Europa im Überblick, 39/2021

EiÜ 39/2021

Legislative Eskalationsspirale: Kritik an Geldwäschepaket – DAV

Der DAV hat seine Stellungnahme Nr. 58/2021 zum Legislativpaket zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung veröffentlicht und kritisiert dieses in mehrfacher Hinsicht (vgl. EiÜ 25/21; 38/21). Zum einem befürchtet der DAV durch die Errichtung einer Europäischen Geldwäscheaufsichtsbehörde (AMLA) einen erheblichen Eingriff in den Kern der funktionalen Selbstverwaltung (vgl. Pressemitteilung 29/21) und weist auf die fehlende Evidenz für den Bedarf einer AMLA hin. Des Weiteren kritisiert der DAV die Verschärfung der Sorgfaltspflichten für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bei der Identifizierung des Vertragspartners und des wirtschaftlich Berechtigten. Im Übrigen bemängelt der DAV u. a. fehlende Ausnahmeregelungen für Syndikusrechtsanwältinnen und -rechtsanwälte und für Berufsgeheimnisträger bei Unstimmigkeitsmeldungen. Teilweise ähnliche Bedenken wie die des DAV werden auch im jüngsten Fortschrittsbericht (in Englisch) des Ratsvorsitzes geäußert. Einige Mitgliedsstaaten kritisieren die faktische Fachaufsicht von Selbstverwaltungsstellen und fordern die Beschränkung auf eine Rechtsaufsicht.

Hetze und Hasskriminalität als neue EU-Straftatbestände? KOM

Am 9. Dezember 2021 hat die EU-Kommission eine Mitteilung (COM(2021) 777 final) veröffentlicht, die vorsieht, künftig die Liste der EU-Straftatbestände in Artikel 83 Abs. 1 AEUV um Hetze und Hasskriminalität zu erweitern. Dies hatte sie bereits in ihrem Aktionsplan für Demokratie (COM(2020) 790 final) angekündigt (vgl. EiÜ 41/20) und in einem Fahrplan konkretisiert (vgl. EiÜ 09/21). Als Gründe für die Aufnahme von Hetze und Hasskriminalität in den EU-Straftatenkatalog führt die Kommission vor allem die stetige Zunahme und grenzüberschreitende Dimension dieses Kriminalitätsbereichs auf. Da Hetze und Hasskriminalität die gemeinsamen Werte der EU tangieren, handele es sich um einen Bereich besonders schwerer Kriminalität, der nur auf EU-Ebene effektiv bekämpft werden könne. Um die Liste der EU-Straftatbestände in Artikel 83 Abs. 1 AEUV um Hetze und Hasskriminalität zu erweitern, muss der Rat im nächsten Schritt nach Zustimmung des EU-Parlaments einstimmig einen Beschluss annehmen.

Vertragsverletzungsverfahren wegen Verhältnismäßigkeitsrichtlinie – KOM

Am 2. Dezember 2021 hat die EU-Kommission u.a. gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelhafter Umsetzung der Richtlinie über eine Bewertung der Verhältnismäßigkeit vor Erlass neuer Berufsreglementierungen (2018/958/EU) eingeleitet (s. Pressemitteilung). Mit der Richtlinie soll vermieden werden, dass qualifizierten Bewerber:innen der Zugang zu einer Vielzahl von Berufen oder deren Ausübung durch unnötig aufwendige nationale Vorschriften erschwert wird. Die Kommission veröffentlicht ihre Schreiben an die Mitgliedsstaaten nicht. Bezüglich des anwaltlichen Berufsrecht dürfte sie gegenüber Deutschland aber insbesondere die unzureichende Umsetzung durch § 59 b Abs. 3 und 4 BRAO bemängelt haben.  Diese sehen lediglich vor, dass die BRAO im Einklang mit einschlägigem EU-Recht stehen muss, und verweisen u.a. auf die RL 2018/958/EU. Das dürfte den vom EuGH entwickelten Anforderungen an die Umsetzung einer Richtlinie nicht genügen, weil hiernach zum Zwecke der Normklarheit eine Einarbeitung der Richtlinie in nationales Recht erforderlich ist. Alle betroffenen Mitgliedstaaten haben zwei Monate Zeit, um auf die Argumente der Europäischen Kommission zu antworten, ansonsten kann diese weitere Schritte einleiten.

