Europa im Überblick, 18/2024

EiÜ 18/2024

Kartellschadensersatz über Inkassodienstleister einklagen? – EuGH

In Deutschland sehen Gerichte die Abtretung von Kartellschadensersatzansprüchen an Inkassodienstleister, die diese dann gebündelt gegen ein Erfolgshonorar geltend machen, bisher häufig kritisch. Sie berufen sich auf die nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) erforderliche Fachkenntnis bei Abtretungen. Das Landgericht Dortmund legte dem EuGH im Jahr 2023 die Frage vor, ob Art. 101 und 102 AEUV, die Kartellschadensersatzrichtlinie 2014/104/EU und Art. 47 EU-Grundrechtecharta nicht aufgrund des Erfordernisses eines effektiven Rechtsschutzes für Kartellgeschädigte einer solchen Auslegung entgegenstehen (Rs. C-253/23). Am 7. Mai 2024 fand am EuGH die mündliche Verhandlung statt. Die Klägerin ASG 2 unterstrich, dass die Schadensersatzrichtlinie ein Kräftegleichgewicht zwischen den Parteien habe herstellen wollen. Es gebe regelmäßig viele finanzkräftige Beklagte, die ihre Verteidigung koordinierten. Die Abtretung durch die Kläger gebündelt zu ermöglichen, schaffe insofern lediglich ein Level playing field. Das Land NRW als Beklagte wiedersprach, denn auch bei der Einzelverfolgung durch Geschädigte gebe es ein positives Kosten-Nutzen-Saldo. Auch das Bundeskartellamt und die deutsche Bundesregierung sahen in der Richtlinie keine Blankoermächtigung zur Abtretung, Letztere verwies zudem auf die nicht einheitliche Auslegung des RDG in Deutschland. Generalanwalt Szpunar kündigte seine Schlussanträge für den 19. September 2024 an.

Kommission möchte Artikel 7-Verfahren gegen Polen einstellen – KOM

In Polen besteht keine eindeutige Gefahr einer Verletzung der Rechtsstaatlichkeit mehr – das gab die EU-Kommission am 6. Mai 2024 bekannt (vgl. PM). Aus diesem Grund möchte sie das 2017 gemäß Artikel 7 (1) EUV gegen Polen eingeleitete Verfahren (vgl. PM) einstellen. Das Verfahren war als eine Reaktion auf die Rechtsstaatlichkeitskrise in Polen eingeleitet worden, im Zuge derer Polen sogar den Vorrang des EU-Rechts in Frage gestellt sowie EuGH- und EGMR-Urteile als nicht bindend erachtet hatte, vgl. hierzu u.a. EiÜ 6/23 7/23; 11/23. Die Entscheidung bildet den Abschluss einer Analyse der EU-Kommission über den Status der Rechtsstaatlichkeit in Polen, dessen Gegenstand unter anderem ein von Polen im Februar 2024 vorgelegter Aktionsplan (ein Überblick über die Maßnahmen hier) war. Die darin von Polen vorgesehenen gesetzlichen und außergesetzlichen Maßnahmen, darunter Regeln zur Neubesetzung verschiedener Verfassungsorgane, seien ausreichend, um die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Polen wird demnach Regelungen treffen, um eine ordnungsgemäße Besetzung des Verfassungsgerichts zu erreichen sowie den Einfluss der Politik auf den Nationalen Justizrat zu reduzieren. Auch hat Polen damit begonnen, die Maßnahmen konkret umzusetzen und ist am 29. Februar 2024 der Europäischen Staatsanwaltschaft beigetreten (siehe hier). Die Analyse der Kommission wird auf dem nächsten Ratstreffen ‚Allgemeine Angelegenheiten‘ diskutiert werden.

Richtlinie zur Gewalt gegen Frauen endgültig verabschiedet – Rat

Am 7. Mai 2024 hat der Rat den Kompromisstext der Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen final angenommen (siehe PM). Dabei handelte es sich um den letzten Schritt zur Verabschiedung der Rechtsvorschrift, die den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt unterstützen soll. Die Richtlinie schafft Mindestnomen für die Kriminalisierung von weiblicher Genitalverstümmelung, Zwangsehen, nicht-einver­nehmliche Weitergabe intimer Bilder, Cyber-Stalking, Cyber-Belästigung sowie Aufsta­chelung zu Hass oder Gewalt im Internet (vgl. EiÜ 16/24). Durch längere Verjäh­rungs­fristen soll der Zugang zur Justiz erleichtert werden. Auf die Aufnahme des Vergewaltigungstatbestands, der noch im Kommissionsvorschlag vorgesehen war, konnte sich während der Trilogverhandlungen aufgrund der Blockade einzelner Mitgliedstaaten im Rat jedoch nicht geeinigt werden (vgl. EiÜ 05/24). Die Richtlinie tritt 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft, ab diesem Zeitpunkt haben die Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit, um die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.

