ZUGANG FÜR ANWÄLTE ZUM ELEKTRONISCHEN RECHTSVERKEHR – EuGH
Einem Rechtsanwalt, der in einem Mitgliedstaat niedergelassen ist, darf der Zugang zum elektronischen Rechtsverkehr in einem anderen Mitgliedstaat nicht alleine aus dem Grund verwehrt werden, dass der Rechtsanwalt nicht Mitglied der dortigen Rechtsanwaltskammer ist. So äußerte sich EuGH-Generalanwalt Wathelet in seinen Schlussanträgen vom 9. Februar 2017 in der Rs. „Lahorgue“ (C-99/16, nur in englischer Sprache verfügbar). Nach dessen Auffassung verstößt die Verwehrung des Zugangs zum elektronischen Rechtsverkehr gegen Art. 4 der anwaltlichen Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG. Einschränkungen der freien Dienstleistung seien zwar aus Gründen der ordentlichen Rechtspflege möglich. Allerdings sei die Maßnahme unverhältnismäßig. Ein hiervon betroffener Rechtsanwalt müsste nämlich in Rechtsangelegenheiten, in denen kein sog. Einvernehmensanwalt erforderlich ist, faktisch auf einen bei der örtlichen Kammer zugelassenen Rechtsanwalt zurückgreifen. Zudem werde auch bei der postalischen Zustellung nicht systematisch die Anwaltseigenschaft geprüft. Den Schlussanträgen liegt der Fall eines in Luxemburg zugelassenen, französischen Rechtsanwalts zugrunde, dem die Einrichtung eines Zugangs zu dem „ Virtuellen Privaten Anwaltsnetzwerk“ (RPVA) in Frankreich, welches der elektronischen Kommunikation zwischen Rechtsanwälten und Gerichten dient, von der Rechtsanwaltskammer Lyon verwehrt wurde. Der EuGH ist an die Anträge des Generalanwalts nicht gebunden, folgt diesen jedoch in einer Vielzahl von Fällen.
ZWEITE ANHÖRUNG IM PANA-AUSSCHUSS ZUR ROLLE VON ANWÄLTEN – EP
Am 9. Februar 2017 fand im Sonderausschuss „PANA“ die zweite Anhörung zur Rolle von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern sowie Finanzinstituten im Panama Papers Skandal statt (s. EiÜ 4/16). Auch in dieser Anhörung waren Vertreter von Bankenverbänden und der Anwaltschaft geladen. Durch Beiträge von Journalisten und ehemaliger Compliance-Officer der Hamburger Berenberg Bank stand insbesondere die Skandalverwicklung der Banken im Fokus des Ausschusses. Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer differenzierten zu den unterschiedlichen Aufgaben von Gesetzgeber und Berater bei Steuerschlupflöchern. Hinsichtlich des Vorwurfs Rechtsanwälte würden zu wenige Geldwäschemeldungen machen, erläuterte die BRAK die Rolle der Anwaltschaft als Berater.
DEUTSCHES Erbrecht DiskriminierT NICHTEHELICHE kINDER – EGMR
Nichteheliche Kinder, die vor 1949 geboren worden sind, werden durch deutsches Recht diskriminiert. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 9. Februar 2017 im Fall Mitzinger/Deutschland (Beschwerdenr. 29762/10, nur auf Englisch). Die deutsche Stichtagsregelung im Gesetz über die rechtliche Stellung nichtehelicher Kinder gibt nichtehelichen Kindern, die vor dem 1. Juli 1949 geboren worden sind und deren Vater vor dem 29. Mai 2009 gestorben ist, keine Rechte am Erbe des verstorbenen Vaters, sondern allein am Erbe der Mutter. Diese teilweise Gleichstellung von nichtehelichen Kindern und ehelichen Kindern hatte Deutschland aufgrund einer früheren Verurteilung des EGMR vom 28. Mai 2009 (Beschwerde-Nr. 3545/04) eingeführt, in der die erbrechtliche Benachteiligung von vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichtehelichen Kindern für diskriminierend befunden wurde. Die Beschränkung auf Erbfälle ab dem 29. Mai 2009, so der EGMR, sei jedoch eine Ungleichbehandlung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern, die gegen das in Art. 14 EMRK geregelte Diskriminierungsverbot unter Berücksichtigung des in Art. 8 EMRK geregelten Rechts auf Achtung des Familienlebens verstoße. In dem konkreten Fall der 1940 als nichteheliches Kind geborenen Beschwerdeführerin war der Vater vor diesem Stichtag verstorben. Die zunächst angerufenen deutschen Gerichte lehnten unter Hinweis auf die durch das Bundesverfassungsgericht (u.a. 1 BvR 2257/03) festgestellte Grundrechtskonformität dieser Regelung Ansprüche ab – zu Unrecht.
