EiÜ 10/2024
AI-Act: Beschluss der weltweit ersten staatlichen Regulierung von KI – EP
Am 13. März 2024 hat das Plenum des Europäischen Parlaments den im Dezember 2023 gefundenen Kompromiss zur KI-Verordnung angenommen (siehe PM, vgl. auch EiÜ 43/23). Damit soll das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Achtung der Grundrechte und der Förderung von Innovationen sichergestellt werden (vgl. DAV-SN Nr. 74/23; EiÜ 36/23). Systeme, die als besonders risikoreich gelten und in kritischen Infrastrukturen oder im Bildungs- und Gesundheitswesen eingesetzt werden, müssen demnach strenge Anforderungen erfüllen. Bestimmte KI-Anwendungen wie die Bewertung sozialen Verhaltens („Social Scoring“) sollen ganz bzw. im Falle von biometrischen Fernidentifizierungssystemen (entgegen der Forderung des DAV für ein umfassendes Verbot, vgl. DAV-SN Nr. 57/21; EiÜ 39/22) bis auf wenige ausdrücklich genannte Ausnahmen zum Zwecke der Strafverfolgung verboten werden. KI-Systeme mit allgemeinem Verwendungszweck und die sog. Basismodelle müssen bestimmten Transparenzanforderungen genügen, darunter die Offenlegung verwendeter Trainingsdaten. Die Verordnung muss im Weiteren vom Rat der EU förmlich angenommen werden, sodass das Gesetzgebungsverfahren noch vor Ende der Legislaturperiode abgeschlossen werden dürfte.
Besserer Schutz für Plattformbeschäftigte – Rat
Die EU-Minister:innen für Beschäftigung und Soziales haben am 11. Februar 2024 die zwischen Rat der EU und europäischem Parlament am 8. Februar 2024 erzielte Einigung über die Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit bestätigt, PM. Der zwischen den EU Co-Gesetzgebern gefundene Kompromiss fand zunächst am 16. Februar 2024 im Rat keine Mehrheit. Streitpunkt waren insbesondere die Bestimmungen zum Beschäftigungsstatus von Personen, die für Online-Plattformen tätig sind. Hintergrund dessen war die Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit und die Gewährleistung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards von rund 28 Millionen Menschen, die für Online-Plattformen in der EU arbeiten. Der nun bestätigte Kompromiss sieht u.a. die Abschwächung der gesetzlichen Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses vor (Art. 5 der Richtlinie). Danach gilt ein Vertragsverhältnis widerlegbar als Arbeitsverhältnis, wenn gemäß den nationalen Vorschriften, Tarifverträgen oder nationalen Gepflogenheiten unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH Tatsachen festgestellt werden, die auf Kontrolle und Steuerung hindeuten, vgl. für bisherige Formulierung auch EiÜ 24/23. Ein tatsächlicher Bezug der Kriterien zur „Kontrolle der Arbeitsleistung“, wie vom DAV gefordert, vgl. SN 6/22, sieht der Kompromiss nicht vor. Die Richtlinie muss nun von Rat und EU-Parlament formell angenommen werden.
World Justice Project: Umfrage zur Rechtsstaatlichkeit – WJP
Das World Justice Project (WJP) führt derzeit die sowohl an die Öffentlichkeit als auch an Rechtsexperten gerichtete Umfrage „Indikatoren für subnationale Justiz, Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit in der EU“ durch. Eine Teilnahmemöglichkeit besteht unter diesem Link bis zum 29. März 2024. Die Indikatoren zur Messung der Rechtsstaatlichkeit sollen durch Daten aus 110 Regionen, verteilt über die EU-Mitgliedsländer, anhand von Fragen u.a. zum Gesetzgebungsprozess, zur Transparenz und Diskriminierungsfreiheit des Regierungshandelns sowie zu den Wahlen erhoben werden. Das WJP ist eine unabhängige Organisation zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, die u.a. den jährlichen „Rule of Law Index“ veröffentlicht und der die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in 142 Ländern abbildet, vgl. hierzu EiÜ 37/23.
Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland: Europ. Haftbefehl – KOM
Die EU-Kommission setzt das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland im Zusammenhang mit dem Europäischen Haftbefehl fort. Deutschland habe die Bestimmung über die Lage der gesuchten Person und zwar mit Blick auf eine mögliche vorübergehende Überstellung der gesuchten Person in Erwartung der Entscheidung zur Umsetzung des Europäischen Haftbefehls nicht umgesetzt. Die Kommission richtet daher ein ergänzendes Aufforderungsschreiben an Deutschland. Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, um auf die vorgebrachten Beanstandungen zu reagieren, vgl. Pressemitteilung sowie die Entscheidungen der EU-Kommission.
