EiÜ 04/2023
EU-Justizkommissar zur Sanktionsrichtlinie – KOM
In einer Anhörung im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten des EU-Parlaments (LIBE) am 31. Januar 2023 beantwortete EU-Justizkommissar Didier Reynders Fragen der Abgeordneten zum Richtlinienentwurf zu Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstößen gegen restriktive Maßnahmen der Union. Die Abgeordnete Saskia Bricmont (Greens) fragte hierbei nach Garantien für das Recht auf rechtliche Verteidigung und Rechten der Zivilgesellschaft. Der DAV hat sich in seiner kürzlich veröffentlichten Stellungnahme 03/23 hierzu kritisch geäußert und darauf hingewiesen, dass die Unklarheiten des Richtlinienentwurfes rechtlichen Rat erforderlich machen, aber Anwälte zugleich dem Risiko ausgesetzt werden, sich strafbar zu machen. Reynders ging nur knapp auf die Problematik der Verteidigungsrechte und Vertraulichkeit ein und wiederholte lediglich, dass der Ratschlag zur Umgehung restriktiver Maßnahmen strafbar sei. Zwei weitere Fragen der Abgeordneten bezogen sich auf die Zuständigkeit für die Verfolgung der Straftaten. Der Justizkommissar hielt die Ausweitung der Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft für eine sinnvolle Möglichkeit, die es aber mit den Mitgliedsstaaten abzusprechen gelte. Dies würde die Gefahr einer Doppelbestrafung verringern, worauf auch der DAV in seiner Stellungnahme 03/23 hingewiesen hatte.
EU-Grundrechtecharta 2022: Menschenrechtsverteidigung stärken – KOM
Die EU-Kommission hat in dieser Woche im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments ihren Jahresbericht 2022 über die Anwendung der EU-Grundrechtecharta vorgestellt. Der Bericht beleuchtet, was die Mitgliedstaaten und die EU unternehmen, um Organisationen der Zivilgesellschaft und einschlägige staatliche Stellen zur Gewährleistung von Menschenrechten zu unterstützen und führt u.a. verschiedene laufende Gesetzgebungsverfahren (z.B. zu SLAPP) aber auch die Einbeziehung dieser Akteure in die Gesetzgebung allgemein auf. Der Bericht geht auf die Strategie für eine verstärkte Anwendung der EU-Grundrechtecharta aus dem Jahr 2020 zurück. Basierend auf dem Bericht kündigt die EU-Kommission einen gezielten Dialog mit Interessenträgern im Rahmen themenspezifischer Seminare zur Sicherung des zivilgesellschaftlichen Raums an, in deren Mittelpunkt die Frage stehen wird, wie die EU ihre Rolle beim Schutz, der Unterstützung und der Stärkung von Organisationen der Zivilgesellschaft und einschlägigen Einrichtungen weiterentwickeln kann, um die in diesem Bericht aufgezeigten Herausforderungen und Chancen anzugehen.
Stärkung der EU-Betriebsräte gefordert – EP
Das EU-Parlament hat sich für eine Reform der Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat (EBR) ausgesprochen, um so die Rechte der rund 1200 EU-Betriebsräte zu stärken. Der legislative Initiativbericht hierzu wurde am 02. Februar 2023 im Plenum des EU-Parlaments angenommen. Als Arbeitnehmervertretung in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen, sind die Betriebsräte insbesondere dafür zuständig, für einen besseren Informationsaustausch der Mitarbeitenden zu sorgen und diese zu wichtigen Unternehmensfragen anzuhören, welche sich auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auswirken. Der für den Initiativbericht zuständige Ausschuss für Beschäftigung und Soziales fordert unter anderem, dass die Ausnahmen für noch geltende Vereinbarungen, welche vor Inkrafttreten der Richtlinie geschlossen wurden, nicht mehr zulässig sind. Weitere Forderungen bestehen darin, schärfere Strafen bei Verstößen gegen die Richtlinie zu verhängen und zu diesem Zweck den europäischen Betriebsräten die Möglichkeit einzuräumen, vor Gericht zu klagen. Die EU-Kommission hat sich im Folgendem mit dem Initiativbericht zu befassen, muss diesem jedoch nicht zwingend Folge leisten.
