EiÜ 08/2024
Neue Tatbestände zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt beschlossen – EP
Das Plenum des Europäischen Parlaments hat am 27. Februar 2024 neue Vorschriften gegen Umweltkriminalität angenommen. Die Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt, verpflichtet die Mitgliedsstaaten Umweltstraftaten konsequenter zu verfolgen und enthält eine verlängerte Liste von Straftatbeständen. Bei den (qualifizierten) Straftatbeständen handelt es sich u.a. um weitreichende Verschmutzungen von Luft, Wasser und Boden, die die Ökosysteme zerstören. Als Strafen stellt die Richtlinie u.a. Mindesthöchstfreiheitsstrafen für natürliche Personen zwischen drei bis zu zehn Jahren in Aussicht. Auch werden Täter verpflichtet, den vorherigen Zustand der Umwelt wiederherzustellen oder für einen Ausgleich zu sorgen. Für juristische Personen sind u.a. Mindestgeldbußen von 5% des weltweiten Jahresumsatzes vorgesehen. Der DAV hatte in seiner Stellungnahme Nr. 52/2022 Kritik an den geplanten Sanktionsbestimmungen insbesondere unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten sowie dahingehend geäußert, dass es sich bei der Richtlinie um einen ersten Schritt in Richtung eines Unternehmens(umwelt)strafrechts handele, vgl. bereits EiÜ 39/23; 11/23, 34/22. Die Richtlinie tritt, nachdem der Rat formell zugestimmt hat, am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Die Mitgliedstaaten müssen sie innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umsetzen.
EuGH-Reform: Mehr Entlastung und Transparenz bei Vorlageverfahren – EP
Das EU-Parlament hat am 27. Februar 2024 die vorläufige Einigung (in Englisch) zur Reform der EuGH-Satzung gebilligt. Die vom Gerichtshof angestoßenen Änderungen des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der EU (s. ursprünglichen Vorschlag) betreffen überwiegend das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV und zielen auf Verringerung der Arbeitslast durch die Übertragung der Zuständigkeit in bestimmten Bereichen auf das Gericht 1. Instanz sowie auf die Erhöhung der Verfahrenstransparenz ab (vgl. EiÜ 42/23; 31/23; 25/23). Hierzu sollen nunmehr Schriftsätze nach der Urteilsverkündung oder schriftliche Erklärungen der Verfahrensbeteiligten auf der Website des EuGH veröffentlicht werden, es sei denn, ein Widerspruch wurde von der jeweiligen Partei erhoben. Ferner ist vorgesehen, dass die Zuständigkeit für Vorlageverfahren in bestimmten Sachbereichen vom EuGH auf das Gericht übertragen werden kann. Vorlagen werden dem Parlament, Rat und der EZB zugestellt, denen auch ein Recht zur Stellungnahme im Verfahren zukommt. Für Parlament und EZB gilt dies eingeschränkt, insoweit ein besonderes Interesse an den aufgeworfenen Fragen vorliegen muss. Im nächsten Schritt muss die Einigung noch vom Rat formell angenommen werden.
Europaweiter Schutz vor missbräuchlichen Klagen – EP
Am 27. Februar 2024 hat das Plenum des EU-Parlaments die Anti-SLAPP-Richtlinie angenommen, vgl. Pressemitteilung. Die Richtlinie soll EU-weit einen besseren Schutz gegen strategische Klagen gewährleisten, die gegen öffentliche Beteiligung erhoben werden (strategic lawsuits against public participation – „SLAPP“). Ende November hatten die Co-Gesetzgeber Rat und Parlament eine entsprechende Einigung erzielt, vgl. bereits EiÜ 41/23, 27/23, 25/23, 11/23, 16/22. Die Richtlinie soll dem Schutze natürlicher wie juristischer Personen dienen, wobei mit Blick auf Journalisten in den Erwägungsgründen klargestellt wird, dass Journalismus von einem breiten Spektrum an Personen ausgeübt wird und medienneutral ist. Bei den geregelten Schutzmechanismen handelt es sich u.a. um die Möglichkeit einer frühzeitigen Abweisung einer offensichtlich unbegründeten Klage, wobei dies nur im Einklang mit dem nationalen Recht gefordert wird. Ferner ist vorgesehen, dass vom Kläger eine Sicherheitsleistung hinsichtlich der geschätzten Verfahrenskosten verlangt werden kann. Der DAV hatte die Zielsetzung der Initiative begrüßt, jedoch darauf hingewiesen, dass in der ZPO bereits Verfahrensgarantien gegen missbräuchliche Klagen enthalten sind. Im nächsten Schritt muss der Rat noch förmlich zustimmen, bevor die Richtlinie in Kraft treten kann.
