EiÜ 03/2024
Resilienz der Justizsysteme: Beitrag zum Rechtsstaatlichkeitsbericht – DAV
Der DAV hat sich mit Stellungnahme Nr. 2/24 (in Englisch) an der gezielten Konsultation der EU-Kommission zum Rechtsstaatlichkeitsbericht 2024 beteiligt. Der seit 2020 erscheinende Bericht evaluiert die Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten der EU und enthält konkrete Länderempfehlungen (vgl. zum Vorjahr hier). Der DAV fordert zur Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit die verfassungsmäßige Absicherung der Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts und der höchsten Gerichte des Bundes. Mit Blick auf die personelle Ausstattung der Justiz sieht der DAV Bedarf gerade im Bereich der Geschäftsstellen weiterhin Bedarf. Anstrengungen sind durch Bund und Länder auch weiterhin zur Digitalisierung der Justiz erforderlich, vgl. bereits DAV-SN 4/23. Der diesjährige Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission wird voraussichtlich im Juni veröffentlicht.
Einheitliche Straftatbestände bei Sanktionsumgehung kommen – EP
Der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments hat am 23. Januar 2024 den Trilogkompromiss einer Richtlinie zur Sanktionierung von Sanktionsumgehung angenommen. Dieser war Ende 2023 erzielt worden und legt einheitliche Straftatbestände und Mindesthöchststrafen für die Umgehung von Sanktionen fest. Der DAV hatte in seiner Stellungnahme Nr. 3/2023 angemahnt, das Berufsgeheimnis zu wahren (vgl. auch EiÜ 04/23) und war damit erfolgreich. Anwälte sind nach dem finalen Text nicht verpflichtet, die bei ihrer beratenden und prozessbezogenen Tätigkeit erlangten Informationen zu melden, es sei denn sie haben positive Kenntnis von der Absicht ihrer Mandanten, Sanktionen zu umgehen oder erteilen den Rechtsrat zum Zwecke der Verletzung von Sanktionen. Hätte sich das EU-Parlament durchgesetzt, hätten solche Meldepflichten bereits im Verdachtsfall gegolten (vgl. EiÜ 26/23). Hinsichtlich der allgemeinen Strafzumessung drohen für natürliche Personen bei Vermögenswerten von mind. 100.000 Euro Freiheitsstrafen und für juristische Personen Geldstrafen. Der Kompromiss muss noch durch das Plenum des EU-Parlaments sowie durch den Rat final angenommen werden, bevor die Richtlinie in Kraft tritt.
Generalanwalt: Klagebefugnis bei Verstoß gegen Informationspflicht – EuGH
Der Generalanwalt Jean Richard de la Tour sprach sich am 25. Januar 2024 in seinen Schlussanträgen zur Rs. C-757/22 für eine weite Auslegung des in Art. 80 Abs. 2 DSGVO vorgesehenen Mechanismus einer Verbandsklage aus. Der BGH hatte wegen Zweifel an den unionsrechtlichen Voraussetzungen der Klagebefugnis das Verfahren zwischen dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und der Meta Ireland Ltd. ausgesetzt sowie eine Vorlagefrage an den EuGH gerichtet. Aus dem Urteil des früheren Vorabentscheidungsverfahrens in demselben Rechtsstreit (Rs. C-319/20) ergebe sich nur, dass ein Verband ohne Auftrag Rechtsverstöße bei einer Datenverarbeitung geltend machen kann, sofern diese die Rechte identifizierter oder identifizierbarer natürlicher Personen beeinträchtigen kann (vgl. EiÜ 16/22). Es sei aber fraglich, ob eine Rechtsverletzung „infolge einer Datenverarbeitung“ besteht, wenn die Verletzung einer Informationspflicht beanstandet wird. Laut BGH sei dies auszuschließen, insoweit diese Pflicht ein der Datenverarbeitung vorgelagertes Stadium betreffe. Der Generalanwalt lehnt indes ein solches zeitliches Verständnis ab: Die Geltendmachung einer Rechtsverletzung könne nicht von der chronologischen Abfolge abhängen. Entscheidend sei vielmehr das Bestehen eines Zusammenhanges mit der Datenverarbeitung. Für die Klagebefugnis reiche daher auch die Verletzung einer Informationspflicht, die zur Rechtswidrigkeit der Verarbeitung führt, aus.
