 965/12  vom 15. Oktober 2020 verurteile der EGMR Polen wegen der Verletzung von Art. 10 EMRK im Hinblick auf die Behandlung der Bewerbung eines polnischen Richters, dessen Äußerungen zu einem Disziplinarverfahren geführt haben. Im Rahmen seiner Bewerbung für ein Richteramt am Landgericht Gliwice (Gleiwitz) wurde Remigiusz Guz in einem Bericht durch einen ranghöheren Richter ein schwieriges Verhältnis zu seinen Vorgesetzten, deren Anweisungen er angeblich nicht befolgt habe, unterstellt. Herr Guz bezeichnete diese Beurteilung in einem Schreiben an den Präsidenten des Landgerichts Gleiwitz als „oberflächlich, ungerecht und tendenziös". An dieser Kritik hielt er mehrfach weiter fest, auch als er gegen die spätere Entscheidung des Justizrates, seine Kandidatur nicht an den Präsidenten der Republik weiterzuleiten, Berufung einlegte. Nachdem der Oberste Gerichtshof diese Berufung abgewiesen hatte, wurde ein Disziplinarverfahren gegen Herrn Guz eingeleitet. Im März 2011 wurde er wegen der „Untergrabung der Würde des Richteramtes“ verurteilt und verwarnt. Vor dem EGMR machte Herr Guz geltend, dass er durch die Verurteilung in seinem Recht verletzt worden sei, seine Meinung zu einem Bericht über seine Arbeit zu äußern, den er für unrichtig hielt. Er trug insbesondere vor, dass seine Bemerkungen nicht beleidigend und nur intern vorgebracht worden seien und dass es im öffentlichen Interesse gelegen habe, die Vorschriften über die Beförderung von Richtern zu verteidigen. Der EGMR gab ihm Recht und verurteilte Polen zur Zahlung des immateriellen Schadens sowie der Kosten des Verfahrens.

Kleine Fortschritte für eine effiziente Rückkehrpolitik - EP

Die Aussprache im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) am 15. Oktober 2020 der Änderungsanträge zum Berichtsentwurf über die Neufassung der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG zur Rückführung Drittstaatsangehöriger brachte vor allem die geteilten Ansichten des EU-Parlaments hervor. Einigkeit besteht darüber, dass die Rückkehr von Drittstaatsangehörigen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfügen, essenziell für die europäische Asyl- und Migrationspolitik ist. Dies geht einher mit einer erforderlichen grundsätzlichen Überarbeitung der geltenden Regeln.  Die bisherige Rückführungsrate sei erschreckend gering und gehe beständig zurück. Der Legislativvorschlag der Kommission möchte die Rückkehr unter Achtung der Grund- und Menschenrechte beschleunigen und harmonisieren. Behoben werden sollen die bisherige unzureichende Kooperation mit den Herkunftsländern, mit Frontex und zwischen Mitgliedsstaaten sowie die uneinheitliche Auslegung der europäischen Vorgaben seitens der Mitgliedsstaaten. Große Übereinstimmung fand der Vorschlag, der freiwilligen Rückkehr Vorrang zu geben, mit dem Vorteil erneute Einreisen zu verhindern und den Behörden Kosten zu ersparen. Stark kritisiert wurde insbesondere die nicht abschließende Liste allgemeiner Kriterien an die Fluchtgefahr, welche divergierende nationale Vorstellungen und weithergeholte Gewahrsamsgründe provoziert. Viele Punkte zur konkreten Umsetzung und Wahrung der Grundrechte bleiben noch zu klären und versprechen einen langwierigen und kontroversen Diskurs.

Rechtswidrige Tatprovokation führt zu Strafbefreiung – EGMR

In seinem Urteil vom 15. Oktober 2020 in den zusammengelegten Rechtssachen Nr. 40495/15, 40913/15, und 37273/15 Akbay und andere gegen Deutschland bestätigt der EGMR seine frühere Rechtsprechung zum sogenannten „Agent Provocateur Vorsatz“ und hält die auferlegte Strafe der von der Polizei angestifteten Antragsteller mit dem Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 Abs. 1 EMRK unvereinbar. Das Landgericht Berlin hatte zuvor die Strafe der Antragsteller erheblich gemindert, jedoch an der Verurteilung festgehalten. An der Verurteilung wegen Drogenschmuggels hielten die deutschen Gerichte - BGH und Bundesverfassungsgericht – trotz des Verstoßes gegen Rechtsstaatsprinzipien fest. Mit dem Argument des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung wurde die Berücksichtigung in der Strafzumessung für ausreichend gehalten. Die Verurteilung stütze sich hauptsächlich auf die Geständnisse der Betroffenen und die Aussagen, des mit einer Geldprämie gelockten verdeckten Ermittlers seien nur ergänzend und nicht zum Nachteil der Angeklagten herangezogen worden. Der EGMR hatte hingegen bereits in seiner Entscheidung Nr. 54648/09 festgestellt, dass sich die Verurteilung der Angeklagten nicht auf Beweismittel stützen dürfe, die durch Fehlverhalten der Ermittlungsbehörden erlangt wurden. Im vorliegenden Fall konnte er präzisieren, dass ein Beweisverwertungsverbot besteht, sobald ein enger Zusammenhang zwischen fragwürdigen Beweisen und Anstiftung anzunehmen ist.

Europa im Überblick abonnieren

Verpassen Sie keine wichtigen rechtlichen Entwicklungen in Europa! Abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter „Europa im Überblick“ und bleiben Sie stets informiert über die neuesten EU-Gesetzgebungen, Rechtsprechungen und deren Auswirkungen auf Ihre Praxis.

Kommentare

0 Kommentare zum Artikel
Was ist die Summe aus 9 und 2?