EiÜ 06/2024
Texte des neuen Geldwäschepakets veröffentlicht – Rat
Der Ausschuss der Ständigen Vertreter im Rat hat am 13. Februar 2024 die Texte des Geldwäschepakets gebilligt (vgl. zur vorläufigen Trilogeinigung bereits EiÜ 43/23 und 2/24). Durch die neue Geldwäscheverordnung wird u.a. eine Bargeldzahlungsobergrenze von 10.000 EUR eingeführt. Meldepflichten für Rechtsanwälte bestehen bei positiver Kenntnis bzgl. der Absicht ihrer Mandanten bzw. bei aktiver Beteiligung der Anwälte, nicht jedoch bei Verdacht, wie vom EU-Parlament gefordert worden war. Die Schwelle für die Definition wirtschaftlicher Berechtigter bleibt entgegen der Forderungen des EU-Parlaments, diese abzusenken, wie bisher und wie weltweit üblich bei 25%. All dies hatte der DAV gefordert, vgl. DAV-Stellungnahme 58/21. Das Paket umfasst auch die 6. Geldwäscherichtlinie sowie die Verordnung zur Errichtung der Europäischen Geldwäscheaufsichtsbehörde AMLA. Der Sitz der AMLA soll voraussichtlich in der kommenden Woche festgelegt werden. Voraussichtlich Ende Februar/Anfang März wird das Geldwäschepaket durch die zuständigen Ausschüsse im EU-Parlament angenommen sowie anschließend durch Rat und Plenum des Europäischen Parlaments formell angenommen werden.
Reform des Asylrechts: 10 Verordnungen kurz vor Abschluss – Rat/EP
Der Rat der EU sowie der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des EU-Parlaments (LIBE) haben am 8. Februar 2024 jeweils die vorläufige Einigung über die Reform des gemeinsamen Europäischen Asylsystems bestätigt, (vgl. PM). Die Texte der Verordnungen sind nun verfügbar, dies betrifft die Asylverfahrensverordnung, Screening-Verordnung, „Krisen-Verordnung“, Asyl- und Migrationsmanagement-Verordnung sowie die Eurodac-Verordnung und die ECRIS-TCN-Verordnung (jeweils auf Englisch). Die umstrittenen Regelungen bringen Verschärfungen in vielfacher Hinsicht mit sich (s. dazu auch EiÜ 44/23; 36/23; 33/23; 22/23). So sollen an den Außengrenzen obligatorische Grenzverfahren sowie eine de-facto-Inhaftierung eingeführt werden, die selbst Minderjährige einschließt. Der DAV hatte bereits in seiner Stellungnahme zum Asyl- und Migrationspaket erhebliche Bedenken hinsichtlich des Zugangs zum Recht geäußert (vgl. DAV-SN 8/2021) und die Einhaltung der Grundrechte und des Individualrechtsschutzes gefordert, vgl. EiÜ 36/23. Ferner wurden die Texte über die Verordnung zum EU-Neuansiedlungsrahmen, die Qualifikationsverordnung sowie die Richtlinie über Aufnahmebedingungen angenommen. Zusätzlich wurde ein Verordnungsvorschlag angenommen, der ein Rückkehr-Grenzverfahren vorsieht und in dessen Rahmen Abweichungen u.a. von der Asylverfahrensverordnung zum Festhalten/zur Inhaftierung abgelehnter Antragsteller vorgesehen sind. Die Co-Gesetzgeber müssen alle Verordnungen noch formell bestätigen.
