Europa im Überblick, 16/2022

EiÜ 16/2022

EU-Kommission will legale Migration erleichtern – KOM

Die EU-Kommission hat am 27. April 2022 – wie in ihrer Mitteilung über ein neues Asyl-und Migrationspaket vom 23. September 2020 (vgl. EiÜ 31/20) angekündigt – ein Maßnahmenpaket zur legalen Migration vorgelegt. Ein Tätigwerden der EU-Kommission in diesem Bereich war u.a. auch durch das EU-Parlament gefordert worden (vgl. EiÜ 26/21). Das Paket beinhaltet u.a. einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2011/98/EU über eine kombinierte Erlaubnis und einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG über den langfristigen Aufenthalt (jeweils in Englisch). Damit sollen das Verfahren zur Erteilung einer kombinierten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis beschleunigt und die Zulassungsbedingungen vereinfacht werden. Bei Erhalt einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis soll es nun möglich sein, den Arbeitgeber zu wechseln. Zudem soll eine vorübergehende Arbeitslosigkeit nicht sofort zur Entziehung der Erlaubnis führen. Für die Zulassung zum langfristigen Aufenthalt soll es außerdem möglich werden, Aufenthalte in unterschiedlichen Mitgliedstaaten zu kombinieren. Die EU-Kommission hat ferner eine nichtlegislative Mitteilung über die Einführung eines EU-Fachkräftepools (in Englisch) vorgelegt. Hiermit soll die Vernetzung von Arbeitnehmer:innen aus Drittstaaten und Arbeitgeber:innen aus der EU verbessert werden. Die vorgeschlagenen Gesetzgebungsinitiativen müssen nun von Rat und EU-Parlament diskutiert werden.

Kampf gegen SLAPP: EU geht gegen einschüchternde Klagen vor – KOM

In der EU gibt es immer mehr missbräuchliche strategische Klagen gegen investigative Journalist:innen, Umweltschützer:innen und Personen, die sich für Minderheiten einsetzen (sog. SLAPP, Strategic Lawsuits Against Public Participation). Die EU-Kommission hat nun einen Richtlinienvorschlag veröffentlicht, mit dem die Abweisung von Klagen, die auf Einschüchterung und nicht auf den Zugang zum Recht abzielen, einfacher sein soll. Die EU-Kommission hatte zuvor u.a. eine Anti-SLAPP Expertengruppe ins Leben gerufen, in der über den Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) auch Rechtsanwältin Dr. Roya Sangi, Mitglied des DAV-Ausschusses Verfassungsrecht, vertreten ist (vgl. EiÜ 32/21). Nach dem Vorschlag sollen Gerichtsverfahren auf Antrag des/der Beklagten frühzeitig eingestellt werden können, wenn Klagen offensichtlich unbegründet sind. Wenn ein solcher Antrag gestellt wird, trägt der Kläger die Beweislast dafür, dass eine offenkundige Unbegründetheit der Klage nicht gegeben ist. Der Richtlinienvorschlag erstreckt sich zwar nur auf Fälle mit grenzüberschreitendem Bezug. Ein solcher kann aber nicht nur durch unterschiedliche Klage- und Wohnsitzorte entstehen, sondern bereits durch ein Thema mit grenzüberschreitendem Bezug. Für rein innerstaatliche SLAPP-Klagen erließ die EU-Kommission zudem eine nichtbindende Empfehlung. Der Richtlinienvorschlag wird dem EU-Parlament und dem Rat nun für das weitere Verfahren übermittelt.

