EiÜ 11/2023
EU-Parlament positioniert sich zu Umweltkriminalität – EP
Das EU-Parlament will den Kommissionsentwurf für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt (vgl. EiÜ 02/22) deutlich verschärfen. Der Rechtsausschuss (JURI) nahm dazu am 21. März 2023 seinen Berichtsentwurf (vgl. EiÜ 37/22) mit Änderungen an (vgl. Pressemitteilung). Die Richtlinie legt Mindestvorschriften für die Definition von Straftatbeständen und Sanktionen fest, um einen wirksameren Umweltschutz zu gewährleisten. Gegenüber dem Kommissionsentwurf sieht der Berichtsentwurf -je nach Art und Schwere der Straftat- noch einmal erhöhte Mindesthöchststrafen für natürliche Personen vor. Juristische Personen sollen eine Pflicht zum Ersatz des verursachten Umweltschadens auferlegt bekommen können, von öffentlichen Zuwendungen ausgeschlossen werden und ein Verbot der Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit erhalten können. Zentraler Punkt des Berichts ist die Forderung nach erhöhten Geldbußen. Während die Richtlinie eine Höchstgrenze von 5 % des Umsatzes des letzten Geschäftsjahres vorsieht, wird diese durch den Bericht auf 10 % des durchschnittlichen weltweiten Umsatzes eines Unternehmens in den drei vorangegangenen Geschäftsjahren angehoben. Der DAV äußerte in seiner Stellungnahme Nr. 52/2022 Kritik an den vorgesehenen Sanktionen und der umsatzbezogenen Geldzahlung (vgl. EiÜ 34/22), da die Richtlinie einen ersten Schritt in Richtung Unternehmens(umwelt)strafrecht bedeute. Der Rat hat im November 2022 bereits seine allgemeine Ausrichtung veröffentlicht (s. EiÜ 43/22). Nun können die Trilogverhandlungen beginnen.
Recht auf Reparatur vorgestellt – KOM
Produkte sollen zukünftig häufiger und einfacher repariert werden können. Zu diesem Ziel hat die EU-Kommission am 22. März 2023 einen Richtlinienvorschlag (bisher nur in Englisch verfügbar) vorgelegt. Der Vorschlag sieht hierzu ein Recht auf Reparatur für Verbraucher:innen sowohl innerhalb als auch außerhalb der gesetzlichen Garantie vor, um die großen Mengen an Abfällen und damit einhergehend verschwendeten Ressourcen zu verringern. Zu dem Paket an Rechten, die über die gesetzliche Garantie hinaus bestehen sollen, zählt neben Informationsrechten u.a. ein Anspruch der Verbraucher:innen gegenüber den Herstellern auf entgeltliche oder unentgeltliche Reparatur von Produkten, wie etwa Waschmaschinen und Fernsehgeräten. Ferner ist etwa ein europäisches Formular für Reparaturinformationen vorgesehen, das die Verbraucher:innen von jedem Reparaturbetrieb zur Sicherstellung von transparenten und vergleichbaren Reparaturbedingungen verlangen können. Auch soll in den Mitgliedstaaten eine Online-Plattform existieren, um Verbraucher:innen das Auffinden von Reparaturstellen zu ermöglichen. Die Zielsetzung des Vorschlags ist im Zusammenhang mit dem Entwurf der Ökodesignverordnung für nachhaltige Produkte sowie mit dem Richtlinienvorschlag zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel zu sehen (vgl. hierzu EiÜ 36/22). Im nächsten Schritt erarbeiten die Co-Gesetzgeber ihre Position zu dem Vorschlag.
Kampf gegen „greenwashing“ bei Produkten – KOM
Die EU-Kommission hat am 22. März 2023 einen Richtlinienvorschlag (bisher nur auf Englisch verfügbar) zur Bekämpfung irreführender Umweltaussagen vorgelegt. Die neuen Bestimmungen enthalten spezifischere Regelungen im Verhältnis zur Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie). Im letzten Jahr hatte die EU-Kommission bereits einen Richtlinienvorschlag zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Information vorgelegt, (vgl. DAV-SN 53/2022). Auch für Unternehmen soll der neue Vorschlag insofern Vorteile bringen, da erkennbarer werden soll, welche Unternehmen tatsächlich Anstrengungen zur Umweltverträglichkeit ihrer Produkte unternehmen und welche Aussagen in den Bereich des „greenwashing“ fallen. Damit sollen ungleiche Wettbewerbsbedingungen behoben werden. Der Vorschlag sieht Bestimmungen dazu vor, wie freiwillige Umweltaussagen über Produkte belegt und wie sie kommuniziert werden müssen. Abgesehen von den Umweltaussagen, die bereits unter bestehende EU-Vorschriften fallen (wie etwa EU-Umweltzeichen oder EU-Bio-Siegel) findet der Vorschlag auf alle freiwilligen Werbeaussagen über umweltbezogene Auswirkungen von Produkten, Dienstleistungen und der Gewerbetreibenden selbst Anwendung. Im nächsten Schritt müssen sich nun die Co-Gesetzgeber -EU-Parlament und Rat- zu dem Vorschlag positionieren.
