Europa im Überblick, 11/2024

EiÜ 11/2024

Einigung: EU-Lieferkettengesetz kommt nun doch – Rat/EP

Am 15. März 2024 haben die ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten für das zuvor politisch umkämpfte europäische Lieferkettengesetz (Corporate Sustaina­bility Due Diligence Directive, kurz „CSDDD“) gestimmt, vgl. endgültig gebilligter Text (in Englisch). Zuvor hatten der Rat der EU und das EU-Parlament im Dezember 2023 eine Einigung erzielt (vgl. EiÜ 43/23; ferner EiÜ 21/23; 43/22), die jedoch Anfang 2024 durch die Enthaltung Deutschlands im Rat keine Mehrheit mehr fand. EU- Parlament und die belgische Ratspräsidentschaft arbeiteten daraufhin an einer mehrheitsfähigen Richtlinienfassung, die u.a. einen eingeschränkten Anwendungsbereich vorsieht. Erfasst sind Unternehmen mit mehr als 1000 (bisher 500) Beschäftigten und einem Jahresumsatz von min. 450 Mio. (bisher 150 Mio.) Euro. Niedrigere Schwellenwerte für Hochrisikosektoren wurden gänzlich verworfen. Im nun gefundenen Kompromiss weiterhin enthalten ist ein Erwägungsgrund (EG 31a), der das anwaltliche Berufsgeheimnis für unberührt erklärt. Eine Bereichsausnahe für die Anwaltschaft, wie in der DAV Stellungnahme Nr. 28/22 gefordert, sieht der Kompromiss nicht vor. Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments (JURI) hat am 19. März 2024 der geänderten Richtlinie bereits zugestimmt, vgl. PM. Nach formeller Zustimmung durch Rat und Parlament, wird die Richtlinie am 20.Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten.

Stellungnahme zur Anti-Schleuser-Richtlinie – DAV

Der DAV sieht Überarbeitungsbedarf beim Richtli­ni­en­vor­schlag zur Festlegung von Mindest­vor­schriften zur Verhinderung und Bekämpfung der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise sowie zum unerlaubten Aufenthalt in der Union (vgl. EiÜ 9/24; 41/23). In seiner Stellungnahme Nr. 14/24 kritisiert der DAV die zu weit gefassten Straftatbestände: Die vorsätzliche Unterstützung als ein zentrales Tatbestandsmerkmal (Art. 3 Abs. 1) ermöglicht einen zu weiten Anwendungsbereich. Dadurch könnte bereits die legale Rechtsberatung zum Zwecke der Ein- und Ausreise oder des Aufenthaltes in der EU sowie auch die zivile Seenotrettung von der vorsätzlichen Unterstützungshandlung umfasst sein. Der DAV fordert daher in beiden Fällen Tatbestandsausschlüsse. Zudem weist der DAV darauf hin, dass eine direkte Umsetzung des Entwurfs an mehreren Stellen zu unbestimmten Strafrechtnormen führen würde, wie z.B. die hohe Wahrscheinlichkeit eines ernsthaften Schadens (Art. 3 Abs. 1 lit. b). Als Nächstes beraten die Co-Gesetzgeber im EU-Parlament (Berichterstatterin ist die deutsche Abgeordnete Birgit Sippel, SPD) und im Rat über den Vorschlag.

Geldwäschepaket: zuständige Ausschüsse bestätigen Rechtsakte – EP

Die zuständigen Ausschüsse für Wirtschaft und Währung (ECON) und für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments haben am 19. März 2024 die Texte des Geldwäschepakets angenommen. Das Paket beinhaltet die im Januar erzielten Trilogkompromisse zur neuen Geldwä­sche­ver­ordnung und 6. Geldwäscherichtlinie (s. bereits EiÜ 6/24; 2/24) sowie die im Dezember 2023 erzielte Einigung betreffend die Verordnung zur Errichtung der Europäischen Geldwäscheaufsichts­behörde AMLA (s. dazu EiÜ 43/23). Der DAV hatte sich mit Stellungnahme Nr. 58/2021 während des Gesetzgebungsverfahrens erfolgreich eingebracht. Berücksichtigt wurde insbesondere die Forderung nach einem angemessenen Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses, insofern Anwält:innen beschränkten Meldepflichten unterliegen. Auch die Regelung, wonach die AMLA Selbstverwaltungseinrichtungen, wie Anwaltskammern keine Weisungen erteilen kann, ist zu begrüßen. Hinsichtlich der Aufsichtsbehörde haben sich Ende Februar Vertreter: innen der Co-Gesetzgeber auf Frankfurt am Main als Ort des Sitzes geeinigt (vgl. PM). Das Plenum des EU-Parlaments wird voraussichtlich in seiner Sitzung am 22. April 2024 das Geldwäschepaket formell annehmen. Mit der Billigung auch durch den Rat werden die Texte 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten.

