Europa im Überblick, 35/2021

EiÜ 35/2021

Virtuelle Konferenz zum Digital Markets Act – DAV

Am 9. November 2021 fand die von dem Europaausschuss des DAV organisierte virtuelle Veranstaltung zum Digital Markets Act (DMA) statt. Im ersten Teil wurde der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission (COM(2020) 842 final)  im Rahmen von individuellen Vorträgen aus verschiedenen Perspektiven analysiert. Auf dem Panel saßen: Inge Bernaerts, Direktorin in der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission, Dr. Ines Bodenstein, Rechtsanwältin bei Gleiss Lutz, Mark Niefer, International Counsel im US Department of Justice, Dr. Carel Maske, Rechtsanwalt bei Microsoft, Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, Prof. Dr. Rupprecht Podszun von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Prof. Dr. Teresa Rodríguez de las Heras Ballell von der University Carlo III of Madrid, sowie Dr. Andreas Schwab, Berichterstatter im EU-Parlament. Der zweite Teil der Veranstaltung bestand aus einer von Hendrik Kafsack (FAZ) moderierten Paneldiskussion, in der die potentiellen rechtlichen und praktischen Folgen des DMA von allen Seiten beleuchtet wurden. Die Veranstaltung kann über den Youtube-Kanal des DAV nachgehört werden.

Steuertransparenz wird für große Unternehmen verpflichtend – EP

Das Plenum des EU-Parlaments hat am 11. November 2021 in zweiter Lesung den Ratskompromiss für die zukünftige Richtlinie zur Offenlegung von Ertragssteuerinformationen (sog. Public Country-by-Country-Reporting) formell angenommen. In der Plenardebatte vor der Abstimmung war die Erleichterung zu spüren, dass die Richtlinie nach fast fünf Jahren Verzögerung verabschiedet werden konnte. Die lange Blockade lag u.a. an Deutschlands Prüfvorbehalt, der für vorausgegangene Kompromissvorschläge im Rat stets aufrecht gehalten wurde (vgl. EiÜ 08/21; 38/19). Inhaltlich sieht die Richtlinie vor, dass Großunternehmen mit einem weltweiten Jahresumsatz von über 750 Millionen EUR in ihrer Steuerberichtserstattung offenlegen müssen, wie viel Steuer in welchem Land gezahlt wird. Diese Informationen müssen unter Verwendung einer gemeinsamen Vorlage auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Richtlinie wird 20 Tage nach Veröffentlichung im Europäischen Amtsblatt in Kraft treten. Anschließend haben die Mitgliedsstaaten 18 Monate Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht zu überführen.

Bedeutsamer Schritt in Richtung angemessene Mindestlöhne in Europa – EP

Am 11. November 2021 nahmen die Mitglieder des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL) die Kompromissänderungsanträge (in Englisch) zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission (COM(2020) 682 final) über angemessene Mindestlöhne in der EU an. Der Richtlinienentwurf intendiert die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Lohnschutz in allen Mitgliedsstaaten (vgl. EiÜ 37/20). Dem Gesetzesentwurf zufolge müssen die Mitgliedsstaaten unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten prüfen, ob die jeweils gesetzlich festgelegten Mindestlöhne ausreichend sind. Mitgliedsstaaten, die den Mindestlohn ausschließlich durch Tarifvertrag schützen, müssen keinen gesetzlich festgelegten Lohn einführen. Der Richtlinienentwurf stärkt aber die Rechte dieser Arbeitnehmer durch die Förderung von Tarifverhandlungen. Als nächstes muss der Bericht vom Plenum des EU-Parlaments gebilligt werden, bevor die Verhandlungen mit dem Rat beginnen können.

Mangel an richterlicher Unabhängigkeit in Polen erneut bestätigt – EGMR

Der EGMR entschied in seinem Kammerurteil vom 8. November 2021 (Beschwerden Nr. 49868/19 und 57511/19), dass die Richterernennung in Polen gegen die EMRK verstößt, und forderte Polen auf, umgehend Abhilfe zu schaffen. Dem Urteil lagen die Beschwerden zweier polnischer Richter zugrunde, die geltend machten, dass die neu geschaffene Kammer für außerordentliche Revision und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichtshofs, die über ihre Bewerbungen um Richterstellen verhandelt hatte, nicht unparteiisch und unabhängig gewesen, wodurch ihr Recht auf ein faires Verfahren i.S.d. Artikels 6 Abs.1 EMRK verletzt worden sei. In diesem Zusammenhang stellte der EGMR fest, dass das Recht der Beschwerdeführer auf ein faires Verfahren verletzt wurde, weil die Änderungen der polnischen Gesetzgebung der polnischen Justiz das Recht genommen haben, richterliche Mitglieder des Obersten Gerichtshofs zu wählen, und es der Exekutive und der Legislative ermöglicht haben, in das richterliche Ernennungsverfahren einzugreifen. Dadurch sei die Legitimität des polnischen Obersten Gerichtshofs systematisch beeinträchtigt worden. Die Klage ist eine von 57 Klagen gegen Polen, die im Zeitraum 2018-2021 eingereicht wurden und verschiedene Aspekte der 2017 eingeleiteten Umstrukturierung des polnischen Justizsystems betreffen (vgl. EiÜ 24/21; EiÜ 17/21; EiÜ 21/20).

