Europa im Überblick, 16/19

EiÜ 16-19

Fortschritte bei Bemühungen um bessere Rechtsetzung – KOM

Die EU-Kommission zieht eine insgesamt positive Bilanz ihrer „Better Regulation“-Agenda, mahnt aber an, dass gemeinsame Anstrengungen aller EU-Institutionen notwendig sind, um sie erfolgreich fortzuführen. Das geht aus dem am 15. April 2019 vorgelegten Bericht zur Bestandsaufnahme der Maßnahmen zur besseren Rechtssetzung – die unter Kommissionspräsident Juncker eingeführt wurden – hervor (s. Pressemitteilung). Fortschritte stellt die EU-Kommission bei der Öffnung der Politik fest, etwa durch die gestiegene Anzahl an öffentlichen Konsultationen. Sie sieht dabei aber noch Verbesserungspotential in Bezug auf die Transparenz der Beteiligungsmöglichkeiten und die Qualität der Fragebögen. Des Weiteren hat die EU-Kommission besonderen Wert auf die konsequente Durchführung von Folgenabschätzungen und Evaluationen gelegt. Auch hier gibt es ein paar Kritikpunkte, etwa in Bezug auf Verständlichkeit und Tiefe der Analysen, die von einigen Stakeholdern als zu oberflächlich oder legalistisch empfunden werden. Zufrieden zeigt sich die EU-Kommission auch mit der REFIT-Plattform, auf der Vorschläge zur Vereinfachung von Verwaltungsvorschriften eingereicht werden können. Für die Zukunft sieht die EU-Kommission insbesondere das Erfordernis einer besseren Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, damit diese ausführlichere Informationen über die nationale Umsetzung von EU-Gesetzgebung liefern und ihre Bürgerinnen und Bürger über Beteiligungsmöglichkeiten auf EU-Ebene besser informieren.

Überprüfung der Berufsregulierung zu erwarten – KOM/BReg

Die Bundesregierung plant weitreichende Reaktionen auf den digitalen Wandel in der Wirtschaft sowie eine stärkere Belebung des Wettbewerbs. So werden der Ausbau der digitalen Infrastruktur und die aktive Gestaltung neuer technologischer Herausforderungen wie etwa künstlicher Intelligenz in Aussicht gestellt. Das geht aus dem Nationalen Reformprogramm 2019 hervor (Pressemitteilung). Der am 10. April 2019 veröffentlichte Bericht ist eine Antwort auf den Länderbericht vom 27. Februar 2019 (s. EiÜ 9/19), den die EU-Kommission für jeden Mitgliedstaat im Rahmen des Europäischen Semesters veröffentlicht (s. EiÜ 41/18). Darin bescheinigte die EU-Kommission Deutschland u.a. eine zu starke Regulierung, vor allem im Dienstleistungssektor, was zu hohen Wettbewerbshindernissen führen würde. Die Kritik greift die Bundesregierung in dem Reformprogramm auf und kündigt eine erneute Prüfung bestimmter Berufsregulierungen an. Darüber hinaus sind Erleichterungen im Berufsrecht der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften im Hinblick auf die Sozietätsfähigkeit und die Beteiligung an der Geschäftsführung in Planung. Als Beispiel für positive Fortschritte im Bereich der Berufsregulierung nennt die Bundesregierung die Anpassung der Steuerberatervergütungsverordnung (StBVV). Für den Fall der umstrittenen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) wird auf deren begrenzten, inländischen Geltungsbereich und die derzeit anhängige Klage vor dem EuGH verwiesen (s. EiÜ 10/19).

Keine Europäische Ermittlungsanordnung ohne Rechtsbehelf – EuGH

Nationales Recht, dass keine Rechtsbehelfe gegen die sachlichen Gründe, aus denen eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) erlassen wird, regelt, ist mit Art. 14 der Richtlinie 2014/41 unvereinbar. Zu diesem Ergebnis kommt der Generalanwalt Yves Bot in seinen am 11. April 2019 veröffentlichten Schlussanträgen zur Rechtssache C-324/17. Gegenstand des dem Vorabentscheidungsersuchen eines bulgarischen Strafgerichts zugrundeliegenden Falles ist eine EEA zur Durchsuchung der tschechischen Räumlichkeiten eines Zeugen in einem bulgarischen Ermittlungsverfahren. Mangels entsprechender Regelungen im bulgarischen Recht konnte der Zeuge jedoch nicht gegen die EEA vorgehen. Nach Auffassung des Generalanwalts setze Art. 14 Abs. 1, der die Gleichwertigkeit nationaler Rechtsbehelfe gegen die EEA regelt, die Existenz von Rechtsbehelfen voraus. Das ergebe sich u.a. aus der Möglichkeit in Art. 13 Abs. 2, eine Beweisaufnahme bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf auszusetzen. Es sei darüber hinaus auch nicht möglich, sich mangels nationaler Regelung direkt auf den Art. 14 zu berufen. Nach Ansicht des Generalanwalts solle dieser Artikel nur eine Gleichwertigkeit zwischen nationalen Rechtsbehelfen sicherstellen, jedoch keinen Rechtsbehelf „aus dem Nichts“ erschaffen, um nationale Gesetzeslücken zu kompensieren. Der Generalanwalt kommt zu dem Schluss, dass der invasive Charakter von Europäischen Ermittlungsanordnungen dazu führe, dass Bulgarien ohne die Regelung von Rechtsbehelfen überhaupt keine EEA erlassen dürfe.

