Europa im Überblick, 17/17

Zugriff auf Verteidigerkonto unverhältnismäßig – EGMR

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Fall Sommer gg. Deutschland entschieden (Nr.  73607/13), dass der Zugriff auf Informationen über Transaktionen des Geschäftskontos eines Rechtsanwalts einen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Artikel 8 EMRK darstellte. Die Staatsanwaltschaft Bochum war im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Mandanten des Beschwerdeführers – ein deutscher Strafverteidiger – auf die Zahlung eines Verteidigerhonorars an diesen aufmerksam geworden. Sie vermutete, dass dieses Geld aus rechtswidrigen Taten stamme. Die Bank des betroffenen Strafverteidigers stellte der Staatsanwaltschaft auf deren Aufforderung hin und ohne Kenntnis des Verteidigers im März 2011 eine Liste aller zwischen 2009 und 2011 über das Geschäftskonto des Strafverteidigers erfolgten Transaktionen zur Verfügung. Der Anwalt erlangte hiervon erst durch Einsicht in die Ermittlungsakte Kenntnis und wehrte sich in allen Instanzen erfolglos gegen jene Maßnahme. Der EGMR erkannte nun in dem Zugriff auf das Verteidigerkonto einen unverhältnismäßigen Eingriff, da die erlangten Informationen ein vollständiges Bild der anwaltlichen Tätigkeit über den Zeitraum von zwei Jahren abgebildet hätten. Aufgrund eines fehlenden gerichtlichen Beschlusses und mit Hinweis auf die hohe Bedeutung der vertraulichen Beziehung zwischen Anwalt und Mandant habe die Maßnahme keinen hinreichenden prozessualen Absicherungen unterlegen.

Studien beleuchten Rolle von Anwälten im Panama-Paper Skandal – EP

Im PANA-Sonderausschuss des Europäischen Parlaments sind mehrere Studien zur Rolle von Finanzintermediären vorgelegt worden (s. EiÜ 4/17, 6/17). In der Studie „Die Rolle der Berater und Vermittler bei den in den Panama-Papieren enthüllten Machenschaften“ (nur in englischer Sprache) wird bezüglich der Rechtsberater u.a. festgestellt, dass diese in allen Phasen der Steuerplanung eine entscheidende Rolle spielen und sich die Regulierung des Berufsstandes von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheide. In der Studie „Regeln für die Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit in Bezug auf Dienstleistungen der Rechnungsprüfung, Steuerberatung, Rechnungsführung und Bescheinigung der Jahresrechnungen sowie juristische Dienstleistungen“ (nur in englischer Sprache) wird demgegenüber die Berufsregulierung der Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer näher erläutert. Die Studien werden in der PANA-Ausschusssitzung am 2. Mai 2017 vorgestellt und erörtert.

Geoblocking im Online-Handel bald passé? – EP

Automatisiertes Umleiten des Käufers beim Online-Kauf auf andere Händler-Webseiten aufgrund der Nationalität des Käufers und ohne dessen Zustimmung soll unterbunden werden, sofern eine EU-Regelung oder nationale Vorschrift dies nicht erfordert. Das fordert der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des Europäischen Parlaments, der am 25. April 2017 den Berichtsentwurf der Berichterstatterin Róża Thun (EVP, Polen) zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission COM(2016)0289 über Maßnahmen gegen Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts mit einigen Änderungen angenommen hat (s. PM sowie bereits EiÜ 08/1739/16 und 27/16). Das Geoblocking-Verbot soll – anders als von der Kommission und im Rat vorgeschlagen und entgegen den DAV Stellungnahmen 41/2016 und 10/2017 – nicht nur Waren und Dienstleistungen der Richtlinie 2006/123/EG umfassen, sondern auch audiovisuelle Dienstleistungen wie Streaming-Dienste und eBooks, die aufgrund von Gebietslizenzen erbracht werden. Nun beginnt der Trilog von Kommission, EU-Parlament und Rat.

