EiÜ 39/2020
Zeugnisverweigerungsrecht von Rechtsanwälten im Fokus – EGMR
Der EGMR hat in seinem Urteil Nr. 24173/18 vom 19. November 2020 in einem Verfahren zum Umfang des Berufsgeheimnisschutzes in Deutschland keine Verletzung von Art 8 EMRK festgestellt. Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und hat mehrere Unternehmen und deren Geschäftsführer bis zu deren Insolvenz beraten. Im Strafverfahren gegen einen der Geschäftsführer berief sich der Antragsteller auf sein Aussageverweigerungsecht als Berufsgeheimnisträger. Zuvor hatte ihn der Insolvenzverwalter und aktuelle Geschäftsführer von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden, nicht jedoch die ehemaligen Geschäftsführer. Trotz widersprüchlicher Rechtsprechung der Berufungsgerichte in Deutschland zu § 53 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 70 StPO zum Umfang der Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht kommt der EGMR zum Ergebnis, dass der Antragsteller keine Gefahr lief, wegen einer Verletzung des Berufsgeheimnisses gemäß § 203 StGB verurteilt zu werden. Der EGMR erklärt, dass die Verpflichtung des Antragstellers zur Offenlegung der fraglichen Informationen zwar einen Eingriff in Art 8 EMRK darstellt, dieser aber insbesondere wegen der umfassenden Begründung des Berufungsgerichts, in der es sich auf eine seit langem bestehende Rechtsprechung beruft und dazu auch auf die Argumente anderslautender Entscheidungen einging, als verhältnismäßig angesehen werden und daher gem. Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt ist. Richterin Yudkivska veröffentlicht eine abweichende Meinung und sieht eine Verletzung von Art 8 EMRK, denn Rechtsanwälte in Deutschland könnten sich nicht sicher sein, ob sie ein Zeugnisverweigerungsrecht hätten oder nicht. Dies hänge davon ab, in welchem Gebiet sich das zu entscheidende Gericht befinde und die unterschiedliche Rechtsprechung zum Umfang des Berufsgeheimnisses auslegt. Dies schaffe einen offensichtlichen Zustand der Rechtsunsicherheit, der mit der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar sei.
Doppelbestrafung schließt Auslieferung in Drittstaat aus – EuGH
Generalanwalt Bobek kommt in seinen Schlussanträgen in der Rs. C-505/19 vom 19. November 2020 zu dem Ergebnis, dass der grundrechtlich geschützte Grundsatz ne bis in idem in Verbindung mit dem Recht auf Freizügigkeit es den Mitgliedsstaaten verwehrt, eine von Interpol auf Ersuchen eines Drittstaats erstellte Red Notice umzusetzen und die Freizügigkeit gem. Art. 21 AEUV eines Unionsbürgers einzuschränken. Aus Sicht des Generalanwalts schließt das Doppelbestrafungsverbot verankert in Art. 50 Charta der Grundrechte, wenn eine rechtskräftigte Entscheidung einer zuständigen Behörde ergangen ist, jede weitere Strafverfolgung durch die Mitgliedsstaaten des Schengener Übereinkommens aus. Auch eine vorübergehende Festnahme in einem anderen Mitgliedsstaat zum Zweck einer möglichen künftigen Auslieferung sei ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall erging auf Antrag einer US-amerikanischen Staatsanwaltschaft ein Festnahmeersuchen sog. Red Notice zulasten eines EU-Bürgers an die an Interpol beteiligten Staaten. Das Strafverfahren wurde nach Zahlung einer Geldauflage durch die deutsche Staatsanwaltschaft eingestellt. Auf Antrag des Betroffenen informierte das Bundeskriminalamt Interpol über die Einstellung des Strafverfahrens und dass eine weitere Verfolgung des Betroffenen daher gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßen würde. Der Betroffene fürchtete darum, in anderen Mitgliedsstaaten verhaftet und gegebenenfalls an die USA ausgeliefert zu werden, wenn er Deutschland verlasse. Der Betroffene hat Klage gegen das Bundeskriminalamt vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden erhoben, um die Löschung der Red Notice zu erreichen, welche jedoch nur durch die USA möglich ist. Die Schlussanträge sind für den EuGH nicht bindend.
Deutscher Vorsitz im Ministerkomitee – Europarat
Deutschland führt am 18. November 2020 bis zum 21. Mai 2021 den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats. Bis Ende 2020 wird Deutschland neben der Präsidentschaft im Rat der Europäischen Union gleichzeitig den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats innehaben. Vor diesem Hintergrund will Deutschland Synergien zwischen beiden Institutionen schaffen, insbesondere in Bezug auf den Beitritt der Europäischen Union zur Menschenrechtskonvention als entschlossener Schritt hin zu einem einheitlichen Menschenrechtsschutz in ganz Europa. Deutschland möchte die Kernkompetenzen des Europarats – Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit – stärken. Außerdem plant Deutschland aktuelle Themen wie die Bekämpfung von Hassrede im Internet und Künstliche Intelligenz voranzubringen.
