Europa im Überblick, 37/2021

EiÜ 37/2021

KI-Vorschlag der EU-Kommission muss nachgebessert werden – DAV

Der DAV setzt sich in seiner Stellungnahme Nr. 57/21 zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission für ein Gesetz über Künstliche Intelligenz (COM (2021) 206 final) dafür ein, dass die Grundrechte und Grundwerte der Anwaltschaft im Umgang mit KI vollumfänglich gewahrt bleiben (vgl. EiÜ 14/21). Die Funktion der Anwaltschaft muss als persönliche und vertraulich agierende Vertretung der Bürger geschützt werden. Im Einzelnen kritisiert der DAV unter Art. 5 KI-VO-E u.a. die zu weiten Ausnahmen in Bezug auf Social Scoring und Biometrische Fernidentifizierung, sowie die fehlenden Verbote von „Robo-Richtern“, der sog. vorhersagenden Polizeiarbeit (Predictive Policing) sowie Lügendetektoren. Bezüglich der Klassifizierung von Hochrisiko-KI-Systemen unter Art. 6 KI-VO-E setzt sich der DAV für Nachschärfungen in den Bereichen Beschäftigung, öffentliche Verwaltung, Strafverfolgung, Migration sowie in der Justiz ein. Im nächsten Schritt des Gesetzgebungsverfahrens wird der KI-VO-E im Binnenmarkt-Ausschuss des EU-Parlaments (IMCO) und im Rat verhandelt.

Recht auf faires Verfahren für nicht anwendbar erklärt – Poln. VerfG

Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), welcher ein faires Verfahren vor einem unabhängigen Gericht garantiert, ist nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar, soweit er das polnische Verfassungsgericht als Gericht betrifft.  Dies hat das polnische Verfassungsgericht am 24. November 2021 entschieden (in polnischer Sprache). Das polnische Verfassungsgericht sei kein Gericht i.S.v. Art. 6 EMRK, da es über die Normenhierarchie wache und nicht über die Ansprüche einzelner Bürger befinde. Das Verfassungsgericht leitet daraus ab, dass Polen nicht an Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gebunden sei, welche das Verfassungsgericht beträfen, so auch nicht die Entscheidung des EGMR vom Mai zur Rechtswidrigkeit von Urteilen von rechtswidrig ernannten Verfassungsrichtern (vgl. EiÜ 17/21). Der Rechtsweg zum EGMR steht polnischen Bürgern trotz des Urteils weiterhin offen.

Verhandlungspositionen zum Digital Markets Act festgezurrt – EP/Rat

Am 23. November 2021 nahm der Binnenmarkt-Ausschuss des EU-Parlaments (IMCO) die Kompromissänderungsanträge (in Englisch) zum Verord­nungs­vor­schlag der EU-Kommission (COM(2020) 842 final)  für ein Gesetz über digitale Märkte (DMA) an. Der DMA soll die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht durch große Internetplattformen, sog. Gatekeeper, effektiver bekämpfen (vgl. EiÜ 30/21; 33/21; 17/21; 1/21). Die Abgeordneten stimmten u.a. für eine Erhöhung des Schwellenwertes für die Bezeichnung als Gatekeeper, für verschärfte Sanktionen, sowie für Maßnahmen gegen zielgerichtete Werbung. Am 25. November hat zudem der Rat seine Allgemeine Ausrichtung zum DMA verabschiedet. Dieser Text will Regelungen zur Stärkung der Position von Endnutzern durchsetzen. Zudem soll die EU-Kommission die einzige zur Rechtsdurchsetzung befugte Behörde sein. Dies kritisiert der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, der sich in einer vom DAV-Büro Brüssel organisierten hochkarätig besetzten Panel-Diskussion zum DMA am 9. November 2021 u.a. dafür einsetzte, dass nationale Kartellbehörden auch an der Rechtsdurchsetzung beteiligt werden sollten (vgl. EiÜ 35/21). Nach der für Dezember geplanten Abstimmung über den Parlamentsbericht im Plenum können die interinstitutionellen Verhandlungen mit dem Rat beginnen.

Einigung der Mitgliedsstaaten zum Gesetz über digitale Dienste – Rat

Der Rat hat am 25. November 2021 seine allgemeine Ausrichtung zum Verordnungsvorschlag für ein Gesetz über digitale Dienste (DSA) veröffentlicht (COM/2020/825 final). Der DSA soll Grundrechte im Internet herstellen und Nutzer z.B. vor illegalen Waren, Inhalten oder Dienstleistungen schützen (vgl. EiÜ 18/21; 17/21; 3/21; 32/20). Die Allgemeine Ausrichtung verdeutlicht u.a. die Bestimmungen über den Anwendungsbereich des DSA, der nun ausdrücklich Online-Suchmaschinen einschließen soll. Zudem sollen Verpflichtungen für Online-Marktplätze und Suchmaschinen sowie strengere Regeln für sehr große Online-Plattformen hinzukommen. Der DAV hat in Stellungnahme Nr. 34/21 u.a. den anfallenden Bürokratieaufwand kritisiert. Das EU-Parlament wird seine Position wohl erst im Frühjahr 2022 festlegen, wodurch die institutionellen Verhandlungen noch nicht beginnen können.