KI-Verordnung in der letzten Phase – EP/Rat
Die Ausschüsse für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) und für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments haben am 13. Februar 2024 die im Dezember 2023 gefundene politische Einigung zur KI-Verordnung bestätigt (auf Englisch), siehe bereits EiÜ 43/2023). Zuvor hatten die Vertreter der Mitgliedsstaaten am 2. Februar 2024 bereits den Kompromiss einstimmig angenommen, nachdem insbesondere Deutschland nach viel Druck zur Nichtregulierung von generativer KI seinen Widerstand aufgegeben hatte. Die Verordnung wird 24 Monate nach Inkrafttreten anwendbar sein, mit Ausnahme einiger Vorschriften, die schon früher Anwendung finden. Dies betrifft etwa in der Verordnung genannten (grundsätzlichen) Verbote des Einsatzes von KI-Systemen, wie die biometrische Fernidentifizierung in Echtzeit sowie Social Scoring-Systeme, die bereits nach sechs Monaten Anwendung finden. Vorschriften zu KI-Modellen mit allgemeinem Verwendungszweck gelten nach zwölf Monaten. Der DAV hatte sich von Beginn an in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht und insbesondere ein striktes Verbot der biometrischen Fernidentifizierung aber auch eine präzise Definition von KI gefordert sowie vor einer Überregulierung gerade von Basismodellen gewarnt, vgl. DAV-SN 74/23; 57/21; 40/20. Im April 2024 wird die finale Annahme im Plenum des EU-Parlaments erwartet, bevor auch der Rat der EU den Gesetzestext formal annehmen muss.
Recht auf Reparatur: Verlängerung der Gewährleistung um 12 Monate – Rat
Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten haben am 14. Februar 2024 die zuvor erzielte politische Einigung zur Richtlinie zur Förderung der Reparatur von Waren bestätigt, abrufbar hier (auf Englisch). Die Richtlinie zielt darauf ab, es Verbrauchern zu erleichtern, ihre Produkte zu vorhersehbaren Konditionen reparieren zu lassen, vgl. bereits EiÜ 37/23; 18/23. Dazu soll nach der nun gefundenen Einigung die Warenkaufrichtlinie (EU) 2019/771 dahingehend abgeändert werden, dass sich die Gewährleistungszeit um 12 Monate verlängert, wenn die Reparatur als Mittel der Nacherfüllung gewählt wird. Die Bereitstellung des neu eingeführten europäischen Formulars für Reparaturinformationen gegenüber den Verbraucher:innen soll für die Betriebe freiwillig sein, (siehe bereits EiÜ 37/23), die darin gemachten Bedingungen im Falle der Bereitstellung aber verbindlich. Der DAV hatte sich zu dem Gesetzgebungsvorhaben geäußert und insbesondere mehr Klarheit in Bezug auf die Wahlmöglichkeit bei der Nacherfüllung gefordert (vgl. SN 28/2023; EiÜ 18/23). Die Einigung wird voraussichtlich am 22. Februar 2024 durch den Binnenmarktausschuss (IMCO) des EU-Parlaments bestätigt und muss anschließend durch den Rat der EU und das Plenum des EU-Parlaments formell angenommen werden, bevor die Richtlinie in Kraft treten kann.
World Justice Project: Umfrage zur Rechtsstaatlichkeit – WJP
Das World Justice Project (WJP) führt derzeit die sowohl an die Öffentlichkeit als auch an Rechtsexperten gerichtete Umfrage „Indikatoren für subnationale Justiz, Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit in der EU“ durch. Eine Teilnahmemöglichkeit besteht unter diesem Link bis zum 6. März 2024. Die Indikatoren zur Messung der Rechtsstaatlichkeit sollen durch Daten aus 110 Regionen, verteilt über die EU-Mitgliedsländer, anhand von Fragen u.a. zum Gesetzgebungsprozess, zur Transparenz und Diskriminierungsfreiheit des Regierungshandelns sowie zu den Wahlen erhoben werden. Das WJP ist eine unabhängige Organisation zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, die u.a. den jährlichen „Rule of Law Index“ veröffentlicht und der die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in 142 Ländern abbildet, vgl. hierzu EiÜ 37/23.