„Pegasus“: Menschenrechtskommissarin fordert Moratorium – Europarat
Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, hat in einer Erklärung vom 27. Januar 2023 ein strenges Moratorium für Verkauf, Einsatz und Export von sogenannter Zero-Click-Spionagesoftware wie „Pegasus“, abrufbar hier, gefordert. Diese Software verleiht uneingeschränkten Zugriff auf angegriffene Geräte und die damit verknüpften Daten, ohne dass Betroffene davon Kenntnis erlangen (vgl. EiÜ 23/22 bzw. EiÜ 15/22). Hierdurch werden Grund- und Menschenrechte wie etwa die Rechte auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit verletzt. Sie weist darauf hin, dass der Einsatz dieser Software derartig eingriffsintensiv und vielschichtig ist, dass eine genaue ex-ante, bzw. ex-post Kontrolle desselben kaum möglich sei. Anstatt nationalen Sicherheitszwecken zu dienen, würden in einer wachsenden Spyware-Industrie Hacking-Instrumente wie „Pegasus“ teils ohne ordnungsgemäße Prüfverfahren an den Höchstbietenden verkauft. Darüber hinaus sollten Regierungen die Transparenz hinsichtlich der Tätigkeiten ihrer Sicherheitsdienste erhöhen und sich kooperationsbereit bei jeglichen Untersuchungen zeigen. Seit 18 Monaten ermittelt ein Untersuchungsausausschuss des EU-Parlaments, denn unter den Anwendern der Software sind auch einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (vgl. EiÜ 23/22).
Rechtssprechungsübersicht zu neuen Technologien – EGMR
Im Januar 2023 hat der EGMR eine aktualisierte Fassung seines Factsheets zum Thema Neue Technologien (in Englisch) veröffentlicht. Die Presseabteilung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) stellt regelmäßig Factsheets zu verschiedenen Themenbereichen zusammen (vgl. EiÜ 24/21). Die Informationsblätter dienen als Übersicht zur Rechtsprechung des EGMR und sind teilweise in 16 anderen Sprachen (u.a. in Deutsch) verfügbar. Das nun aktualisierte Factsheet stellt vor allem EGMR-Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen Technikeinsatz und dem in Art. 8 EMRK garantierten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens zusammen im Hinblick auf unterschiedliche Arten von Technologien wie Datenbanken, E-Mail, GPS, Smartphone, Satellit und Videoüberwachung.
Europäischer Haftbefehl: Auslieferung nur ausnahmsweise verweigern – EuGH
Der EuGH hat am 31. Januar 2023 über die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls aus Spanien gegen den früheren katalanischen Minister Lluís Puig entschieden (Rs. C-158/21). Hintergrund war das im Jahr 2017 unrechtmäßig erfolgte Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien, woraufhin es zur Flucht ehemaliger katalanischer Politiker nach Belgien kam. Die zuständigen belgischen Richter waren der Ansicht, es gebe keine Rechtsgrundlage, nach welcher der Oberste Gerichtshof in Madrid ausdrücklich entscheidungsbefugt sei und lehnten die Vollstreckung des Haftbefehls ab. Es bestehe die Gefahr der Verletzung des Rechts auf ein durch Gesetz errichtetes Gericht gestellt zu werden. Das Urteil des EuGH macht nun deutlich, dass die Verweigerung der Vollstreckung eines europäischen Haftbefehls „Ausnahmecharakter“ haben muss. Belgische Gerichte seien nicht befugt, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls unter Berufung auf einen Ablehnungsgrund – im konkreten Fall das formelle Erfordernis der Zuständigkeit – abzulehnen, der nur aus dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats hervorgeht. Eine Verweigerung der Vollstreckung von Europäischen Haftbefehlen sei bei offensichtlich fehlender Zuständigkeit in Verbindung mit einer konkreten Gefahr von Grundrechtseinschränkungen bzw. anderen systemischen Mängeln zwar potenziell möglich, jedoch sei im vorliegenden Fall die Gefahr einer systematischen Grundrechtsverletzung ganzer Personengruppen nicht nachweisbar.
Systematische Erhebung sensibler Daten unionsrechtswidrig – EuGH
Nationale Vorschriften, die eine systematische Erhebung biometrischer und genetischer Daten aller Personen vorsehen, die einer vorsätzlichen Straftat beschuldigt werden, sind nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. So urteilte der EuGH am 26. Januar 2023 (Rs. C-205/21) in einem Vorabentscheidungsersuchen eines bulgarischen Gerichts bezüglich der Auslegung der Richtlinie 2016/680 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Strafverfolgungsbehörden. Die Unionsrechtswidrigkeit einer systematischen Erhebung bestehe jedenfalls dann, wenn die nationalen Vorschriften keine Verpflichtung der Behörden vorsehen, zu überprüfen und nachzuweisen, dass die Erhebung für die konkret verfolgten Ziele unbedingt erforderlich ist. Der EuGH weist mit Blick auf die Eingriffsintensivität der biometrischen und genetischen Datenerhebung darauf hin, dass die Richtlinie auf verschärfte Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit dieser Datenverarbeitung abzielt. Der Gerichtshof stellte ferner klar, dass der Gesetzgeber, wenn er in einem Gesetz die Verarbeitung personenbezogener Daten sowohl zu Zwecken im Sinne der Richtlinie 2016/680 als auch zu Zwecken, die unter die DSGVO fallen regelt, sicherstellen muss, dass keine Unklarheit hinsichtlich der Anwendbarkeit des einen oder anderen Unionsrechtsakts besteht.
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