Inbox-Werbung mit Spam vergleichbar – EuGH

Der EuGH hat am 25 November 2021 in der Rs. C‑102/20 entschieden, dass Werbeanzeigen im E-Mail-Posteingang nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Nutzers zulässig sind. Ohne diese Zustimmung falle die sog. Inbox-Werbung unter Verbot von elektronischer Direktwerbung der e-Privacy-Richtlinie 2002/58/EG, und sei somit mit Spam-Nachrichten vergleichbar. In der Sache hatte der  Stromversorger Städtische Werke Lauf a.d. Pegnitz dem Konkurrenten eprimo  vorgeworfen, mit Inbox-Werbung wettbewerbswidrig Nutzer unzumutbar zu belästigen. Der Streit hat den BGH letztinstanzlich dazu veranlasst, den EuGH zur Auslegung der Richtlinie zu befragen. In seinen Ausführungen folgte der EuGH dem Generalanwalt de la Tour gefolgt. Inbox-Werbung könne durch die Positionierung im Posteingang leicht mit andren E-Mails verwechselt werden, wodurch individualisierte Erreichbarkeit wie bei anderer Direktwerbung gegeben sei. Damit erfordere sie eine vorherige Einwilligung, dass Werbenachrichten in der Liste der empfangenen privaten E‑Mails angezeigt werden dürfen. Der EuGH hält damit an strengen Voraussetzungen für eine Einwilligung fest (vgl. EiÜ 38/20; 34/19).

Abschiebehaftbedingungen in Deutschland wohl unionsrechtswidrig – EuGH

Der Generalanwalt de la Tour kam in seinen Schlussanträgen vom 25. November 2021 in Rs. C-519/20 zu dem Ergebnis, dass § 62a Abs. 1 AufenthG gegen EU-Recht verstößt. Das Amtsgericht Hannover sollte über die Rechtsmäßigkeit der Abschiebehaft eines pakistanischen Staatsbürgers entscheiden, der in einer von anderen Strafgefangenen separierten Abteilung der JVA Hannover untergebracht war. Grundsätzlich sieht Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG vor, dass die Abschiebehaft in speziellen Hafteinrichtungen durchgeführt werden muss. Eine Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt kommt gemäß Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie nur in einer Notlage in Betracht. Deswegen ersuchte das Amtsgericht Hannover den EuGH um Klarstellung der Voraussetzungen, unter denen sich ein Mitgliedstaat auf eine Notlage berufen kann. Nach der Einschätzung des Generalanwalts liegen die Voraussetzungen für diesen Ausnahmetatbestand in Deutschland nicht vor. Ferner könne auch die separate Abteilung in der JVA nicht als spezielle Haftanstalt definiert werden, da die Einrichtung hauptsächlich der Vollstreckung von Strafen diene. Das Urteil wird in wenigen Monaten folgen, der EuGH ist an die Schlussanträge nicht gebunden.

Dienstleistungen im Fokus von Kommission und EU-Parlament – KOM/EP

Die COVID-19-Krise hat deutlich gemacht, dass der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr im Binnenmarkt aufrechterhalten werden muss. Das befindet die EU-Kommission in ihrem neuen Jahreswachstumsbericht. Dieser hebt positiv hervor, dass die Konjunktur- und Resilienzpläne der Mitgliedstaaten ein breites Spektrum an Reformen u.a. zur Digitalisierung des Justizwesens vorsähen. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere eine unabhängige, qualitativ hochwertige und effiziente Justiz, wirksame Strukturen zur Korruptionsbekämpfung, zur Bekämpfung von Geldwäsche und zur Betrugsbekämpfung, seien wichtige Faktoren für das Unternehmensumfeld und das Funktionieren des Binnenmarktes. Bereits am 22. November hatte der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutzes (IMCO) des Europäischen Parlaments einen Initiativbericht zur Beseitigung von nichttarifären und nichtsteuerlichen Handelshemmnissen im Binnenmarkt mit Änderungen angenommen. In den Maßnahmen zur Bewältigung der Coronakrise seien Handelshemmnisse vor allem auch im Dienstleistungsbereich übergangen worden. Er sieht Nachholbedarf, um grenzüberschreitende Tätigkeiten weiter zu erleichtern. In einigen Berufsgruppen werde beispielsweise durch übermäßige Regulierungen die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen und Fähigkeiten immer noch verhindert.

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