Europa im Überblick, 12/2022

EiÜ 12/2022

Einigung beim Digital Markets Act – EP/Rat

Am 25. März 2022 haben das EU-Parlament und der Rat eine vorläufige politische Einigung über den Digital Markets Act (DMA) erzielt (siehe Pressemitteilung des Rats). Die Verordnung soll große Internetplattformen dazu zwingen, mehr Wettbewerb zuzulassen (vgl. EiÜ 40/21; 37/21; 01/21 sowie DAV-Stellungnahme 36/21). Bis zuletzt strittig waren u.a. die Umsatzschwellen, die ein Unternehmen erreichen muss, um in den Anwendungsbereich des DMA zu fallen. Ein vom Anwendungsbereich erfasster sog. Gatekeeper ist nunmehr, wer eine Marktkapitalisierung von mind. 75 Milliarden Euro oder einen Jahresumsatz von  mind.7,5 Milliarden Euro hat und zentrale Plattformdienste wie Browser, Messenger oder soziale Medien anbietet. Das Unternehmen zudem muss mindestens 45 Millionen monatliche Endnutzer und 10 000 gewerbliche Nutzer in der EU haben und in drei Mitgliedstaaten tätig sein. Ein weiterer Streitpunkt war die Höhe der Sanktionen, wenn gegen die Regeln des DMA verstoßen wird. EU-Parlament und Rat haben sich jetzt darauf geeinigt, dass die EU-Kommission Geldbußen in Höhe von bis zu 10 % des weltweiten Gesamtumsatzes im letzten Geschäftsjahr verhängen darf, bei wiederholten Verstößen bis zu 20 %. Im nächsten Schritt muss die vorläufige Einigung noch formell von Rat und EU-Parlament gebilligt werden. Schließlich wird der DMA 20 Tage nach seiner Veröffentlichung im europäischen Amtsblatt in Kraft treten.

EU konkretisiert weitere Unterstützung für Geflüchtete – Rat/ KOM

Die Justiz- und Innenminister:innen der Mitgliedstaaten haben auf einem außerordentlichen Treffen des Rates am 28. März 2022 über die Aufnahme und die Unterstützung von Geflüchteten aus der Ukraine beraten. Gegenstand des Treffens war die bessere Koordinierung der Umsetzung der „Massenzustrom“-Richtlinie 2001/55/EG, die Anfang März vom Rat aktiviert wurde (vgl. EiÜ 08/22). Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser hatte sich  diesbezüglich für verbindliche Verteilungsquoten eingesetzt. Dies wurde jedoch vom Rat zu Gunsten einer Verteilung auf freiwilliger Basis abgelehnt. Die EU-Kommission soll nach den Vorstellungen des Rats nun aber ein auf EU-Ebene zentralisiertes Vorgehen hinsichtlich der Hilfsmaßnahmen sowie der Registrierung ukrainischer Geflüchteter erarbeiten. In Koordination mit der französischen Ratspräsidentschaft hat die EU-Kommission bereits reagiert und einen 10-Punkte-Plan (in Englisch) vorgelegt. Dieser sieht die Schaffung einer Solidaritätsplattform vor, mithilfe derer insbesondere eine einheitliche Registrierung der Geflüchteten und eine Koordinierung der in den einzelnen Mitgliedstaaten eingerichteten Informations- und Anlaufzentren erreicht werden soll. Ferner soll die Plattform die Aufnahme und Unterstützung von geflüchteten Kindern vereinheitlichen und verbessern sowie Menschenhandel vorbeugen. Weiterhin soll eine Art Belastungsindex entwickelt werden, um die Zahl der in den jeweiligen Mitgliedstaaten angekommenen Geflüchteten zu verfolgen.

Einigung über EU-US-Datenschutzabkommen – KOM

Die EU-Kommission und die USA haben sich auf ein neues Datenschutzabkommen geeinigt. Dies wurde durch eine gemeinsame Stellungnahme vom 25. März 2022 bekannt. Das neue Abkommen wurde notwendig, nachdem der EuGH in der Rechtssache Schrems II (Rs. C-311/18) das vorherige EU-US-Abkommen für unionsrechtswidrig erklärt hatte (vgl. EiÜ 27/20). Der EuGH hatte insbesondere eine zu weitgehende Datenzugriffsmöglichkeit von US-Behörden bemängelt, gegen die sich die Betroffenen nicht wehren können. Das neue Abkommen soll nun einen hinreichenden Datenschutzstandard im Sinne der Rechtsprechung des EuGH sicherstellen. Insbesondere dürfen US-Behörden auf übermittelte Daten nur noch zugreifen, wenn dies für die nationale Sicherheit notwendig und verhältnismäßig ist. Weiterhin wird ein zweistufiger Rechtsschutzmechanismus eingeführt, in dessen Wege Beschwerden untersucht und bindende Abhilfemaßnahmen beschlossen werden können. Die US-Regierung soll das Abkommen nun in nationales Recht umsetzen. Auf dessen Grundlage soll die EU-Kommission ihrerseits das Abkommen umsetzen, indem sie einen sogenannten Angemessenheitsbeschluss erlässt.