Europäisches Medienfreiheitsgesetz kommt – Rat/EP
Am 19. Januar 2024 haben die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten die am 15. Dezember 2023 zwischen dem Rat der Europäischen Union und dem EU-Parlament erzielte vorläufige Einigung zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz (EMFA) bestätigt, vgl. PM. Die Verordnung zielt auf den Schutz der Medienfreiheit, des Medienpluralismus und der redaktionellen Unabhängigkeit in der EU ab, vgl. bereits EiÜ 30/22; 1/22. Die Verordnung soll einen gemeinsamen Rahmen für Mediendienste in der EU schaffen und Maßnahmen zum Schutz von Journalist:innen vor politischer Einflussnahme gewährleisten sowie grenzüberschreitende journalistische Tätigkeiten vereinfachen. Gleichzeitig soll der Rechtsakt EU-Bürger: innen das Recht auf freien und pluralistischen Zugang zu Informationen garantieren. Die Mitgliedsstaaten müssen hierzu die entsprechenden Rahmenbedingungen gewährleisten und für eine transparente und gerechte Zuweisung wirtschaftlicher Ressourcen sorgen, um hierdurch einen faireren Wettbewerb auf dem Medienbinnenmarkt zu fördern. Der Ausschuss für Kultur und Bildung (CULT) des EU-Parlaments hat die Einigung am 24. Januar 2024 ebenfalls angenommen, vgl. PM. Nach Übersetzung in sämtliche Amtssprachen, muss der Gesetzestext bis spätestens April 2024 vom Rat der EU und dem Plenum des EU-Parlaments final angenommen werden.
Europäische Betriebsräte stärken – KOM
Die EU-Kommission hat am 24. Januar 2024 einen Vorschlag (auf Englisch) zur Anpassung der Richlinie 2009/38/EG über die Einsetzung Europäischer Betriebsräte (EBR) vorgelegt. Die EU-Kommission kommt damit einer Forderung des EU-Parlaments nach, vgl. den Initiativbericht des Europäischen Parlamentes vom 2. Februar 2023 und dazu EiÜ 4/23. Ziel ist es, den sozialen Dialog in der EU weiter zu verbessern, indem Unterrichtungs- und Anhörungsgremien sicherstellen, dass Arbeitnehmer:innen in Entscheidungen über länderübergreifende Fragen einbezogen werden. Des Weiteren soll die Einsetzung von EBR erleichtert und deren Unterrichtung und Anhörung gefördert und sichergestellt werden. Sie sollen über ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen verfügen, um ihre Aufgaben zu erfüllen und in ihrer Zusammensetzung ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis aufweisen (vgl. auch EiÜ 14/23). In den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten, die in mindestens zwei EU-Mitgliedsstaaten oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) tätig sind. Der Vorschlag wird nun den Co-Gesetzgebern, dem EU-Parlament und dem Rat der EU zur Prüfung übersandt.
Anspruch auf Urlaubsvergütung auch bei Eigenkündigung – EuGH
Auch bei vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand, hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Vergütung nicht genommener Urlaubstage, so der EuGH am 18. Januar in seinem Urteil in der Rechtssache C- 218/22. Hintergrund war ein Vorabentscheidungsersuchen eines italienischen Gerichts, das die Frage zum Gegenstand hatte, ob für noch offenen Jahresurlaub eine Vergütung zu zahlen ist, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auf eigenen Wunsch beendet hat. Der EuGH hatte zudem die Frage zu beantworten, ob eine nationale Vorschrift, ein Verbot der finanziellen Vergütung, aus Erwägungen der Eindämmung öffentlicher Ausgaben sowie wegen organisatorischer Erfordernisse des öffentlichen Arbeitgebers, zulässigerweise enthalten könne. Der EuGH stellte fest, dass ein derartiges Verbot nicht im Einklang mit Art. 31 Abs. 2 GRCh und Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EU stehe. Ziel des Jahresurlaubs sei die Erholung der Beschäftigten. Das Unionsrecht, stehe dem Verlust des Anspruchs nur dann nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus freien Stücken nicht genommen habe, obwohl ihn der Arbeitgeber dazu aufgefordert und über das Risiko des Verlusts dieses Anspruchs am Ende eines Bezugs- oder zulässigen Übertragungszeitraums informiert habe (vgl. auch das Urteil vom 22. September 2022, EiÜ 31/22). Daran ändere der Umstand nichts, dass der Arbeitnehmer freiwillig das Arbeitsverhältnis beendet habe. An diese Grundsätze ist das italienische Gericht in seiner Entscheidung nun gebunden.
