Europa im Überblick, 38/2021

EiÜ 38/2021

Paket zur Digitalisierung der Justiz veröffentlicht – KOM

Die EU-Kommission hat am 1. Dezember 2021 mehrere Gesetzgebungsvorschläge (in Englisch) zur Digitalisierung der Justiz vorgelegt. Der Verordnungsentwurf (COM(2021) 759 final; in Englisch) soll die Digitalisierung der justiziellen Zusammenarbeit und den Zugang zu den Gerichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten verbessern. Insbesondere wird Parteien die elektronische Kommunikation mit den zuständigen Behörden oder die elektronische Einleitung von Gerichtsverfahren gegen eine Partei aus einem anderen Mitgliedstaat ermöglicht. Außerdem soll die Nutzung von Videokonferenzsystemen bei mündlichen Verhandlungen in grenzüberschreitenden Zivil-, Handels- und Strafsachen zugelassen werden. Weitere Regelungen beziehen sich auf die digitale Übermittlung von Ersuchen, Dokumenten und Daten zwischen nationalen Behörden und Gerichten, die rechtssichere Verwendung elektronischer Signaturen und Siegel, sowie auf die elektronische Zahlung von Gebühren. Die EU-Kommission hatte das Paket zur Digitalisierung der Justiz im Dezember 2020 in einer Mitteilung (COM(2020) 710 final) angekündigt (vgl. EiÜ 41/20). Im nächsten Schritt werden das EU-Parlament und der Rat ihre Änderungsvorschläge vorbereiten.

Mandatsgeheimnis bei Geldwäsche-Meldepflichten in Gefahr – EP/DAV

In einer Anhörung am 1. Dezember 2021 äußerten sich Abgeordnete des EU-Parlaments insgesamt positiv zu den Vorschlägen zur Bekämpfung von Geldwäsche, welche die EU-Kommission im Juli veröffentlicht hatte (COM(2021) 420 final; COM(2021) 421 final; COM(2021) 423 final; vgl. EiÜ 25/21). In Frage gestellt wurde sowohl die geplante dezentralisierte Durchsetzung als auch die Komplexität der unterschiedlichen Initiativen, die zu einer Fragmentierung führen könnte. Der DAV kritisiert die geplante Einrichtung einer neuen Anti-Geldwäsche-Behörde (AMLA), da dadurch die anwaltliche Unabhängigkeit und Selbstverwaltung gefährdet ist (vgl. Pressemitteilung 29/21). Allerdings begrüßt der DAV in einem Statement vom 26. November 2021, dass die Anwaltschaft von der Meldepflicht verdächtigter Transaktionen ausgenommen werden soll, sofern es sich um Informationen im Rahmen einer Rechtsberatung oder Prozessvertretung handelt. Nur so könne das Mandatsgeheimnis gewahrt bleiben. Das Geldwäschepaket der EU-Kommission wird momentan sowohl im EU-Parlament als auch im Rat verhandelt.

Künstliche Intelligenz: Gefahr von Voreingenommenheit – EP

Am 30. November 2021 diskutierten Abgeordnete des Sonderausschusses für Künstliche Intelligenz (AIDA) im EU-Parlament in einer Anhörung über die Gefahren von Voreingenommenheit („bias“) und Nicht-Diskriminierung im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI). Der Grundtenor der Anhörung lautete: der Einsatz von KI muss transparenter und verantwortungsbewusster sein und die Möglichkeit einer menschlichen Überprüfung beinhalten. Diese Einschätzung liegt auf gleicher Linie mit der DAV-Stellungnahme Nr. 57/21 (vgl. EiÜ 37/21). Hintergrund der Anhörung war eine Studie (in Englisch) des Wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments. Diese zeigt, wie beim Einsatz von KI-Systemen systematische Verzerrungen entstehen können. Dies sei sowohl durch Trainingsdaten als auch durch Wertevorstellungen der Entwickler und Nutzer möglich. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Forderungen nach mehr Transparenz in den Verhandlungen des Verordnungsvorschlags (COM(2021) 206 final; vgl. EiÜ 14/21) durchsetzen werden.

Pandora Papers: Mehr Steuertransparenz um jeden Preis? – EP

Am 30. November 2021 fand eine Anhörung des Unterausschusses für Steuerangelegenheiten (FISC) des EU-Parlaments zum Thema Steuervermeidung und Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit den sog. Pandora Papers statt. In der Anhörung wurde unter anderem die Rolle der Anwaltschaft bei der Entstehung von Steuerskandalen thematisiert. Insbesondere wurde eine mögliche zukünftige Verpflichtung von Rechtsanwälten zur Offenlegung der Identität von Klienten, die sog. Offshore-Strukturen aufweisen, diskutiert. Dieser generellen Einschränkung des Berufsgeheimnisses steht der DAV sehr kritisch gegenüber. Wie schon im Nachgang zur Entschließung des EU-Parlaments vom Oktober 2021 (vgl. EiÜ 34/21) warnt der DAV davor, im Kampf um mehr Steuertransparenz rechtsstaatliche Errungenschaften wie die durch die Selbstverwaltung gewährleistete Unabhängigkeit der Anwaltschaft und das Berufsgeheimnis in Frage zu stellen (vgl. EiÜ 36/17; 44/17).

