Europa im Überblick, 04/2024

EiÜ 04/2024

Verlängerung der freiwilligen Chatkontrolle: grundrechtswidrig – LIBE/EDSB

Der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments hat in seinem Bericht die Verlängerung der freiwilligen Chatkontrolle bis zum 3. Mai 2025 akzeptiert. Ausgangspunkt ist die Verordnung 2021/1232, die bislang lediglich bis zum 3. August 2024 die Möglichkeit für Provider vorsieht, Inhalte mithilfe einer automatisierten Analyse der privaten Kommunikationsdaten freiwillig zu durchleuchten, um den sexuellen Missbrauch von Kindern im Internet zu bekämpfen. Angesichts des noch laufenden – und derzeit im Rat blockierten – Verfahrens zur Ausarbeitung der Chatkontrolle-Verordnung als langfristigem Rechtsrahmen (s. EiÜ 16/23; 18/22) hatte die EU-Kommission eine verlängerte Geltungsdauer der Übergangsverordnung um zwei Jahre vorgeschlagen. Das EU-Parlament bleibt in seinem Bericht nun dahinter zurück. Der Europäische Datenschutzbeauftragte brachte derweil in seiner Stellungnahme vom 29. Januar 2024 seine Besorgnis wegen des flächendeckenden Eingriffs in die Grundrechte und Vertraulichkeit der Kommunikation (s. auch EiÜ 28/22) zum Ausdruck. Er lehnt die Verlängerung mangels wirksamer Schutzmaßnahmen gegen die verdachtsunabhängige, willkürliche Online-Überwachung ab, ebenso wie der DAV bereits in seinen Stellungnahmen zur Übergangsverordnung Nr. 25/2021 und 29/2021.

Entwurf des Verhandlungsmandats zur Anti-Korruptionsrichtlinie steht – EP

Am 31. Januar 2024 hat der Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments den Bericht (finaler Text liegt bislang nicht vor) von Berichterstatterin Ramona Strugariu (Renew, Rumänien) gebilligt, der auf dem Kommissionsvorschlag COM(2023) 234 zur Korruptionsbekämpfung beruht. Neben einer Stärkung der Prävention und der Gewährleistung der Strafverfolgung soll die Anti-Korruptionsrichtlinie auch die Definitionen von Straftaten im Zusammenhang mit Korruptionsdelikten harmonisieren und die strafrechtlichen Sanktionen verschärfen, siehe im Detail auch EiÜ 33/23 (mit Verweis auf den Berichtsentwurf); 32/23; 17/23. Die Forderungen des DAV (vgl. Stellungnahme 56/2023) wie die Streichung des über Korruptionssachverhalte weit hinausgreifenden Tatbestandes des Amtsmissbrauchs nach Art. 11 des RL-Vorschlages wurden in der Position des EU-Parlaments nicht berücksichtigt. Der Bericht wird voraussichtlich in der Plenarsitzung vom 26. bis 29. Februar 2024 angenommen.

Grenze der Speicherung biometrischer Daten von Straftätern – EuGH

Biometrische und genetische Daten von strafrechtlich verurteilten Personen (wie Bild, DNA-Probe oder Fingerabdrücke) dürfen nicht bedingungslos und zeitlich unbefristet polizeilich gespeichert werden. Dies hat der EuGH nun in einem Vorabentscheidungsersuchen aus Bulgarien (Rs. C-118/22) klargestellt, wo die unterschiedslose lebenslange Speicherung solcher Daten vorgesehen war. Eine lebenslange, allgemeine und unterschiedslose Speicherung solcher Daten verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und e der Datenschutzrichtlinie 2016/680, so nun der EuGH. Nicht bei allen Personen sei das Risiko gleich hoch, in andere Straftaten verwickelt zu werden, stattdessen müsse die Art und Schwere der begangenen Straftat oder eine fehlende Rückfälligkeit bei der Frage nach der Speicherdauer berücksichtigt werden. Die Verantwortlichen müssten regelmäßig überprüfen, ob die Speicherung noch notwendig ist, und der betroffenen Person das Recht auf Löschung dieser Daten zuerkennen, sollte dies nicht mehr der Fall sein.

Grenzüberschreitende Übertragung von Strafverfahren vor Trilog – EP

Grenzüberschreitende Übertragungen von Strafverfahren sollen demnächst einfacher möglich sein. Dazu nahm der zuständige Ausschuss des EU-Parlaments seinen Bericht (vgl. EiÜ 35/23) zum Verordnungsvorschlag (vgl. EiÜ 13/23) über die Übertragung von Strafver­fahren an. Beschuldigte können gegen die Entscheidung der Übertragung des Verfahrens bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaates innerhalb von 14 Tagen Rechtsmittel einlegen, nicht aber gegen die Ablehnung der Übertragung, wie es der DAV in seiner Stellungnahme Nr. 41/2023 gefordert hatte. Positiv ist aus Sicht des DAV zu bewerten, dass das EU-Parlament das Recht auf Akteneinsicht des Beschuldigten stärken möchte. Der Ausschuss des EU-Parlaments hat bereits der Aufnahme der nun folgenden Trilogverhandlungen zugestimmt, auch der Rat hatte bereits im Dezember eine allgemeine Ausrichtung erzielt (vgl. EiÜ 42/23).