Gegenseitige Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft? – EuGH
Nach Ansicht der Generalanwältin des EuGH Medina verpflichten die europäischen Vorschriften einen Mitgliedstaat nicht zur Anerkennung des zuvor durch einen anderen Mitgliedstaat zuerkannten, internationalen Schutzstatus. So äußerte sie sich in ihren Schlussanträgen vom 25. Januar 2024 in der Rechtssache C-753/22 auf eine Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts. In dem zugrundeliegenden Fall hatte Griechenland dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, Deutschland konnte den Antragsteller aufgrund der in Griechenland herrschenden Bedingungen aber nicht dorthin zurückführen und den Antrag nicht als unzulässig bescheiden. Auf die Frage nach der Prüfungsbefugnis der Behörde des zweiten Mitgliedstaats (hier Deutschland) antwortete die Generalanwältin, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nicht für positive Entscheidungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gelte. Dies ergebe sich aus den Artikeln 78 Abs. 1 und 2 AEUV, der Verordnung 604/2013 („Dublin-III“) sowie der Richtlinie 2013/32. Die Behörden haben bei ihrer (erneuten) Entscheidung in der Sache den Grundsatz der guten Verwaltung zu beachten, die bereits erfolgte Prüfung durch den anderen Mitgliedstaat sei aber ein maßgeblicher Anhaltspunkt für die Begründetheit des Antrags auf internationalen Schutz und die Behörden haben der Prüfung des neuen Antrags Vorrang einzuräumen. Der EuGH ist bei seiner Entscheidung an die Schlussanträge nicht gebunden.
Flugverspätungsanspruch nur bei Erscheinen am Flughafen – EuGH
Eine Entschädigung für Flugverspätung gibt es nur bei Erscheinen am Flughafen. Dies hat der EuGH in seinen Urteilen vom 25. Januar 2024 (Rs. C-474/22 und C-54/23) klargestellt, nachdem der BGH dem Gerichtshof diese Frage vorgelegt hatte. Ausgangspunkt waren zwei Klagen von Passagieren, die 2018 bzw. 2019 von Düsseldorf nach Palma de Mallorca fliegen wollten. Da ihre Flüge mit deutlicher Verspätung starten sollten, entschieden die Fluggäste sich, den Flug gar nicht erst anzutreten, bzw. buchte einer der beiden Fluggäste einen Ersatzflug und kam hierdurch mit weniger als drei Stunden Verspätung an. In beiden Fällen argumentierte der EuGH: Wer sich nicht zum Flughafen begebe, habe keinen irreversiblen Zeitverlust erlitten und sei auch nicht von der Pflicht befreit, sich zur Abfertigung einzufinden, da auch verspätete Flüge grundsätzlich durchgeführt werden. Eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 der EU-Fluggastrechteverordnung solle nur Schäden wiedergutmachen, die für alle betroffenen Passagiere praktisch identisch seien. Klarstellend führt der EuGH aus, dass individuelle Schäden (wie etwa das Versäumen eines Geschäftstermins) hingegen Gegenstand eines „weiter gehenden Schadensersatzes“ im Sinne von Art. 12 der EU-Fluggastrechteverordnung sein können. Auch das Buchen eines Ersatzfluges erfüllt das Erfordernis des irreversiblen Zeitverlustes nicht, sofern das Endziel mit einer Verspätung von unter drei Stunden erreicht wird. Diese Grundsätze muss der BGH nun seiner Entscheidung zugrunde legen.
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