EiÜ 20/2023
Europäischer Insolvenzrechtskongress in Brüssel (EIRC) – DAV
Vom 29. - 30. Juni 2023 findet der europäische Insolvenz- und Restrukturierungskongress (EIRC) in Brüssel statt. Es handelt sich um einen der führenden Kongresse auf diesem Gebiet und bietet die Möglichkeit, mit Vertretern aus EU-Kommission und EU-Parlament sowie internationalen Expertinnen und Experten zu den neuesten Entwicklungen des Rechtsgebiets zu diskutieren. Der durch die Arbeitsgemeinschaft des Deutschen Anwaltvereins für Insolvenzrecht und Sanierung ausgerichtete Kongress findet bereits zum 12. Mal statt und wird sich in diesem Jahr insbesondere den neuen Harmonisierungsvorschlägen der EU-Kommission zum materiellen Insolvenzrecht widmen, aber auch die Digitalisierung der Insolvenzverfahren sowie die bestehenden und zukünftigen Herausforderungen der Automobilbranche behandeln. Jetzt hier anmelden!
Sanktionsverstöße ahnden, aber bitte mit Augenmaß – EP
Im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des EU-Parlaments wurde am 22. Mai 2023 der Berichtsentwurf (in Englisch) zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union von Berichterstatterin Sophia in ‘t Veld (Renew, Niederlande) vorgestellt. Mit der Richtlinie werden die Tatbestände bei Verstößen gegen EU-Sanktionen, die als Kriminalitätsbereich der Gesetzgebungskompetenz der Union zugänglich sind (vgl. EiÜ 42/22; 35/22), vereinheitlicht. Im Unterschied zum Kommissionsvorschlag soll bereits Fahrlässigkeit die Strafbarkeit begründen, der DAV weist hier auf das Erfordernis von Vorsatz hin. Im Falle von Rechtsberatung soll eine Ausnahme vom Berufsgeheimnis greifen, wenn der Anwalt Kenntnis oder „Gründe zur Annahme“ hat, dass der Mandant einen Sanktionsverstoß bezweckt. Der DAV setzt sich gegenüber dem Parlament für den Schutz des anwaltlichen Berufsgeheimnisses ein und lehnt das subjektive Verdachtselement klar ab (s. SN Nr. 3/2023). Nach dem Berichtsentwurf drohen natürlichen Personen ferner Freiheitsstrafen im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren und mögliche zusätzliche Geldstrafen im Höchstmaß von mindestens 10 Millionen Euro. Änderungsanträge waren bis zum 26. Mai 2023 einzubringen, eine Abstimmung erfolgt voraussichtlich noch vor der Sommerpause.
Abstimmung über vorläufige Einigung zur Verbraucherkreditrichtlinie – EP
Der Ausschuss Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des EU-Parlaments hat in seiner Sitzung vom 23. Mai 2023 die vorläufige Einigung im Trilog zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission über Verbraucherkredite angenommen. Der Text (in Englisch) ist das Ergebnis der zwischenzeitlich stattgefundenen interinstitutionellen Verhandlungen. Mit der neuen Verbraucherkreditrichtlinie soll die bestehende Richtlinie 2008/48/EG ersetzt werden. Auch geringfügige Darlehen unter 200 Euro sowie Leasingverträge mit Kaufoptionen für Waren oder Dienstleistungen, Überziehungsmöglichkeiten sowie zins- und gebührenfreie Kredite unterfallen nunmehr den gesetzlichen Anforderungen der Verbraucherkredite, vgl. bereits EiÜ 8/22. Die notwendigen Vertragsinformationen einschließlich aller anfallenden Kosten sollen für die Verbraucher:innen noch verständlicher gemacht und die Vorschriften über die Kreditwürdigkeitsprüfung seitens der Kreditgeber verschärft werden. Ferner muss Kreditwerbung einen deutlichen Warnhinweis auf die Kostenfolgen enthalten, wobei die Mitgliedstaaten bestimmte Arten von Werbung untersagen können. Der Text muss als Nächstes noch durch das Plenum des EU-Parlaments angenommen werden.
Beschlagnahmte Vermögensgegenstände sollen an Opfer gehen – EP
Vermögenswerte und -gegenstände, die als Straftaterträge eingezogen oder beschlagnahmt wurden, sollten in erster Linie den Opfern der Straftat zugutekommen. Dies sieht der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments in seinem Bericht zum Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten (COM(2022)245 final, vgl. hierzu EiÜ 23/2022) vor, der am 23. Mai 2023 angenommen wurde. Die Richtlinie soll als Teil der EU-Strategie zur Bekämpfung organisierter Kriminalität ein schnelles und effizientes Einfrieren von Straftaterträgen ermöglichen, wie es das EU-Parlament schon in seiner Resolution vom 15. Dezember 2021 verlangt hatte. Der Ausschuss fordert in seinem Bericht zudem eine Rückführung von Vermögensgegenständen aus Drittstaaten und die Verwendung eingezogener Vermögenswerte für soziale Zwecke. Der Bericht schlägt neben einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie die Einrichtung einer durch die EU-Kommission geführte Plattform vor, die die Zusammenarbeit der Vermögensabschöpfungsstellen untereinander und mit Eurojust erleichtern soll. Die interinstitutionellen Verhandlungen können beginnen, sobald der Rat seine allgemeine Ausrichtung annimmt.