Parlament und Rat einigen sich auf Digital Services Act – EP/Rat

Der Rat und das EU-Parlament haben am 23. April 2022 in interinstitutionellen Verhandlungen eine Einigung im Hinblick auf den Digital Services Acts (DSA) erzielen können (vgl. Pressemitteilungen des Rat, des EU-Parlaments (in Englisch) und der EU-Kommission). Damit neigt sich das im Dezember 2020 begonnene Gesetzgebungsverfahren zum DSA (vgl. hierzu insb. EiÜ 40/21, 37/21, 01/21 sowie DAV-Stellungnahme Nr. 34/2021) dem Ende zu. Mit dem DSA werden die Pflichten der Plattformbetreiber:innen in Bezug auf illegale Produkte oder Verhaltensweisen auf Plattformen verschärft. Zudem wird hiermit eine Verbesserung des Schutzes der Grundrechte der Plattformnutzer:innen angestrebt. Insbesondere Empfehlungsalgorithmen von großen Plattformen sollen zukünftig nur mit Zustimmung der Nutzer:innen eingesetzt werden dürfen. Auch wenn diese Zustimmung nicht erteilt wird, müssen diese Plattformen eine Verwendung anbieten, die ohne Tracking auskommt. Hinsichtlich der personenbezogenen Werbung konnte aus Sicht des EU-Parlaments dagegen nur ein Teilerfolg erzielt werden. Zwar wurde ein Verbot von an Minderjährige gerichteter personenbezogener Werbung in den Kompromisstext aufgenommen. Ferner soll auch die Verwendung besonders sensibler Daten untersagt sein. Ein vollständiges Verbot personenbezogener Daten dagegen ist nicht Teil der Einigung geworden. Der DSA muss nun noch formal vom EU-Parlament und Rat angenommen werden.

EU-Parlament will Grundrechte im KI-Vorschlag besser schützen – EP

Die federführenden Ausschüsse Binnenmarkt (IMCO) und Inneres (LIBE) haben am 20. April 2022 ihren Berichtsentwurf (in Englisch) zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission zum Gesetz über Künstliche Intelligenz vorgelegt (vgl. hierzu EiÜ 14/21). In diesem wird eine der Hauptforderungen des DAV – die Wahrung der Grundrechte im Zusammenhang mit KI – aufgegriffen (vgl. DAV-Stellungnahme Nr. 57/2021 sowie EiÜ 37/21). Die vorausschauende Polizeiarbeit soll nun in die Liste der unter Art. 5 KI-VO-E verbotenen Anwendungen aufgenommen werden. Dies wird damit begründet, dass hierbei die Gefahr von erheblichen Diskriminierungen und Verstößen gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung bestehe. Zudem wird der Schutz personenbezogener Daten an vielen Stellen ausgeweitet. Der Berichtsentwurf sieht zudem vor, dass Konsumenten vor sog. KI-Autoren geschützt werden, indem eine Hinweispflicht bestehen soll, wenn ein Text oder Video durch KI generiert oder verändert wurde. Bezüglich einer Erweiterung des Verbotes von biometrischer Erfassung oder von Social Scoring auf private Anbieter konnten sich die beiden Berichterstatter hingegen nicht einigen. Im nächsten Schritt soll der Berichtsentwurf am 11. Mai 2022 in den federführenden Ausschüssen diskutiert werden.

Wirtschaftsausschuss einigt sich auf Mindestbesteuerungsrate – EP

Am 28. April 2022 hat der Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments (ECON) über die Änderungsanträge zum Berichtsentwurf des EU-Parlaments in Bezug auf den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung für multinationale Unternehmensgruppen in der EU abgestimmt (vgl. hierzu EiÜ 11/22). Die Abgeordneten einigten sich mit großer Mehrheit auf den von der EU-Kommission vorgeschlagenen globalen Mindeststeuersatz von 15 % für Unternehmen. Anders als die EU-Kommission stimmten sie allerdings der Einführung einer Klausel zu, die eine Überprüfung der jährlichen Einkommensschwelle vorsieht, ab der ein multinationales Unternehmen dem Mindeststeuersatz unterliegt. In einer weiteren Abweichung vom Kommissionsvorschlag sollen spezielle Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken eingeführt werden. Im nächsten Schritt muss das Plenum des EU-Parlaments dem Berichtsentwurf zustimmen. Damit die Richtlinie verabschiedet werden kann, ist danach ein einstimmiger Beschluss des Rates erforderlich. Der vorläufige Zeitplan sieht dann weiter vor, dass die Umsetzungsfrist für die zu verabschiedende Richtlinie bereits am 31. Dezember 2022 abläuft.