Arbeits- und Lebensbedingungen sollen verbessert werden – KOM

Die Europäische Kommission hat am 26. April 2017 das Paket der „Säule sozialer Rechte“ veröffentlicht (s. Pressemitteilung; s. bereits EiÜ 10/16). Es werden 20 zentrale Grundsätze und Rechte zur Unterstützung gut funktionierender und fairer Arbeitsmärkte und Sozialsysteme festgelegt (vgl. Mitteilung COM(2017) 250). Daneben wurde anknüpfend an das Weißbuch der EU-Kommission zur Zukunft der EU (s. EiÜ 09/17) ein Reflexionspapier zur Sozialen Dimension Europas veröffentlicht. Hierdurch soll ein Dialog mit den Bürgern, den Sozialpartnern, den EU-Institutionen und Mitgliedstaaten beginnen, um Lösungen für die sozialen Herausforderungen der nächsten Jahre zu finden. Die EU-Kommission hat auch unverzüglich mit der Umsetzung der Prinzipien aus der Säule begonnen und u.a. einen Richtlinienvorschlag COM(2017) 253 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige veröffentlicht. Hierdurch sollen u.a. ein bezahlter zehntägiger Vaterschaftsurlaub für die Geburt des Kindes und ein bezahlter fünftägiger Urlaub für pflegende Angehörige eingeführt werden. Außerdem sollen die Arbeitsregelungen und die Elternzeit flexibler gestaltet werden können. Schließlich hat die EU-Kommission auch Leitlinien C(2017) 2601 (nur auf Englisch verfügbar) zur Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG veröffentlicht (s. EiÜ 10/17). 

Nach EuGH-Urteil: Haftung bei Streaming verschärft – EUGH

Der Verkauf eines multimedialen Medienabspielers, mit dem kostenlos auf einem Fernsehbildschirm auch solche Filme angesehen werden können, die rechtswidrig im Internet zugänglich sind, kann eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Dies entschied der EuGH am 26. April 2017 im Fall „Stichting Brein“ (Rs. C-527-15). Der EuGH legte die Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1, Abs. 5 der Urheberrechtsrichtlinie 2001/29/EG aus und bestätigte, dass bereits der Verkauf eines solchen Medienspielers eine "öffentliche Wiedergabe" im Sinne der Urheberrechtsrichtlinie (RL 2001/29) darstelle und auch nicht bloß eine "vorübergehende Vervielfältigungshandlung" sei. Geklagt hatte eine Stiftung gegen einen Online-Anbieter auf Unterlassen des Verkaufs des Medienabspielers „filmspeler“, welcher das Auffinden unter Verstoß gegen das Urheberrecht im Internet verfügbaren Streaming-Angeboten durch eine vorinstallierte Software erleichterte und damit warb. Die Haftung für den gewerblichen Vertrieb von Produkten zur gezielten Nutzung illegaler Inhalte wird also verschärft – und was ist mit dem „streamenden“ Endnutzer? Der EuGH spricht sich dazu nicht explizit aus, eine Abmahnwelle steht also voraussichtlich nicht bevor.

Parlament sieht Regelungsbedarf bei der kollaborativen Wirtschaft – EP

Die kollaborative Wirtschaft braucht einen klaren europäischen Rechtsrahmen. Dies fordert der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des Europäischen Parlaments in seinem in dieser Woche mit Änderungen angenommenen Berichtsentwurf zur „Europäischen Agenda zur kollaborativen Wirtschaft“ COM(2016) 356 (Berichterstatter Nicola Danti, S&D). Die bestehenden verschiedenen nationalen Regelungen seien nicht geeignet, den auftretenden Rechtsunsicherheiten, die mit der kollaborativen Wirtschaft einhergehen, Rechnung zu tragen. Problematisch seien etwa das noch unklare Haftungsregime kollaborativer Plattformen, die Pflichtenverteilung der verschiedenen Akteure in der kollaborativen Wirtschaft und Lücken im Verbraucherschutz. Die Agenda zur kollaborativen Wirtschaft (s. dazu EiÜ 20/16) ergänzt sich mit der Mitteilung zu Online-Plattformen COM(2016) 288 (s. EiÜ 19/16). Der DAV fordert in seiner Stellungnahme Nr. 63/2015 (s. EiÜ 1/16) zum Regulierungsumfeld für Online-Plattformen klare Verbraucherinformationen.

Europa im Überblick abonnieren

Verpassen Sie keine wichtigen rechtlichen Entwicklungen in Europa! Abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter „Europa im Überblick“ und bleiben Sie stets informiert über die neuesten EU-Gesetzgebungen, Rechtsprechungen und deren Auswirkungen auf Ihre Praxis.

Kommentare

0 Kommentare zum Artikel
Bitte rechnen Sie 5 plus 3.