Stage international 2024 – Rechtsanwaltskammer Paris

Französischsprachige Junganwält:innen können sich bis zum 12. April 2024 für ein zweimonatiges Praktikum in Paris bewerben. Im Oktober und November 2024 können 30 Anwält: innen aus verschiedenen europäischen Ländern an der Pariser Anwaltsschule (École de Formation du Barreau - EFB) Kenntnisse zum französischen Berufsrecht, Verfahrensrecht und dem Rechtssystem im Allgemeinen erwerben. Während der erste Monat der theoretischen Ausbildung gewidmet ist, sieht der zweite Monat den praktischen Teil in einer Pariser Anwaltskanzlei vor. Neben dem Einblick in die französische Anwaltspraxis, gilt der Aufenthalt auch dem Austausch und der Vernetzung der internationalen Teilnehmer:innen. Diese dürfen nicht älter als 40 Jahre alt sein und müssen über gute Französischkenntnisse verfügen (weitere Informationen und die Anmeldemöglichkeit finden Sie hier).

Bekämpfung von Menschenhandel wird verschärft – EP/Rat

Am 23. Januar 2024 haben der Rat (vgl. PM) und das EU-Parlament (PM) sich im Trilog auf eine neue Richtlinie zur Verschärfung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung der Richtlinie 2011/36/EU geeinigt (Text noch nicht verfügbar, vgl. EiÜ 36/23). Aufgenommen werden neue Tatbestände wie Zwangsheirat, illegale Adoption und Leihmutterschaft als Arten der Ausbeutung. Auch die Sanktionen gegen juristische Personen sollen verschärft werden. Darüber hinaus sollen Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die wissentliche Inanspruchnahme der Dienste von Opfern der Ausbeutung strafrechtlich zu verfolgen. Bereits in der ursprünglichen Position des Rates, als auch im Bericht des EU-Parlaments wurde klargestellt, das sich der Tatbestand nur auf die Inanspruchnahme von Diensten beziehe und nicht auf den Erwerb von Produkten, die unter der Nutzung von Ausbeutung hergestellt wurden. Um Menschen, die Opfer von Ausbeutung wurden, zur Anzeige zu ermutigen, kann auf die strafrechtliche Verfolgung von Personen, die zu strafrechtlich verfolgbaren Handlungen gezwungen wurden, verzichtet werden. Die erzielte Einigung muss nun von Rat und EU-Parlament förmlich angenommen werden.

Datenschutz-Compliance-Tool – EDPB

Der Europäische Datenschutzausschuss (European Data Protection Board - EDPB) hat ein Tool zur Überprüfung von Webseiten auf ihre Vereinbarkeit mit europäischem Datenschutzrecht veröffentlicht (abrufbar hier). Das Tool soll sowohl die Arbeit der nationalen Datenschutzbehörden erleichtern als auch Verantwortlichen und Auftragsverarbeitern im Sinne der DSGVO bei der Überprüfung der eigenen Webseiten zur Verfügung stehen. Das Tool ist als Open-Source-Software verfügbar und wurde von dem Expertengremium Support Pool of Experts erarbeitet, das im Rahmen der EDPB-Strategie 2021-2023 zur Unterstützung nationaler Aufsichtsbehörden eingesetzt wurde.

DSGVO: Ungutes Gefühl begründet keinen immateriellen Schaden – EuGH

Ein rein hypothetischer Missbrauch personenbezogener Daten begründet keinen immateriellen Schaden gemäß der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Dies hat der EuGH in seinem Urteil vom 25. Januar 2024 (Rs. C-687/21) klargestellt und somit die Anforderungen an Ansprüche auf Schadensersatz bei Verstößen gegen die DSGVO weiter verschärft (vgl. bereits EiÜ 43/23; 17/23; 33/22). Ausgangsfall war die Klage eines Kunden vor dem AG Hagen, der beim Elektronikhändler Saturn ein Haushaltsgerät kaufte. Bei der Warenausgabe wurde das Gerät samt seiner Kauf- und Kreditvertragsunterlagen (darin enthalten Name, Anschrift und Einkünfte) einem Dritten ausgehändigt. Der Irrtum fiel schnell auf, sodass die Unterlagen bereits eine halbe Stunde später dem Kunden übergeben wurden. Dieser machte aufgrund des Risikos des Kontrollverlusts seiner personenbezogenen Daten Schadensersatz geltend. Nach Ansicht des EuGH müssen Betroffene neben dem Verstoß gegen die DSGVO auch den entstandenen Schaden nachweisen. Das Vorliegen eines rein hypothetischen Risikos der missbräuchlichen Verwendung von Daten durch einen Dritten genüge nicht, um Schadensersatz nach der DSGVO geltend zu machen. Im konkreten Fall muss nun das AG Hagen entscheiden.

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