DSGVO: Löschung personenbezogener Daten von Amts wegen – EuGH
Die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats darf (von Amts wegen) die Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten von Betroffenen anordnen, vgl. PM. Dies hat der EuGH in seinem Urteil vom 14. März 2024 (Rs. C-46/23) klargestellt, nachdem ein ungarisches Gericht dem Gerichtshof diese Frage vorgelegt hatte. Laut dem EuGH sind Art. 58 Abs. 2 lit. d und g DSGVO dahingehend auszulegen, dass die Aufsichtsbehörde eines Mitgliedstaats den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter in Ausübung ihrer vorgesehenen Abhilfebefugnisse selbst dann zur Löschung unrechtmäßig verarbeiteter personenbezogener Daten anweisen darf, wenn die betroffene Person keinen entsprechenden Antrag auf Ausübung ihres Rechts auf Löschung nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO gestellt hat (anders bei lit. c, aus dessen Wortlaut sich das Erfordernis einer Antragstellung der Betroffenen ergibt). Dies gelte unabhängig davon, ob diese Daten unmittelbar bei der betroffenen Person erhoben wurden oder aus einer anderen Quelle stammen. Im konkreten Fall muss nun das ungarische Gericht entscheiden.
Neue Produkthaftungsregelungen beschlossen – EP
Das EU-Parlament hat in seiner Plenarsitzung vom 12. März 2024 die Einigung zu neuen Regelungen über die Produkthaftung bestätigt, abrufbar hier (auf Englisch) vgl. PM. Ziel des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission über die Haftung für fehlerhafte Produkte ist es das Haftungsrecht insbesondere mit Blick auf digitale und KI-Produkte zu modernisieren und die teilweise seitens der Verbraucher:innen bestehenden Nachweisschwierigkeiten zu beseitigen, vgl. bereits EiÜ 7/24, 43/23; 15/23. So vereinfacht die aktualisierte Richtlinie die Anforderungen an die Beweislast bezüglich der Kausalität zwischen Fehlerhaftigkeit eines Produktes und der Verursachung eines Schadens durch ebendiese Fehlerhaftigkeit. Insbesondere in technisch komplexen Fällen können Gerichte diese Kausalität nun vermuten. Neben einer Entschädigung für immaterielle Schäden, wird nun auch ein Anspruch auf Entschädigung im Falle einer Zerstörung oder Beschädigung von Daten festgelegt. Der DAV hatte in seinen Stellungnahmen 71/22 und 11/22 davor gewarnt, dass mit der Anwendung der neuen Regelungen auf gänzlich alle Produkte im Hinblick auf die geschaffenen Fehler- und Kausalitätsvermutungen die prozessuale Waffengleichheit nicht mehr gewahrt sein könnte. Im nächsten Schritt muss der Rat der EU noch formell zustimmen, bevor die Richtlinie in Kraft treten kann.
Einigung zum Europäischen Gesundheitsdatenraum – Rat/EP
Am 15. März 2024 haben der Rat der EU und das Europäische Parlament eine vorläufige Einigung zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung über den Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space – EHDS) erzielt (Gesetzestext liegt noch nicht vor, vgl. aber PM). Damit sollen Unionsbürger:innen leichteren Zugang und mehr Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten erhalten und die Datenverwendung zu öffentlichen Zwecken vereinfacht werden (vgl. EiÜ 41/23; 18/22 sowie DAV-SN Nr. 37/22). Der Kompromiss sieht im Vergleich zum Kommissionsvorschlag eine sog. „Opt-Out“-Lösung vor. Das heißt ein mögliches Widerspruchsrecht der Patient:innen gegen die Nutzung ihrer Gesundheitsdaten für die Primärnutzung (Behandlung und Versorgung). Der Sekundärnutzung der Gesundheitsdaten (z.B. zu Forschungszwecken) kann ebenfalls widersprochen werden mit Ausnahme der Verwendung für Forschung und Statistikerhebung im öffentlichem Interesse. Zudem können die Mitgliedsstaaten für sensible Daten (wie genetische Daten) strengere Nutzungsvorgaben festlegen. Im nächsten Schritt muss die vorläufige Einigung vom Rat der EU und im Plenum des Europäischen Parlaments final angenommen werden.
Geistiges Eigentum: Plenum stimmt für Schutz von Designs und Mustern – EP
In der Plenarsitzung vom 14. März 2024 hat das EU-Parlament für das Designschutzpaket gestimmt. Die Abgeordneten haben die im Dezember 2023 erzielten vorläufigen Einigungen zu zwei Legislativvorschlägen angenommen, einerseits zum Richtlinienvorschlag über den rechtlichen Schutz von Designs, andererseits zum Verordnungsvorschlag zur Änderung der Verordnung über den Schutz von Gemeinschaftsgeschmacksmustern (Text abrufbar hier und hier). Der Rechtsrahmen soll damit an die Herausforderungen der digitalen Welt angepasst werden (s. bereits EiÜ 32/23; 41/22). Als Design wird jede Erscheinungsform eines Erzeugnisses geschützt, sei es in physischer oder nicht physischer Form. Zur Liberalisierung des Ersatzteilmarktes sollen mit einer Reparaturklausel, die bisher nur in der Geschmacksmusterverordnung enthalten war, Ersatzteile vom Designschutz ausgeschlossen werden. Ferner soll die Eintragung von Elementen des kulturellen Erbes von nationalem Interesse als Design verboten sein. Weitere Regelungen betreffen die Erhöhung zu entrichtender Gebühren und die Vereinfachung des Eintragungsverfahrens.
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