Mitgliedsstaaten wollen Lohntransparenz nur für große Betriebe – Rat

Der Rat hat am 6. Dezember 2021 seine allgemeine Ausrichtung zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission über verbindliche Maßnahmen zur Lohntransparenz  (COM(2021) 93 final) festgelegt. Dieser soll Arbeitgeber verpflichten, Informationen sowohl über die individuelle Lohnhöhe als auch über den Durchschnittslohn von Arbeitnehmer:innen mit gleichwertiger Arbeit bereitzustellen. Arbeitgeber mit mindestens 250 Beschäftigten sollen zudem jährlich geschlechtsspezifische Lohngefälle veröffentlichen (vgl. EiÜ 01/20; 08/21). Dieser Schwellenwert von 250 Beschäftigten wird vom Rat nun beibehalten, ist aber hochumstritten. Der DAV hatte sich in Stellungnahme Nr. 41/2021 für eine Berichtspflicht schon ab 10 Beschäftigten eingesetzt. Auch das EU-Parlament positionierte sich in seinem Berichtsentwurf (in Englisch) für eine Herabsetzung des Schwellenwertes (vgl. EiÜ 27/21). Sobald das EU-Parlament seinen Bericht im Plenum annimmt, können die Trilogverhandlungen zwischen EU-Kommission, Rat und Parlament beginnen.  

Ihre Meinung zur Übertragung von Strafverfahren ist gefragt! – KOM

Die EU-Kommission hat eine öffentliche Konsultation zur Übertragung von Strafverfahren eröffnet und holt damit die Meinung aller Interessenträger ein. Die Konsultation dient der Vorbereitung einer für die zweite Jahreshälfte von 2022 angekündigten Gesetzgebungsinitiative. Diese soll der Problematik begegnen, dass entweder zwei oder mehr Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für die Ermittlungen in einer Straftat oder deren Verfolgung geltend machen, oder dass das Strafverfahren in einem Mitgliedstaat stattfindet, der nicht am besten dafür geeignet ist oder dass Straflosigkeit droht, weil ein Europäischer Haftbefehl aufgrund schlechter Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat verweigert wird. Eine Beteiligung ist bis zum 4. März 2022 möglich.

Ungerechtfertigte Bereicherung ist keine unerlaubte Handlung – EuGH

Der EuGH hat in seinem Urteil C‑242/20 entschieden, dass eine auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützte Klage nicht unter die Zuständigkeitsvorschrift des Art. 5 Nr. 3 der Brüssel I-VO Nr. 44/2001 fällt. Er lehnt damit die Einordnung der ungerechtfertigten Bereicherung als „unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“ im Sinne der Vorschrift ab. Ebenso ist eine solche Klage keine Entscheidung in der Zwangsvollstreckung iSd Art. 22 Nr. 5 der VO, selbst wenn eine rechtsgrundlose Zahlung anlässlich eines Zwangsvollstreckungsverfahrens erfolgte. In einem weiteren Urteil zu Zuständigkeitsfragen in der Rechtssache C-708/20 entschied der EuGH, dass Art. 13 Abs. 3 der Brüssel Ia-Verordnung Nr. 1215/2012 dahingehend auszulegen ist, dass das Gericht eines Mitgliedsstaats, welches aufgrund einer Klage des Geschädigten gegen den Versicherer gemäß Art. 13 Abs. 2 zuständig ist, nicht zugleich auch auf Grundlage von Art. 13 Abs. 3 für eine Schadensersatzklage gegen den in einem anderen Mitgliedsstaat ansässigen Versicherungsnehmer zuständig ist. Zu diesem Schluss kommt der EuGH maßgeblich im Wege einer systematischen und teleologischen Auslegung. Art. 13 Abs. 3 ist im Abschnitt „Versicherungssachen“ eingebettet, welche maßgeblich durch ein gewisses Ungleichgewicht der Parteien gekennzeichnet seien. Ein solches Ungleichverhältnis läge aber zwischen einem Geschädigten und einem Versicherungsnehmer nicht vor, so der EuGH.

Human Rights Awards an belarussische und afghanische Anwälte – CCBE

Der CCBE verleiht am 10. Dezember 2021, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, seinen diesjährigen Human Rights Award an vier belarussische Anwält:innen für ihr mutiges und entschlossenes Eintreten für Grundrechte und den Rechtsstaat in Belarus (s. Pressemitteilung, nur auf Englisch und Französisch). Die Preisträger sind wegen ihrer Tätigkeit politischer Verfolgung ausgesetzt. Lilya Vlasova, Maksim Znak und Leanid Sudalenko sind nach ihren Verhaftungen noch nicht wieder auf freiem Fuß.  Dmitry Laevski wurde seine Anwaltszulassung entzogen, weil er mehrere politische Gefangene vor Gericht verteidigt hatte. Zudem wird die afghanische Anwaltschaft mit einem außerordentlichen zusätzlichen Human Rights Award geehrt. Dies hatte der CCBE bereits in seiner Pressemitteilung Ende Oktober öffentlich gemacht. Nach der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan und der damit einhergehenden Bedrohung der afghanischen Kolleginnen und Kollegen betont der CCBE die Erforderlichkeit einer unabhängigen Justiz und Anwaltschaft, um die Integrität der Justizverwaltung und die Rechtsstaatlichkeit sicherzustellen. Beide Auszeichnungen werden im Rahmen der CCBE-Vollversammlung am 10. Dezember 2021 verliehen.

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