BETRUGSBEKÄMPFUNG KOMMT, STILLSTAND BEIM STAATSANWALT – RAT
Der Rat der EU hat am 7. Februar festgestellt, dass es im Gesetzgebungsverfahren zur Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft nicht möglich war, Einstimmigkeit zu erzielen (s. Pressemitteilung und Entscheidungsvorlage sowie den aktuellen Verhandlungstext). Nun beginnt eine offiziell viermonatige Zeit, in welcher die Staaten noch versuchen sollten, Einstimmigkeit herzustellen. Falls dies nicht gelingt, können mindestens neun EU-Mitgliedstaaten das Verfahren in der „verstärkten Zusammenarbeit“ weiterführen. Laut Justizkommissarin Jourová haben 17 Mitgliedstaaten hieran bereits ihr Interesse bekundet. Ein anderes – der Europäischen Staatsanwaltschaft zugrundeliegendes – Gesetzgebungsverfahren schreitet derweil voran: Der Rat billigte am 7. Februar 2017 den Kompromiss zur sogenannten „PIF“-Richtlinie zur strafrechtlichen Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug (s. EiÜ 03/17). Deutschland betonte, ein Verfechter der Europäischen Staatsanwaltschaft weiterhin zu sein, lehnt aber vor allem den Punkt Mehrwertsteuerbetrug in der Richtlinie (s. EiÜ 40/16) ab. Nun steht die Billigung durch das Plenum des Europäischen Parlamentes aus, bevor die Richtlinie durch die Veröffentlichung im Europäischen Amtsblatt in Kraft tritt und die Umsetzungszeit beginnt.
TRILOGKOMPROMISS ERZIELT: ONLINEABOS BALD EU-WEIT – KOM/EP/RAT
Verbraucher in der EU können ihre Online-Abonnements für Filme, E-Bücher oder Musik bald bei vorübergehenden Aufenthalten in anderen EU-Mitgliedstaaten uneingeschränkt nutzen. Denn nur zwei Monate nach Beginn der Trilogverhandlungen zum Verordnungsentwurf COM(2015) 627 zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt konnten sich die Verhandlungsparteien bereits einigen (vgl. Pressemitteilung des Rates, EiÜ 39/16, 19/16, DAV-Stellungnahme 5/2016). Die neue Verordnung wird für kostenpflichtige Online-Inhaltedienste gelten. Die grenzüberschreitende Mitnahme von audiovisuellen Online-Diensten beruht darauf, dass die Abonnierenden über die Verifizierung ihrer IP-Adresse nachweisen, in welchem EU-Mitgliedsstaat sie wohnen. Datenspuren, die die Nutzenden der Online-Dienste im Internet hinterlassen, dürfen durch die Anbieter nicht gespeichert oder für andere Zwecke ausgewertet werden. Nun muss der Kompromiss vom Rat der EU und dem EU-Parlament förmlich gebilligt werden. Nach einer Übergangsfrist von neun Monaten gilt die Verordnung sodann ab Anfang 2018 in der EU.
KOMPROMISS ZUR AKTIONÄRSRECHTERICHTLINIE ANGENOMMEN – EP
In seiner Sitzung vom 31. Januar 2017 hat der Rechtsausschuss (JURI) des EU-Parlaments den im Trilog erzielten Kompromiss zur Aktionärsrechterichtlinie angenommen (s. EiÜ 41/2016). Aktionäre sollen sich dadurch in großen europäischen Unternehmen stärker und möglichst langfristig engagieren können. Darüber hinaus soll mehr Transparenz geschaffen werden. Nun steht die Veröffentlichung im Amtsblatt bevor. Sodann haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre zur Umsetzung der Richtlinie.
GENERALANWALT: HUMANITÄRE VISA BEI FOLTERGEFAHR PFLICHT – EUGH
EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Flüchtlingen ein humanitäres Visum auszustellen, wenn die Gefahr besteht, dass diese Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, so Generalanwalt Paolo Mengozzi in seinen Schlussanträgen vom 7. Februar im Eilverfahren in der Rs. „X und X/Belgien“ (C-638/16 PPU). Dabei spiele keine Rolle, ob zwischen der betroffenen Person und dem Mitgliedstaat eine Verbindung bestehe. Ein belgisches Gericht hatte dem EuGH die Frage im Fall einer syrischen Familie mit drei Kindern vorgelegt, die angegeben hatte, wegen ihres christlich-orthodoxen Glaubens Verfolgung ausgesetzt zu sein. Ein Familienmitglied war bereits gefoltert worden. Die Familie hatte in der belgischen Botschaft im Libanon Visaanträge gestellt, um in Belgien einen Asylantrag stellen zu können – der Antrag war jedoch abgelehnt worden. Die Situation der syrischen Familie, so Mengozzi, falle in den Regelungsbereich der Verordnung Nr. 810/2009 über den Visakodex. Der Visakodex erteile den Mitgliedstaaten nicht bloß eine Ermächtigung, Visa auszustellen; sie müssten bei der Wahrnehmung ihres Beurteilungsspielraums auch die Rechte der EU-Grundrechtecharta wahren. Im konkreten Fall bestehe eine tatsächliche Gefahr einer unmenschlichen Behandlung von extremer Schwere, i.S.d. Artikel 4 der Grundrechtecharta. Der EuGH ist an die Anträge des Generalanwalts nicht gebunden, folgt diesen jedoch in einer Vielzahl von Fällen.
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