Langfristige Verbraucherschutzziele festgelegt – KOM
Die Kommission hat am 13. November ihre neue Verbraucheragenda mit dem Titel „Stärkung der Resilienz der Verbraucher/innen für eine nachhaltige Erholung“ für die Jahre 2021-2025 veröffentlicht. Konkret werden in der Agenda fünf Prioritäten und Schwerpunktmaßnahmen genannt, die zusammen mit den Mitgliedsstaaten auf europäischer und nationaler Ebene zu ergreifen sind. Diese Agenda dient somit als Hinweis darauf, was für Gesetzesvorhaben geplant sind bzw. welche Überarbeitungen demnächst anstehen. Überarbeitet werden sollen ua. Die Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG und Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen 2002/65/EG, damit Verbraucher über den gleichen Schutz online wie offline verfügen. Des Weiteren möchte die Kommission auch Reparaturen und nachhaltigere „kreislauforientierte“ Produkte fördern, indem etwa die Richtlinie 2019/771 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenhandels im Jahr 2022 angepasst werden soll. Die Produktsicherheit steht im Vordergrund und auch eine globale Betrachtung des Verbraucherschutzes soll gewährleistet werden durch einen Plan mit China für bessere Onlineproduktsicherheit sowie der Bereitstellung regulatorischer Unterstützung für EU-Partnerländer.
Herbstpaket 2020: Wirtschaftliche Prognose für 2021 – KOM
Auch das am 18. November 2020 von der Kommission veröffentlichte Herbstpaket 2020 (in Englisch), das alle Haushaltspläne der Euro-Länder zusammenfasst und eine wirtschaftliche Prognose sowie Empfehlungen zu den Haushaltsplänen und Wirtschaftspolitik für das Europäische Semester 2021 bereitstellt, konzentriert sich auf die Folgen der COVID-19 Pandemie. Dieses Jahr wurde ausnahmsweise ein anderer Bewertungsmaßstab angelegt, indem die Ausgleichsmaßnahmen der Länder mit Hintergrund des zurzeit ausgesetzten Wachstums- und Stabilitätspakets berücksichtigt wurden. Die Ratschläge legen die Prioritäten nicht wie üblich auf das Wachstum der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (vgl. EiÜ 45/19), sondern fokussieren die wirtschaftliche Erholung durch Investitionen und Reformen. Global zeigt sich die Kommission zufrieden mit den Konjunkturunterstützungen der Länder. Sie empfiehlt befristete und umfassende Ausgaben, die nicht vorschnell aufgehoben werden dürften und fordert die regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit. Ebenso seien langfristig Investitionen in Nachhaltigkeit und Digitalisierung erforderlich. Dementsprechend wird in der Stellungnahme zum deutschen Haushaltsplan auch die deutsche Konjunkturpolitik positiv bewertet. Aufgrund der ökonomischen Unterstützung fällt die deutsche Prognose (S. 86 f.) weniger kritisch aus als anfangs befürchtet und rechnet nach einer schweren Rezession 2020 mit einer Erholung in 2021 und 2022. Der Warnmechanismus-Bericht vermerkt aber auch makroökonomische Ungleichgewichte in Deutschland, die eingehend überprüft werden müssen.
Mehr Konvergenz im Insolvenzrecht - KOM
Wie bereits in dem von der Kommission am 24. September 2020 veröffentlichten Aktionsplan zur Förderung der EU-Kapitalmarktunion, soll eine stärkere Konvergenz der nationalen Rechtsvorschriften zum Insolvenzrecht strukturelle Hindernisse für grenzübergreifende Investitionen beseitigen. Dies vor dem Hintergrund, dass sich die EU möglichst bald von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie erholt, indem die Kapitalmärkte weiterentwickelt werden und der Zugang zur Marktfinanzierung gewährleistet wird. Eine gezielte Harmonisierung bestimmter Bereiche der nationalen Insolvenzregelungen oder ihre Konvergenz könnten daher die Rechtssicherheit erhöhen. Bis zum 9. Dezember 2020 können Beiträge für das geplante Gesetzesvorhaben im Rahmen der Folgenabschätzung in der Anfangsphase übermittelt werden. Ein Gesetzesvorschlag der Kommission ist im 2. Quartal 2022 geplant.
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