Kritik an Reform der Rückführungsrichtlinie – CCBE

Ausreichende Verfahrensgarantien müssen gewährleistet und der Abschiebhaft klare Grenzen gesetzt werden. So äußert sich der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) zur Reform der Rückführungsrichtlinie (s. EiÜ 32/18) in seiner am 29. März 2019 veröffentlichten Stellungnahme (auf Englisch/Französisch verfügbar). Der CCBE übt darin u.a. Kritik an der fehlenden Folgenabschätzung zu dem Richtlinienvorschlag und der damit verbundenen mangelnden Abwägung der Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen. In Hinblick auf die Verfahrensgarantien werden insbesondere die Rechtsbehelfe in Art. 16 als unzureichend angesehen. Schließlich betont der CCBE auch, dass die Inhaftnahme von Minderjährigen unter keinen Umständen zulässig sein sollte. Damit greift der CCBE eine Reihe von Kritikpunkten auf, die auch der DAV in seiner Stellungnahme Nr. 61/2018 (s. EiÜ 45/18) zu dem Richtlinienvorschlag angeführt hatte. Im EU-Parlament wurde zwischenzeitlich die am 11. April 2019 angesetzte Abstimmung über den Berichtsentwurf des federführenden Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) kurzfristig abgesagt, sodass nun keine Möglichkeit mehr in der laufenden Legislaturperiode besteht, den Bericht anzunehmen. Auch der Rat hat zu dem Vorschlag noch keine Position angenommen, womit das Verfahren in die nächste Legislaturperiode übergeht.

Wichtige Abstimmungen in letzter Plenarsitzung des Mandats – EP

In der Woche vom 15. bis zum 18. April 2019 hat das Europaparlament zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode getagt. Dabei wurde über mehrere wichtige Legislativvorschläge abgestimmt, mit denen sich auch der DAV intensiv auseinandergesetzt hatte. So nahmen die Parlamentarier mit 591 zu 29 Stimmen (33 Enthaltungen) in erster Lesung die zuvor erzielte Einigung für eine Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern an (s. EiÜ 11/19). Ebenfalls angenommen wurden die beiden Gesetzestexte des Gesellschaftsrechtspakets, das aus der Richtlinie zum Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (s. EiÜ 6/19) sowie der Richtlinie zu grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (s. EiÜ 11/19) besteht. Zu diesen drei Richtlinienvorschlägen muss jetzt nur noch der Rat seine Zustimmung erteilen, bevor sie in Kraft treten können. Der Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung der terroristischen Online-Inhalte (s. EiÜ 15/19) wurde nach Abstimmung über eine Reihe von Änderungsanträgen ebenfalls in erster Lesung angenommen (308 dafür, 204 dagegen, 70 Enthaltungen). Die Trilogverhandlungen mit dem Rat stehen hier allerdings noch aus. Verschoben wurde die Abstimmung über die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, wo die zunächst erzielte vorläufige Einigung vom Ausschuss der Ständigen Vertreter bereits ablehnt worden war (s. EiÜ 14/19).

Türkischer Verfassungsrichter zu Unrecht inhaftiert – EGMR

Die Inhaftierung eines türkischen Verfassungsrichters im Nachgang des gescheiterten Militärputsches in der Türkei im Juni 2016 erfolgte ohne sachlichen Grund und verletzt daher dessen Recht auf Freiheit und Sicherheit aus Artikel 5 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Zu diesem Ergebnis kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in seinem Urteil vom 16. April 2019 (Alparslan Altan v. Türkei, 12778/17). Im Rahmen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Ankara zum Putschversuch wurde der Beschwerdeführer, damals Richter am türkischen Verfassungsgericht, aufgrund des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der sogenannten „FETÖ“ (Fethullahistische Terrororganisation), verhaftet. Den von türkischen Behörden und Gerichten behaupteten Fall der Entdeckung „in flagrante delicto“, also auf frischer Tat, sah der EGMR jedoch als nicht erfüllt an. Die türkischen Gerichte hätten diese rechtliche Voraussetzung für die Inhaftierung derart weit ausgelegt, dass dies nicht nur problematisch für die Rechtssicherheit, sondern auch offenkundig unbillig wäre. Darüber hinaus kommt der EGMR zu dem Schluss, dass zum Zeitpunkt der Inhaftierung überhaupt kein Anfangsverdacht bestand. Sämtliche vorgebrachten Beweise wurden erst Wochen und Monate nach der Inhaftierung erhoben. Zwar erkennt der EGMR an, dass sich die Türkei nach dem Militärputsch und der Ausrufung des Notstands in einer außergewöhnlichen Situation befunden habe. Diese Umstände würden den Behörden jedoch keinen „Freibrief“ erteilen.

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