Schaffung einer europäischen zentralisierten Plattform für Finanzdaten – KOM

Am 25. November 2021 hat die EU-Kommission ihren Verordnungsvorschlag für die Einrichtung einer einheitlichen europäischen Anlaufstelle (ESAP) für Finanzdaten vorgelegt (COM(2021) 723 final; in Englisch). Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) soll ESAP bis Ende 2024 einrichten,  um aufsichtsrechtlichen Informationen von Finanzakteuren auf einer einzigen Plattform zu zentralisieren. ESAP soll somit auch nicht börsennotierten Unternehmen auf kleinen Kapitalmärkten ermöglichen, Informationen auf freiwilliger Basis zur Verfügung zu stellen, was Zugang zu Kapital erleichtern soll. Als eine der vorrangigen Maßnahmen des bereits 2020 vorgelegten Aktionsplans für die Kapitalmarktunion soll ESAP zur Integration der Finanzdienstleistungs- und Kapitalmärkte in der EU beitragen.

Grünes Licht für Verbandsklagen bei Datenschutzverstößen – EuGH

Nach Einschätzung des Generalanwalts Richard de la Tour steht die DSGVO einer Klagebefugnis von nationalen Verbraucherverbänden nicht entgegen, sofern die Klage auf eine Verletzung von in der Verordnung verwurzelten Rechten gestützt wird. Der Generalanwalt hat am 2. Dezember 2021 seine Schlussanträge zu einem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs vorgelegt (Rs. C-319/29). Im Rahmen einer Unterlassungsklage des deutschen Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen Facebook Ireland Ltd hatte der BGH darüber zu entscheiden, ob die Beklagte gegen Verbraucherschutz- sowie Datenschutzvorschriften verstoßen hat. Der BGH hatte Zweifel im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage. Daher legte er dem EuGH die Frage vor, ob ein Verbraucherschutzverband zur Erhebung von Klagen betreffend eine Verletzung aus der DSGVO klagebefugt ist. Ja, so der Generalanwalt, denn die Wahrung kollektiver Verbraucherinteressen entspreche gerade dem Zweck, ein hohes Schutzniveau für personenbezogene Daten zu schaffen. Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Die Verkündung des Urteils folgt in wenigen Monaten.

Kürzung von EU-Geldern für Polen und Ungarn scheint unausweichlich – EuGH

Am 2. Dezember 2021 empfahl der Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona in seinen Schlussanträgen, die Klagen Polens und Ungarns in Rs. C-156/21 und C-157/21 gegen den Rechtsstaatsmechanismus abzuweisen (vgl. EiÜ 32/2021). Hintergrund ist der in der Verordnung 2020/2092 verankerte Konditionalitätsmechanismus, der den Entzug von Fördermitteln für Länder erlaubt, in denen Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit die rechtmäßige Verwendung von EU-Haushaltsmitteln gefährden (vgl. EiÜ 38/20). Ungarn und Polen hatten die Klagen gegen den Mechanismus auf das Fehlen einer geeigneten Rechtsgrundlage für die Verordnung und eine Umgehung des Artikel 7 EUV–Verfahrens bei Verletzung von Grundwerten der EU gestützt. Der Generalanwalt sieht keine Umgehung durch den Konditionalitätsmechanismus, da dieser nicht bei allen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit, sondern nur bei jenen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Haushaltsführung der Union stehen, greift. Außer durch Artikel 7 dürfe die EU ihre wesentlichen Merkmale auch durch andere Instrumente schützen. Der EuGH ist nicht an die Schlussanträge gebunden, folgt ihnen aber zumeist. Da es sich um ein beschleunigtes Verfahren handelt, wird die Urteilsverkündung in Kürze erfolgen.

Europa im Überblick abonnieren

Verpassen Sie keine wichtigen rechtlichen Entwicklungen in Europa! Abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter „Europa im Überblick“ und bleiben Sie stets informiert über die neuesten EU-Gesetzgebungen, Rechtsprechungen und deren Auswirkungen auf Ihre Praxis.

Kommentare

0 Kommentare zum Artikel
Bitte addieren Sie 1 und 6.