Einigung zur Verlängerung der freiwilligen Chatkontrolle bis 2026 – Rat/EP
Die Vertreter von Rat und EU-Parlament haben am 15. Februar 2024 eine vorläufige Einigung zum Verordnungsvorschlag zur Verlängerung der freiwilligen Chatkontrolle erzielt (s. PM). Demnach wird die zum 3. August 2024 auslaufende Übergangsverordnung 2021/1232 bis zum 3. April 2026 fortgelten. Providern wird es weiterhin gestattet sein, spezifische Technologien für die Analyse privater Kommunikationsdaten zu nutzen, um Online-Inhalte auf sexuellen Missbrauch von Kindern zu durchleuchten und zu melden. Die Verlängerung soll die Lücke schließen, die aufgrund der andauernden Verhandlungen hinsichtlich der Chatkontrolle-Verordnung als langfristigem Rechtsrahmen zur Bekämpfung des Kindermissbrauchs im Internet besteht (vgl. EiÜ 05/24; 04/24). Der DAV hat das flächendeckende, verdachtsunabhängige Scannen von Inhaltsdaten von vornherein aufgrund der Unverhältnismäßigkeit abgelehnt (vgl. SN Nr. 25/2021 und 29/2021, EiÜ 30/23; 19/23), wie auch der Europäische Datenschutzbeauftragte (vgl. Stellungnahme). Im nächsten Schritt muss die vorläufige Einigung von Rat und EU-Parlament final angenommen werden.
Keine Vollstreckung bei Verletzung der Meinungsfreiheit – EuGH
Eine offensichtliche Verletzung der Meinungsfreiheit kann einen Versagungsgrund für die Vollstreckung eines Urteils zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. So äußerte sich der Generalanwalt Maciej Szpunar in seinen Schlussanträgen vom 08. Februar 2024 in der Rs. C- 633/22. Hintergrund ist ein Vorabentscheidungsersuchen eines französischen Gerichts, das die Vollstreckung eines spanischen Gerichtsurteils unter Verweis auf die Pressefreiheit und den ordre public (Art. 45 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001, „Brüssel-I-VO) abgelehnt hatte. Der Generalanwalt ist der Auffassung, dass ein Mitgliedsstaat die Vollstreckung eines Titels eines anderen Mitgliedstaates gem. Brüssel-I-VO) versagen oder aufheben muss, wenn sie zu einer offensichtlichen Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit führen würde. Eine solche Verletzung ist mit Blick auf Art. 11 der Grundrechte-Charta laut dem Generalanwalt zu bejahen, wenn die Vollstreckung der Entscheidung eine potenziell abschreckende Wirkung in Bezug auf die Beteiligung an der Debatte über ein Thema von allgemeinem Interesse hat und diese abschreckende Wirkung über die von der Verurteilung betroffene Person hinausgeht. Eine solche Wirkung könne ein (überhöhtes) Schadenersatzbegehren entfalten, das etwa dann anzunehmen sei, wenn es mehrere Dutzend Mindestlöhne des Mitgliedstaates betrage oder bei juristischen Personen ihr finanzielles Gleichgewicht gefährden kann. Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend.
Vernehmung ohne Rechtsbeistand verletzt faires Verfahren – EGMR
Das Recht auf ein faires Verfahren ist verletzt, wenn Aussagen, die von Mitangeklagten unter Abwesenheit eines rechtlichen Beistands bei einer polizeilichen Vernehmung getätigt wurden, das wesentliche Beweismittel zur Verurteilung des Angeklagten darstellen. Dies entschied der EGMR am 13. Februar 2024 in der gegen die Türkei geführten Rechtssache Doğan, Beschwerde-Nr. 3324/19. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, war im Jahr 2002 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In einem ersten Verfahren (no. 38114/03) stellte der EGMR einen Verstoß gegen das Recht auf einen Rechtbeistand (Artikel 6 Abs. 3 (c) EMRK) fest, nachdem das Urteil auf eine Aussage des Beschwerdeführers gestützt wurde, die dieser ohne rechtlichen Beistand und unter vermeintlichem Zwang tätigte und später wiederrief. Die Urteilsaufhebung blieb jedoch im Wiederaufnahmeverfahren vor nationalen Gerichten erfolglos. Sie stützten die Verurteilung im Wesentlichen auf polizeiliche Vernehmungen von Mitangeklagten, die wiederum ohne rechtlichen Beistand erfolgten und später wiederrufen wurden. Der EGMR führte zur Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 EMRK aus: In der Urteilsbegründung fehle es an Zweifeln des Beweiswerts der Vernehmungen der Mitangeklagten. Zudem habe das Gericht nicht gewürdigt, ob die übrigen Beweismittel für sich genommen eine Aufrechterhaltung des Urteils rechtfertigen.
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