EU-Kommission plant Mindeststandards für Untersuchungshaft – KOM

Die EU-Kommission hat am 25 März2022 eine Sondierung zur Untersuchungshaft veröffentlicht. Parallel dazu hat sie eine Sondierungsstudie in Auftrag gegeben, in dessen Zusammenhang u.a. Richter:innen, Staatsanwält:innen und Verteidiger:innen befragt werden sollen. Ziel der Sondierung ist der Erlass einer nichtbindenden Empfehlung der EU-Kommission zur Einhaltung von Mindeststandards hinsichtlich Verfahrensrechten und Haftbedingungen. Damit soll der anhaltenden Kritik an defizitären Haftbedingungen in verschiedenen Mitgliedstaaten, die teilweise unter dem Standard der EMRK liegen, begegnet werden. Bereits im September 2021 hatte die EU-Kommission ein Non-Paper zur Untersuchungshaft veröffentlicht (vgl. EiÜ 31/21). Mit der geplanten Empfehlung strebt die EU-Kommission eine Angleichung der Haftbedingungen in den Mitgliedstaaten an, um den Grundrechtsschutz der Häftlinge zu verbessern. Ferner möchte sie erreichen, dass die Untersuchungshaft entgegen der bisherigen Praxis in vielen Mitgliedstaaten nur noch als ultima ratio angeordnet wird. Zudem sollen einheitliche europäische  Standards die Instrumente der justiziellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten – insbesondere die Anwendung des Europäischen Haftbefehls – verbessern. Rückmeldung zur Sondierung ist bis zum 22. April 2022 möglich. Die Empfehlung soll dann im 4. Quartal 2022 erlassen werden.

Wie kleine Kanzleien von KI profitieren können – CCBE/ELF

Im Rahmen einer gut besuchten Hybrid-Veranstaltung am 31. März 2022 haben der Rat der europäischen Anwaltschaften (CCBE) und die Stiftung der europäischen Anwaltschaften (ELF) einen Leitfaden (in Englisch) zur Nutzung von KI-basierten Tools für Anwaltskanzleien vorgestellt. Der Leitfaden richtet sich vor allem an kleinere Anwaltskanzleien, die häufig weniger Möglichkeiten zur Implementierung und Nutzung neuer Technologien haben. Verschiedene Grundkategorien und Funktionen von KI werden durch praktische Anwendungsbeispiele im Zusammenhang mit typischen anwaltlichen Tätigkeiten veranschaulicht. Zudem werden mögliche Risiken der Nutzung von KI-basierten Tools für die Anwaltschaft aufgearbeitet. Mit dem Leitfaden kommt das von der EU mitfinanzierte gemeinsame AI4Lawyers-Projekt von CCBE und ELF zum Abschluss. Auf der Projekt-Webseite (in Englisch) stehen alle Berichte und Tools kostenlos zur Verfügung.

Beschwerden gegen Russland werden weiter bearbeitet – EGMR

Der EGMR hat am 22. März 2022 eine Resolution (in Englisch) zum Austritt Russlands aus dem Europarat erlassen. Er erklärte zunächst, dass Russland seine Eigenschaft als Hohe Vertragspartei im Sinne des Art. 19 EMRK am 16.September 2022 verliere. Zudem hob er seine Entscheidung vom 15. März 2022 (vgl. Pressemitteilung des EGMR in Englisch) auf, nach der alle Beschwerden gegen Russland zunächst ausgesetzt worden waren. Der EGMR verkündete weiterhin, dass er seine Zuständigkeit für alle Beschwerden gegen Russland aufrechterhalte, die bis zum 16. September 2022 eingereicht werden. Über diese und alle noch ausstehenden Beschwerden wird der EGMR also noch entscheiden.

Im „alten Regime“ ernannte polnische Richter sind unabhängig – EuGH

Die Tatsache, dass ein Richter seine Laufbahn im kommunistischen Regime Polens begonnen hat, stellt seine Unabhängigkeit gem. Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 47 Grundrechtecharta nicht in Frage. Dies entschied der EuGH am 29 März 2022 in der Rs. C-132/20 (in Französisch). Im Ausgangsrechtsstreit hatte sich das Oberste polnische Gericht in einer verbraucherdarlehensrechtlichen Sache wegen Zweifeln an der Unabhängigkeit der in der vorherigen Instanz zuständigen Berufungsrichter an den EuGH gewandt. Einer der drei Berufungsrichter war vor 1989 unter dem kommunistischen Regime in Polen als Richter vereidigt worden, die anderen beiden zwischen 2000 und 2018 unter Beteiligung des Landesjustizrates (KRS). Die Zusammensetzung des KRS war nach einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichts aus dem Jahre 2017 in diesem Zeitraum verfassungswidrig. Nach der Auffassung des EuGHs genügen diese Umstände aber nicht, um von einer fehlenden Unabhängigkeit der Richter auszugehen. Mit dem Beitritt Polens zur EU habe sich Polen zu den rechtsstaatlichen Werten der Union bekannt, an die die Richter unabhängig von den politischen Verhältnissen zum Zeitpunkt ihrer Ernennung gebunden seien. Im Hinblick auf den KRS argumentierte der EuGH insbesondere, dass das polnische Verfassungsgericht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung des KRS nicht festgestellt habe, dass die Unabhängigkeit des KRS beeinträchtigt sei.

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