Gerichtshof beginnt Streaming von Gerichtsverhandlungen – EuGH

Seit dem 26. April 2022 bietet der EuGH einen Streaming-Service auf seiner Website an (vgl. Pressemitteilung). Urteilsverkündungen und Verlesungen von Schlussanträgen in Rechtssachen, die der Großen Kammer des EuGH zugewiesen sind, werden live übertragen. Zudem können mündliche Verhandlungen der Großen Kammer des EuGH zeitversetzt nachverfolgt werden. Der EuGH bietet sowohl bei den Live-Übertragungen als auch bei den zeitversetzten Übertragungen Synchronübersetzungen an. Die Sitzungen des EuGH werden jedoch nicht auf der Website des EuGH gespeichert. Nach dem Ende der Aufzeichnung können sie also nicht mehr abgerufen werden.

Verbandsklagebefugnis nach deutschem Recht ist DSGVO-konform – EuGH

Die Befugnis von Verbänden, nach dem Unterlassungsklagegesetz (UKlaG) und dem Gesetz gegen den Unlauteren Wettbewerb (UWG) im Allgemeininteresse ohne Beauftragung die Verletzung von Vorschriften der DSGVO klageweise geltend zu machen, ist unionsrechtskonform. Das entschied der EuGH am 28. April 2022 in der Rechtssache C-319/20 auf Vorlage des Bundesgerichtshofes (BGH). Im zugrundeliegenden Fall hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände die Meta Ireland Ltd. (vormals Facebook Ireland Ltd.) auf Unterlassung der Verwendung von AGB in Zusammenhang mit dem auf der Facebook-Website angebotenen „App-Zentrum“ in Anspruch genommen. In seinem Vorlageersuchen ging der BGH davon aus, dass die Klage begründet sei, weil die streitgegenständlichen AGB nicht die datenschutzrechtlichen Anforderungen an eine wirksame Einwilligung erfüllten. Er hegte jedoch Zweifel an der Zulässigkeit der Klage, da er unsicher war, ob die im UWG und UKlaG vorgesehene Verbandsklagebefugnis mit den Vorschriften der DSGVO im Einklang steht. Der EuGH stellte nun klar, dass die Verbandsklagebefugnis unionsrechtskonform ist. Art. 80 (2) DSGVO eröffne den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum, eine Verbandsklagebefugnis ohne Beauftragung vorzusehen. Dieser Ermessenspielraum sei durch die im UWG und UKlaG eingeführte Verbandsklagebefugnis nicht überschritten worden.

Streitwertdeckelung bei urheberrechtlichen Abmahnungen ist zulässig – EuGH

Für die Berechnung von Anwaltskosten für urheberrechtliche Abmahnungen gegenüber natürlichen Personen, die nicht in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handeln, kann in der Regel ein Streitwert von 1000 € zugrunde gelegt werden. So urteilte der EuGH am 28. April 2022 in der Rs. C‑559/20 und folgte damit den Schlussanträgen des Generalanwalts Sánchez-Bordona (vgl. hierzu EiÜ 35/21). Im zugrundeliegenden Rechtsstreit hatte das Landgericht Saarbrücken Zweifel an der Unionsrechtskonformität des § 97a III 2 UrhG, der eine ebensolche Streitwertdeckelung vorsieht. Der EuGH entschied nun, dass § 14 der Richtlinie 2004/48/EG, wonach die erstattungsfähigen Kosten zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zumutbar und angemessen sein müssen, dieser Regelung nicht entgegensteht. Entscheidend sei, dass den zuständigen Gerichten die Möglichkeit verbleibe, alle spezifischen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dies sei im vorliegenden Fall gewährleistet, da § 97a III 4 UrhG die Möglichkeit vorsehe, dass die Gerichte aus Billigkeitsgründen von der pauschalen Deckelung des Streitwerts auf 1000 € abweichen können.

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