Anwaltschaft weiterhin stark reguliert: Europäisches Semester – KOM
Die EU-Kommission hat am 24. Mai 2023 das Frühlingspaket des „Europäischen Semesters 2023“ einschließlich der 27 Länderberichte veröffentlicht, vgl. Pressemitteilung. Das europäische Semester soll einen Rahmen für die wirtschafts-, haushalts- und sozialpolitische Koordinierung der Mitgliedstaaten geben (vgl. bereits EiÜ 40/22) und erstreckt sich auch auf die Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität im Rahmen des Programms „NextGenerationEU“. Im Länderbericht zu Deutschland wird darauf hingewiesen, dass die Regelungsintensität der Anwaltschaft trotz der kürzlichen Reformen zu den Berufsausübungsgesellschaften im Vergleich zum europäischen Durchschnitt hoch bleibt. Die gesetzlichen Vorbehalte zur Ausübung von Rechtsberatung werden im Länderbericht als Hindernis für die Entwicklung eines innovativen und IT-gestützten Dienstleistungssektors (wie Legal Tech) ausgemacht. In den länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission für Deutschland, die dem Rat als Beschlussvorlage vorgelegt werden (abrufbar hier), findet sich unter anderem der Ausbau der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung wieder. Nachdem die Empfehlungen durch den Europäischen Rat gebilligt wurden, sollen sie durch die Mitgliedsaaten bei der Erstellung ihrer nationalen Haushaltspläne berücksichtigt werden.
Rückkehr ins Heimatland reicht für neuen Asylantrag nicht aus – EuGH
Der temporäre Aufenthalt im Herkunftsland allein steht der Unzulässigkeit eines Folgeantrags auf internationalen Schutz nicht zwangsläufig entgegen. Dies entschied der EuGH in seinem Urteil vom 25. Mai 2023 zur Rechtssache C-264/22 und beantwortete so ein Vorabentscheidungsersuchen des VG Minden. Dieses wollte u.a. wissen, ob Art. 33 (2) d) der Richtlinie 2013/32/EU über das Verfahren für die Zu- und Aberkennung des internationalen Schutzes einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Folgeantrag auf internationalen Schutz als unzulässig behandelt wird und zwar unabhängig davon, ob der Betroffene in der Zwischenzeit -freiwillig oder unfreiwillig- in sein Herkunftsland zurückgekehrt ist, (§§ 29 I Nr. 5, 71 AsylG). Art. 33 (2) d) der genannten Richtlinie sieht vor, dass Anträge nur dann als unzulässig betrachtet werden können, wenn keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zur Berechtigung auf internationalen Schutz vorliegen. Der EuGH stellte nun klar, dass eine -freiwillige oder unfreiwillige- Rückkehr ins Ursprungsland allein noch keine neuen Umstände darstellen muss. Dabei muss ferner die Entscheidung über den früheren Antrag nicht unbedingt die Zuerkennung subsidiären Schutzes betroffen haben, sondern kann auch das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zum Gegenstand gehabt haben, sofern die Prüfung inhaltlich mit jener auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus vergleichbar ist.
Unterrichtung über Festnahmegründe umgehend und konkret – EuGH
In seinem Urteil vom 25. Mai 2023 in der Rechtssache C-608/21 hat der EuGH eine klarstellende Auslegung des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren vorgenommen. Der Rechtssache lag die Vorlagefrage eines bulgarischen Gerichts zugrunde, das die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Haftanordnung aufgrund des Verdachts einer Straftat gegen den Kläger zu prüfen hatte. Es fragte den EuGH, ob eine Mitteilung der Festnahmegründe und der strafbaren Handlung außerhalb der Haftanordnung zulässig sei und in welchem Umfang die Unterrichtung zu erfolgen habe. Der EuGH urteilte, dass es ausreichend sei, wenn die Gründe in anderen Begleitdokumenten enthalten sind. Allerdings macht der Gerichtshof eine zeitliche Vorgabe. Um der betroffenen Person die wirksame Vorbereitung ihrer Verteidigung und ein faires Verfahren zu ermöglichen, muss sie im Moment der Festnahme oder zumindest umgehend – nicht wie vorliegend erst im Rahmen des eingelegten Rechtsbehelfs – Kenntnis erlangen können. Hinsichtlich der weiteren Frage weist der EuGH auf die Berücksichtigung des Verfahrensstadiums im Einzelfall hin. Für die Gewährleistung der Verteidigungsrechte gehöre zu den relevanten Informationen Angaben über Zeit, Ort, Art der konkreten Beteiligung der Person an der vorgeworfenen Straftat -wie sie den zuständigen Behörden bekannt sind- sowie die vorläufige rechtliche Beurteilung.
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