Abgeleiteter Flüchtlingsstatus für Minderjährige doch möglich – EuGH

Mitgliedstaatliche Regelungen dürfen einem minderjährigen Kind eine abgeleitete Flüchtlingseigenschaft zuerkennen. Das stellte der EuGH in seinem Urteil vom 9. November 2021 in der Rs. C-91/20 fest und folgte damit nicht den Schlussanträgen von Generalanwalt de la Tour (vgl. EiÜ 17/21). Art. 3 und 23 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie 2011/95 stünden derartigen Regelungen nicht entgegen. Die Klägerin ist als Tochter einer Tunesierin in Deutschland geboren, wo ihr Vater anerkannter syrischer Flüchtling ist. Den aus § 26 Abs. 2 und 5 AsylG abgeleiteten Familienflüchtlingsschutz hat ihr das Verwaltungsgericht allerdings nicht zuerkannt. In Tunesien droht ihr keine Verfolgungsgefahr oder ein ernsthafter Schaden, weshalb sie dem Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Schutzes zufolge keine schutzbedürftige Person ist (vgl. Rs. C‑652/16). Der EuGH führt dazu aus, dass Art. 3 der Richtlinie jedoch günstigere Regeln erlaubt, solange ein Zusammenhang mit dem Zweck des internationalen Schutzes besteht. Davon ist hier bei einem Angehörigen mit Flüchtlingseigenschaft auszugehen. Es sei zudem gerade der Zweck von Art. 23 der Richtlinie den Familienverband im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedsstaates zu wahren, weshalb er nicht der Grund sein könne, der Klägerin die abgeleitete Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen.

Deckelung von Anwaltskosten bei Abmahnungen rechtens – EuGH

Die Deckelung des Streitwerts zur Berechnung der vom Verletzer zu erstattenden Anwaltskosten für eine Abmahnung bei 1000 Euro soll weiterhin grundsätzlich zulässig sein. Dies forderte Generalanwalt Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen in der Rs. C-559/20 am 11. November 2021. Dies sei dann der Fall, so der Generalanwalt, wenn die nationale Regelung es dem Gericht gestattet, sich in bestimmten Fällen aus Billigkeitsgründen über diese Beschränkungen hinwegzusetzen. Dies war vorliegend der Fall, denn der streitgegenständliche §97a Abs. 3 Urheberrechtsgesetz erlaubt dergestalte Billigkeitserwägungen. Dem Fall liegt eine Vorlage des Landgerichts Saarbrücken zugrunde. Die Koch Media GmbH war gegen eine Privatperson vorgegangen, die ein von ihr vertriebenes Computerspiel per Filesharing angeboten hatte. Sie verlangte von der abgemahnten Person Anwaltskosten aus einem Streitwert i.H.v. 20.000 EUR und hielt die in §97a Abs. 3 UrhG vorgesehene Deckelung für unionsrechtswidrig. Der Generalanwalt schlägt nun vor, dass bei der Feststellung, ob die vom Verletzer zu erstattenden Anwaltskosten zumutbar und angemessen sind, das Gericht sämtliche vorliegenden Umstände berücksichtigen muss, z.B. die Aktualität des geschützten Werks, die Dauer der Veröffentlichung u.a.. Das Urteil wird in wenigen Monaten folgen, der EuGH ist an die Schlussanträge des Generalanwalts nicht gebunden.

Milliardenstrafe gegen Google bestätigt – EuGH

Am 10. November 2021 hat der Europäische Gerichtshof in Rs. T-612/17 (in Englisch) ein Bußgeld in Höhe von über 2,4 Milliarden Euro gegen Google bestätigt. Die Gegenklage von Google gegen die im Juni 2017 auferlegte Wettbewerbsstrafe der EU-Kommission hatte somit keinen Erfolg. Google hätte seine marktbeherrschende Position bei der Onlinesuche dahingehend ausgenutzt, dass der Preisvergleichsdienst Google Shopping bevorzugt ausgestaltet wurde. Die Suchresultate seien auffälliger und ansprechender zusammengestellt. Zudem würden Treffer anderer Dienstleister zurückgestellt, anstatt bessere Treffer zuerst anzuzeigen. Dieses Vorgehen wird nun auch vom EuGH als wettbewerbswidrig eingestuft. Mit Blick auf die hohe Nutzung der Suchmaschine und die Relevanz der ersten Treffer für Nutzer ist dieses Vorgehen wettbewerbsschwächend. Die große Verzögerung in diesem Fall – bereits 2010 hatte die EU-Kommission Untersuchungen gegen Google eingeleitet  – ist wohl einer der Gründe, warum die EU-Kommission mit dem Digital Markets Act (COM(2020) 842 final) die Marktmacht großer Internetplattformen (sog. Gatekeeper) durch vom Wettbewerbsrecht abgekoppelte ex-ante Regulierung begegnen will (vgl. EiÜ 01/21, 17/21, 30/21, 33/21). Gegen das Urteil kann noch Einspruch beim EuGH eingelegt werden.

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