Save the Date: Webinar zur Geldwäschebekämpfung – ELF/CCBE

Am 29. Mai 2024 (09:00 – 11:00 Uhr) veranstaltet die European Lawyers Foundation (ELF) gemeinsam mit dem Rat der europäischen Anwaltschaften (CCBE) ein Webinar zur Geldwäschebekämpfung (Programm hier abrufbar). Nach einer kurzen Begrüßung durch CCBE-Präsident Pierre-Dominique Schupp wird zunächst das neue EU-Geldwäschepaket vorgestellt (vgl. EiÜ 16/24, 2/24 sowie die DAV-Stellungnahme 58/21) und die grundlegenden Neuerungen für Anwältinnen und Anwälte erläutert. Es folgen Beiträge zu allgemeinen praktischen Hinweisen für die anwaltliche Arbeit. Eine Registrierung für das kostenlose Webinar ist bis zum 28. Mai 2024 über das Anmeldeformular möglich.

Horizontale Gleichbehandlungsrichtlinie: Geht es bald weiter? – Rat

Der Rat hat sich am 7. Mai 2024 mit dem seit 2008 diskutierten Vorschlag einer horizontalen Gleichbehandlungsrichtlinie befasst. Eine Vielzahl der Mitgliedstaaten unterstützen den aktuell diskutierten Textvorschlag, während vereinzelt erneut mehr Bedenkzeit gefordert wurde. Unsicherheiten bezüglich der Rechtssicherheit, Subsidiarität und Umsetzungskosten wurden nach aktueller Diskussion allerdings ausgeräumt. Der 16 Jahre alte Richtlinienvorschlag hat das Ziel, Diskriminierung aufgrund von Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Ausrichtung auch außerhalb des Arbeitsmarktes zu bekämpfen. Dies soll durch die Schaffung eines einheitlichen Mindestschutzniveaus in der gesamten Europäischen Union erreicht werden. Die Richtlinie umfasst verschiedene Aspekte, darunter Definitionen von Diskriminierung, sowie den Rechtsschutz für Diskriminierungsopfer. Sie legt auch die Schaffung von Gleichstellungsstellen in den Mitgliedstaaten fest, um den Gleichbehandlungsgrundsatz zu fördern und Diskriminierungsopfern zu helfen. Die Diskussionen werden fortgesetzt; für die nächste Sitzung im Juni 2024 wird eine allgemeine Ausrichtung angestrebt.

Erfordernis privaten Interesses für Verbandsklagerecht rechtmäßig – EuGH

Eine nationale Regelung kann von Berufsverbänden den Nachweis eines berechtigten Interesses verlangen, um Maßnahmen anzufechten, die mit der Unabhängigkeit der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit vermeintlich unvereinbar sind. So entschied der EuGH in seinem Urteil vom 8. Mai 2024 (Rs. C-53/23) zu einem Vorabentscheidungsersuchen eines rumänischen Gerichts, das Zweifel an der Unionsrechtskonformität der rumänischen Verfahrensvorschriften hegte. Aufgrund dieser war es den Berufsverbänden von Richter:innen und Staatsanwält:innen verwehrt, den Klageweg gegen die Ernennung zweier Staatsanwälte zu bestreiten, die für die Strafverfolgung von Richter:innen und Staatsanwält:innen zuständig sind. Den Berufsverbänden fehlte laut dem rumänischen Kassationsgerichtshof das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Der EuGH bestätigte dies: EU-Mitgliedsstaaten bestimmten selbstständig, wer Klage erheben kann, sofern das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz nicht beeinträchtigt wird. Die Mitgliedsstaaten seien unionsrechtlich nicht verpflichtet, Berufsverbänden das Recht einzuräumen, gegen jede Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht vorzugehen, die mutmaßlich in Bezug auf eine mit der Stellung der Richter zusammenhängende nationale Bestimmung oder Maßnahme besteht. Der Umstand des verwehrten Rechtswegs reiche für sich genommen nicht aus, um bei Rechtsunterworfenen berechtigte Zweifel an der richterlichen Unabhängigkeit aufkommen zu lassen.

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