Gleichbehandlung der Gläubiger in der Insolvenz – DAV
Der DAV hat sich mit seiner Stellungnahme 6/24 erneut zu dem Gesetzgebungsverfahren zur Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts geäußert. Gegenstand und Anlass der Stellungnahme ist die Position des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des EU-Parlaments (ECON) zu dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts. Darin geht der DAV u.a. auf den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung in der Insolvenz (par conditio creditorum) ein und sieht in diesem Zusammenhang dessen Durchbrechung zugunsten von Arbeitnehmerinteressen kritisch. Ferner sieht der DAV entsprechend seiner bereits in Stellungnahme Nr. 13/23 geäußerten Position den durch den ECON-Ausschuss gemachten Vorschlag kritisch, die im Richtlinienvorschlag vorgesehenen, in der Regel verwalterlosen Verfahren für Kleinstunternehmen auf KMU auszudehnen, vgl. bereits EiÜ 9/23. Wie sich der noch nicht vorliegende Berichtsentwurf des zuständigen Rechtsausschusses (JURI) zu der ECON-Position (sowie zur Stellungnahme des DAV) verhalten wird, bleibt abzuwarten.
Gesetzgebungsverfahren zur digitalen Brieftasche steht vor Abschluss – EP
Das EU-Parlament hat am 29. Februar 2024 die vorläufige Einigung zur Einführung einer digitalen Brieftasche angenommen (abrufbar hier). Die von der EU-Kommission 2021 vorgeschlagene Verordnung zur Schaffung eines Rahmens für eine europäische digitale Identität, soll die Nutzung der sog. EUid-Brieftasche für die grenzüberschreitende Authentifizierung und den Zugang zu Online-Diensten ermöglichen (s. bereits EiÜ 39/23). Die Brieftasche kann entweder vom Mitgliedstaat oder einem privaten Anbieter unter Beachtung von Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen bereitgestellt werden und dient zur Ergänzung bestehender Identifizierungsmittel. Auf freiwilliger Basis können juristische und natürliche Personen diese nutzen. Für private Zwecke erfolgt die Bereitstellung kostenlos. Neben der Speicherung sowie Verwaltung von amtlichen Dokumenten wie Führerscheine, Universitätsdiplome oder ärztliche Rezepte ist auch die Möglichkeit der Signatur vorgesehen. Über ein Dashboard werden alle Transaktionen dargestellt, wobei Nutzer:innen Datenschutzverstöße melden und die Löschung von Daten nach der DSGVO beantragen können. Die Einigung muss nun noch vom Rat formell angenommen werden, bevor sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht wird und 20 Tage später in Kraft tritt.