Rechtsstaatlichkeit in Polen: Notwendige systemische Änderungen – EP
Polen hat einen Entwurf zur Änderung des Gesetzes über den Obersten Gerichtshof erarbeitet. Anlässlich dieser jüngsten Entwicklung zur polnischen Justiz fand am 23. März 2023 eine Diskussion im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments statt. Die eingeladene Expertin Caroline Hammer stellte die Ergebnisse der Stellungnahme (in Englisch) über die Vereinbarkeit des Gesetzesentwurfs mit rechtsstaatlichen Standards, die vom OSZE Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) verfasst wurde, vor. Der Entwurf sieht zwar Mechanismen vor, um einige der in rechtsstaatlicher Hinsicht bestehenden Probleme des Justizsystems anzugehen. Er gehe jedoch nicht auf die systemischen Mängel ein, die die Unabhängigkeit der Justiz untergraben. Im Zentrum der Diskussion stand die problematische Politisierung des Nationalen Justizrates und der wachsende Anteil an nach der Reform benannten Richterinnen und Richter. Justizkommissar Reynders äußerte sich besorgt zur Lage in Polen, wo die Entscheidungen des EuGH und EGMR zum Thema Unabhängigkeit weiterhin nicht effektiv umgesetzt werden (vgl. EiÜ 7/23; 35/21; 25/21). Er schließe nicht aus, dass die EU-Kommission neben dem eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (s. EiÜ 6/23) zukünftig weitere Instrumente anwenden wird. Bezüglich des Art. 7 EUV-Verfahrens (s. EiÜ 7/22) müsse aber für ein weiteres Vorgehen die Blockade im Rat gelöst werden.
Anti-SLAPP-RL: Ambitionierter Berichtsentwurf – EP
Personen, die wegen ihrer öffentlichen Beteiligung von missbräuchlichen strategischen Klagen betroffen sind (sog. SLAPP-Klagen), sollen stärker geschützt werden. Dazu soll der Entwurf der EU-Kommission über eine Anti-SLAPP-Richtlinie (s. EiÜ 16/22; 32/21) in ihrem Anwendungsbereich ausgeweitet und Unterstützungsmaßnahmen für die Opfer intensiviert werden. Dies geht aus dem Berichtsentwurf (in Englisch) hervor, den Tiemo Wölken (S&D) im Rechtsausschuss (JURI) des EU-Parlaments am 21. März 2023 vorstellte. Darin werden die Fälle, die unter die Richtlinie fallen, erweitert, indem der grenzüberschreitende Bezug auch gegeben ist, wenn die Teilnahme am öffentlichen Diskurs über elektronische Mittel stattfindet. Weiterhin soll den Betroffenen Unterstützung über finanzielle Hilfe oder Rechtsbeistand gewährt werden. Der Berichtsentwurf stellt klar, dass eine Schadensersatzforderung ohne gesondertes Verfahren geltend gemacht werden kann. Bezüglich der Beteiligung Dritter soll NGOs ermöglicht werden, anstelle der beklagten Partei (mit deren Zustimmung) im Prozess aufzutreten. Eine Regelung hält zwecks der Vermeidung von SLAPP-Klagen dazu an, berufsrechtliche Regeln einschließlich disziplinarrechtlicher Sanktionen zu setzen. Zu den Empfehlungen der EU-Kommission zum Umgang mit SLAPP seitens der Rechtsberufe hatte sich der DAV kritisch geäußert (vgl. SN 69/2022; EiÜ 32/21). Die Frist für Änderungsanträge zum Berichtsentwurf läuft bis zum 31. März 2023.