Speicherung von Fingerabdrücken im Personalausweis ist rechtmäßig – EuGH

Der EuGH befand mit Urteil vom 21. März 2024 (Rs. C-61/22) die in Art. 3 Abs. 5 der Verordnung (EU) 2019/11571 vorgesehene Pflicht zur Erfassung und Speicherung von Fingerabdrücken in Personalausweisen für rechtmäßig (PM). Im Ausgangsverfahren klagte ein deutscher Bürger gegen die zuständige Behörde auf Ausstellung eines neuen Personalausweises ohne Fingerabdruck im Chip. Das vorlegende VG Wiesbaden hatte Zweifel an der Gültigkeit von Art. 3 Abs. 5 der Verordnung mit Blick auf die gewählte Rechtsgrundlage, die Uniongrundrechte sowie die DSGVO. Der EuGH erklärte den Eingriff durch die Speicherpflicht in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und Schutz personenbezogener Daten (Art. 7 und 8 GRCh) für gerechtfertigt. Er sei zur Bekämpfung der Herstellung gefälschter Personalausweise und Identitätsdiebstahl sowie zur Gewährleistung von Interoperabilität der Überprüfungssysteme erforderlich und verhältnismäßig. Ein Verstoß gegen die DSGVO liege mangels Anwendbarkeit nicht vor. Gleichwohl erklärte der EuGH die Verordnung für ungültig. Sie wurde auf Art. 21 Abs. 2 AEUV gestützt, obwohl Art. 77 Abs. 3 AEUV als lex specialis die richtige Rechtsgrundlage darstelle, die ein besonderes Gesetzgebungsverfahren vorsehe. Wegen erwarteter schwerwiegender Folgen erklärte der Gerichtshof die Aufrechterhaltung ihrer Wirkung bis zum Inkrafttreten einer neuen Verordnung, spätestens bis Ende 2026.

Anti-SLAPP-Richtlinie beschlossen – Rat

Der Rat der EU hat am 19. März 2024 grünes Licht für die Anti-Slapp-Richtlinie zum Schutz der freien Meinungsäußerung, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger gegeben, vgl. PM. Die Richtlinie sieht gewisse prozessuale Mindeststandards zum Schutze vor offensichtlich unbegründeten oder missbräuchlichen Klagen vor. Vergleiche zum Inhalt der Richtlinie und zum Gesetzgebungsverfahren bereits EiÜ 8/24; 41/23; 27/23. Urteile, die in einem Drittland auf eine solche „SLAPP-Klage“ ergehen und Personen mit Wohnsitz in der EU betreffen sollen nicht anerkannt und vollstreckt werden. Der Text der Richtlinie ist hier abrufbar. Die Richtlinie tritt nun 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft.

Einigung: Einsatz digitaler Werkzeuge im Gesellschaftsrecht – Rat/EP

Am 13. März 2024 haben der Rat der EU und das Europäische Parlament eine vorläufige Einigung (vgl. PM) zum Vorschlag der Kommission für eine Änderungsrichtlinie zur Ausweitung und Optimierung des Einsatzes digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht erzielt. 2022 hatte die Kommission die Initiative „Modernisierung des digitalen Gesellschaftsrecht“ (vgl. EiÜ 2/22; SN Nr. 19/22) zur Änderung der Richtlinie 2019/1151/EU eingeleitet. Zukünftig sollen über das System zur Verknüpfung von Unternehmensregistern (Business Registers Interconnection System – BRIS) mehr Informationen über Gesellschaften auf EU-Ebene öffentlich zur Verfügung gestellt werden, wodurch gewährleistet wird, dass die Gesellschaftsdaten in Unternehmensregistern genau, zuverlässig und aktuell sind. Nach Übersetzung in sämtliche Amtssprachen muss der Gesetzestext vom Rat der EU und dem Plenum des Europäischen Parlaments (voraussichtlich in der Sitzung vom 22. April 2024) final angenommen werden.

Türkei: Untersuchungshaft verstößt gegen EMRK – EGMR

Die Anordnung von Untersuchungshaft aufgrund des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung durch Nutzung eines Messenger-Dienstes, verstößt gegen Art. 5 und Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Dies hat der EGMR mit Urteil vom 19. März 2024 (Beschwerdenr. 66375/17, in Französisch) entschieden und zusätzlich die Länge der Untersuchungshaft gerügt. Hintergrund war die Verhaftung einer türkischen Journalistin im August 2016 wegen Verdachts der Mitgliedschaft in der sog. Gülen-Bewegung, die 2016 zur Verhaftung duzender Journalist: innen führte. Im September 2023 hatte die Große Kammer des EGMR (Beschwerdenr. 15669/20) klargestellt, dass die bloße Verwendung des verschlüsselten Messenger-Dienstes ByLock als Beweismittel für eine Verurteilung nicht ausreiche und Verstöße gegen Art. 6 und Art. 7 EMRK festgestellt (vgl. EiÜ 32/23). Im konkreten Fall hatte die Beschwerdeführerin als Gerichtsreporterin für eine inzwischen verbotene Tageszeitung gearbeitet. Begründet wurde die angeordnete Untersuchungshaft mit Fluchtgefahr sowie hinreichendem Verdacht für das Vorliegen einer Katalogtat und anhaltender Bedrohung infolge des Putschversuchs. Rechtsmittel gegen die Untersuchungshaft wurden wiederholt abgelehnt. Mit 6:1 Stimmen verurteilte der EGMR die Türkei zur Zahlung von 22.000 € Schmerzensgeld an die Beschwerdeführerin, die 2022 nach Verbüßung ihrer Gefängnisstrafe freigelassen wurde.

Europa im Überblick abonnieren

Verpassen Sie keine wichtigen rechtlichen Entwicklungen in Europa! Abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter „Europa im Überblick“ und bleiben Sie stets informiert über die neuesten EU-Gesetzgebungen, Rechtsprechungen und deren Auswirkungen auf Ihre Praxis.

Kommentare

0 Kommentare zum Artikel
Was ist die Summe aus 5 und 1?