Erfüllung des Aktionsplans für geistiges Eigentum – EP
Am 28. Februar 2024 hat das Plenum des Europäischen Parlaments mehrere Legislativprojekte im Bereich des geistigen Eigentums angenommen. Darunter zwei Berichte im Bereich Patentrecht. Die Abstimmungen umfassten die Verordnungsvorschläge zu einheitlichen Schutzzertifikate für Pflanzenschutzmittel (hier und hier) und Arzneimittel (hier und hier) sowie zu Standardessenziellen Patenten (SEP) (zu Letzteren vgl. EiÜ 7/22). Zusätzlich hat das Plenum dem gefundenen Kompromiss (in Englisch) der Trilogverhandlungen für eine Verordnung zu geografischen Herkunftsangaben für Wein, Spirituosen und landwirtschaftliche Erzeugungen angenommen (PM). Diese Verordnung soll u.a. der illegalen Nutzung geografischer Herkunftsangaben entgegenwirken. Alle drei Legislativprojekte sind Teil des Aktionsplans der EU Kommission von November 2020 für geistiges Eigentum mit dem Ziel, die wirtschaftliche Resilienz und Erholung der EU zu stärken. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) sollen ihre Erfindungen und Schöpfungen optimal nutzen können. Die angenommenen Berichte im Bereich Patentrecht dienen als Verhandlungsmandat des Parlaments in den Trilogverhandlungen mit der EU-Kommission und dem Rat der Europäischen Union. Die Verordnung zum Schutz geografischer Angaben muss im Weiteren vom Rat der EU formal angenommen werden, bevor sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht wird und 20 Tage nach der Veröffentlichung in Kraft tritt.
Religionswechsel als nachträglicher Verfolgungsgrund – EuGH
Nicht jeder Folgeantrag, der auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat, lässt den Schluss auf eine Missbrauchsabsicht hinsichtlich des Verfahrens für die Zuerkennung internationalen Schutzes zu. Dies entschied der EuGH am 29. Februar 2024 (C-222/22). In dem vom österreichischen Verwaltungsgerichtshofe vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen geht es um einen iranischen Staatsangehörigen, welcher nach einem Konfessionswechsel in Österreich einen Folgeantrag stellte. Die österreichischen Behörden verweigerten aber die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das österreichische Recht macht die Zuerkennung davon abhängig, dass der von dem Betroffenen selbst geschaffene neue Umstand Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung ist, vgl. insofern zur deutschen Rechtslage § 28 Abs. 1a AsylG. Der VGH legte die Frage vor, ob diese Voraussetzung mit Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU vereinbar sei, was der EuGH nun verneint hat. Die Richtlinie ermögliche es den Mitgliedsstaaten, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abzulehnen, wenn die durch den Antragsteller neu geschaffenen Umstände von einer Missbrauchsabsicht zeugen. Es müsse aber jeder Folgeantrag individuell geprüft werden. Kann der Betroffene glaubhaft machen, dass er aus innerer Überzeugung konvertiert sei und die Religion aktiv lebe, schließe dies eine Missbrauchsabsicht aus.
Keine Kostenerstattung für frühen Reiserücktritt wegen Pandemie – EuGH
Das Einbehalten einer Anzahlung sowie die Erhebung von Stornogebühren bei pandemiebedingtem Rücktritt zu einem frühen Zeitpunkt ist rechtens. Dies hat der EuGH in seinem Urteil vom 29. Februar 2024 (Rs. C-584/22) klargestellt, nachdem der BGH dem Gerichtshof diese Frage vorgelegt hatte. Kläger des Verfahrens war ein Ehepaar, das für April 2020 eine Reise nach Japan gebucht hatte. Sie leisteten eine Anzahlung von 1230 Euro, traten aber am 1. März 2020 wegen der Ausbreitung der Pandemie von der Reise zurück, wofür sie zusätzlich eine Stornogebühr in Höhe von 307 Euro entrichteten. Japan verhängte am 26. März 2020 schließlich ein pandemiebedingtes Einreiseverbot. Inwieweit Ereignisse zu berücksichtigen sind, die erst nach dem Reiserücktritt, aber noch vor dem geplanten Reiseantritt eintreten, stellte der EuGH in seinem Urteil fest: Es sei unerheblich, wenn sich später „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ (s. Art. 12 Abs. 2 Pauschalreiserichtlinie, vgl. auch § 651h Abs. 3 BGB) ergeben, welche einen kostenlosen Reiserücktritt gerechtfertigt hätten. Maßgeblich bleibe die Situation zum Zeitpunkt des Rücktritts. Im konkreten Fall muss nun der BGH entscheiden.
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