Jahresbericht der Europäischen Staatsanwaltschaft 2022 – EPPO
Im Juni 2021 hatte sie ihre Tätigkeit aufgenommen (vgl. EiÜ 20/21; 12/21, 5/20, 3/20, 38/19, 33/19, 32/18, 23/17), Ende 2022 verzeichnete die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) insgesamt bereits 3318 bearbeitete Strafanzeigen, die in 1117 aktive Ermittlungen in einem möglichen Gesamtschaden von 14,1 Mrd. EUR mündeten. Dies legte die Ermittlungsbehörde nun in ihrem Jahresbericht 2022 dar. Zwar stehen nur 16,5 % der aktiven Ermittlungen (185) im Zusammenhang mit Mehrwertsteuerbetrug, diese machen aber 47 % des geschätzten Schadens (€6,7 Mrd.) aus. Darüber hinaus bewilligten Richter das Einfrieren von über 359 Mio. EUR im Zusammenhang mit EPPO-Ermittlungen (gegenüber €147 Mio. EUR im Jahr 2021), was mehr als dem Siebenfachen des Haushalts der Organisation für 2022 entspricht. Hinsichtlich Ermittlungen im Zusammenhang mit Deutschland (vgl. Länderbericht Deutschland) ist zu beobachten, dass die meisten Hinweise bzw. Anzeigen, die zu Ermittlungen führten, von den nationalen Behörden stammten. Mehrwertsteuerbetrug ist hier der meist verfolgte Delikt. Europaweit ist insbesondere in Italien und Osteuropa der Betrug bei Nicht-Beschaffungsausgaben der meistverfolgte Deliktstyp. Hierbei werden meist Landwirtschafts- und ländliche Entwicklungsprogramme für EU-Betrug genutzt.
Dieselskandal: Haftung auch bei Fahrlässigkeit – EuGH
Kfz-Hersteller haften für den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen - wie Thermofenster – bereits dann, wenn sie nur fahrlässig gehandelt haben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied damit in den (verbundenen) Rechtssachen C-100/21, C‑693/18, C‑128/20, sowie C‑145/20, für eine weiter gefasste, fahrlässige Haftung gegenüber der vom Bundesgerichtshof (BGH) angesetzten Hürde der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, (vgl. Pressemitteilung). Der EuGH ordnet die Europäischen Kfz-Zulassungsregeln (konkret Art. 5 Abs. 2 der Typengenehmigungsverordnung 715/2007 und Art. 18 Rahmenrichtlinie) so ein, dass diese neben allgemeinen Rechtsgütern auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers gegenüber dem Hersteller schützen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Damit ist auch ein Schadenersatzanspruch nach § 823 II BGB möglich, der Schadenersatz für die (vorsätzliche oder fahrlässige) Verletzung entsprechender "Schutzgesetze" gewährt. Das Anrechnen von Nutzungsvorteilen auf den Schadensersatz ist damit aber nicht ausgeschlossen. Aufgrund der vielen zurückgestellten Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden hat der BGH im Zuge dessen eine neue Verhandlung für den 8. Mai 2023 angesetzt, um "Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht" zu erläutern.
Doppelverfolgung krimineller Vereinigungen möglich – EuGH
Ein Mitgliedsstaat kann bestimmte Straftaten vom Verbot der Doppelverfolgung ausnehmen. Dies entschied der EuGH in seinem Urteil vom 23. März 2023 in der Rechtssache C-365/21. Zu beantworten war die Frage, ob die in Art. 55 I lit. b des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Doppelverfolgung mit Art. 50 der Grundrechtecharta (GRC) vereinbar ist. Eine Ausnahme vom Prinzip ‚ne bis in idem‘ ist nach Art. 55 I lit. b SDÜ möglich, wenn die dem ausländischen Urteil zugrunde liegende Tat eine gegen die Sicherheit des Staates gerichtete Straftat darstellt. In Deutschland wurde so der Straftatbestand des § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen) ausgenommen – rechtmäßig, so nun der EuGH. Eine solche Einschränkung wahrt demnach den Wesensgehalt des Grundsatzes, da Mitgliedsstaaten dadurch nur Straftaten ahnden können, die die Sicherheit des eigenen Landes gefährden. Somit werden zwangsläufig andere Ziele verfolgt als in dem anderen Mitgliedsstaat, in dem die verfolgte Person bereits verurteilt wurde. Hinsichtlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat der EuGH ebenfalls keine Bedenken, da die Voraussetzungen des Art. 52 I GRC erfüllt sind. Der EuGH stellte weiter fest, dass auch reine Vermögensstraftaten, die keine politischen, ideologischen, religiösen oder weltanschaulichen Ziele verfolgen, von der Ausnahme vom Doppelbestrafungsverbot von § 129 StGB umfasst sind.
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