Europa im Überblick, 21/16

TELEFONGESPRÄCH ZWISCHEN ANWALT UND MANDANT DURFTE TRANSKRIBIERT WERDEN – EGMR

Die Überwachung und Verschriftlichung eines Telefongesprächs zwischen einer Rechtsanwältin und ihrem einer Straftat verdächtigen Mandanten hat das Recht zweier Anwälte auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens gem. Artikel 8 EMRK nicht verletzt. Dies befand eine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter Vorsitz der deutschen Richterin Nussberger einstimmig im Fall Versini-Campinchi and Crasnianski v. France (Beschwerdenr. 49176/11). Sie begründete dies damit, dass die Transkription darauf beruht habe, dass die Gesprächsinhalte Anlass zu der Annahme gegeben hätten, dass die Anwältin eine Straftat begangen habe. In dem Fall war der Mandant, Geschäftsführer eines Fleischproduzenten, des Imports BSE-infizierten Rindfleischs verdächtigt und aufgrund dessen seine Telekommunikation, u.a. mit seiner Anwältin, abgehört worden. In dem Gespräch mit seiner französischen Anwältin tätigte diese – veranlasst durch einen Kollegen – Äußerungen über Gesprächsinhalte mit Dritten, die sie in Haft besucht habe. Dies begründete den Verdacht der Verletzung der französischen Strafprozessordnung und des Berufsgeheimnisses, so dass ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde. In diesem wurde das transkribierte Gespräch mit dem Mandanten verwendet. Zu Recht, so der EGMR, denn die Anwältin hätte wissen können, dass die Telekommunikation vermutlich überwacht werde. Zugleich hatten sich die zuständigen nationalen Gerichte versichert, dass die Transkription nicht die Beschuldigtenrechte des Mandanten verletzte, da die Äußerung der Anwältin nicht im Rahmen der Ausübung der Beschuldigtenrechte erfolgt sei.

DOCMORRIS ZUM DRITTEN – EUGH

Eine wie in § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) i.V.m. der deutschen Arzneimittelpreisverordnung vorgesehene nationale Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel stellt ein Handelshemmnis für Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten dar und ist daher nicht mit den Art. 34 und 36 AEUV vereinbar. Dies stellte Generalanwalt Szpunar in seinen Schlussanträgen vom 2. Juni 2016 in einem Vorabentscheidungsersuchen (C-148/15) des OLG Düsseldorf (Az.: I-20 U 149/13) fest. Diesem lag der Fall zugrunde, dass die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. auf Basis einer Kooperation mit der niederländischen Internetversandapotheke DocMorris ihren Mitgliedern ein Bonussystem vorstellte, wonach diese bei Bezug bestimmter Medikamente von DocMorris Vergünstigungen erhielten, die geringer als die einheitlich festgelegten Apothekenabgabepreise ausfielen. Die nationale Preisbindung der Arzneimittel stellt nach Ansicht Szpunars eine Maßnahme dar, die dazu führt, den Marktzugang von Internet-Apotheken, die typischerweise im Ausland ansässig sind, zu blockieren oder zumindest zu verengen, um eine lebensfähige Struktur von Präsenz-Apotheken zu erhalten und wirke sich daher indirekt diskriminierend auf nicht-deutsche Apotheken aus. Eine solche Maßnahme lasse sich weder mit einer Kostenkontrolle im Gesundheitssektor noch mit der Qualität und der gleichmäßigen Patientenversorgung rechtfertigen und erweise sich insbesondere im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als ungeeignet.

STELLUNGNAHME ZU EINEM WIRKSAMEN EU-INSOLVENZRAHMEN – DAV

Der DAV hat auf die öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission über einen wirksamen Insolvenzrahmen in der EU mit seiner Stellungnahme 27/2016 vom 9. Juni 2016 geantwortet (vgl. EiÜ 12/16, s. auch bereits StN 18/2016 zur EU-Harmonisierung im Insolvenzrecht). Der DAV geht davon aus, dass die Kommission noch in diesem Jahr einen Richtlinienvorschlag vorlegen wird, bei dem es inhaltlich in erster Linie um vorinsolvenzliche Verfahren mit dem Ziel der Vermeidung einer Insolvenz gehen wird. Bei der Ausgestaltung eines solchen vorinsolvenzlichen Verfahrens sollte aus Sicht des DAV den Mitgliedstaaten weitestgehend Freiraum gegeben werden, darüber hinaus sollte es grundsätzlich nur bei sanierungsfähigen Unternehmen zur Anwendung kommen und die Arbeitnehmerrechte nicht berühren. Auch sollten zu strenge zivil- und strafrechtliche Pflichten das Verfahren nicht von vornherein ad absurdum führen. Der DAV würde es begrüßen, wenn dem Insolvenzschuldner im vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahren die Möglichkeit eingeräumt würde, einen Moderator hinzuzuziehen und ein Moratorium beantragen zu können. Im Rahmen des 5. Europäischen Insolvenzrechtstages (EIRC) der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung des DAV am 16. Juni 2016 kündigte die Festrednerin, Justizkommissarin Věra Jourová, einen Legislativvorschlag im Insolvenzrecht im Herbst dieses Jahres an.

ARBEITSGRUPPE STELLT PAPIER ZUR URHEBERRECHTSREFORM VOR – EP

Im Rechtsausschuss (JURI) des Europaparlaments wurde am 13. Juni ein Arbeitsdokument zur Urheberrechtsreform durch Jean-Marie Cavada (ALDE), den Koordinator der seit Beginn der Legislaturperiode existierenden Arbeitsgruppe zum Urheberrecht, vorgestellt (s. auch JURI-Homepage). Ziel des Dokuments ist es u.a. die Reflektion der Mitgliedstaaten über eine einheitliche Urheberrechtsgesetzgebung anzuregen, da noch höchst unterschiedliche nationale Rechtssätze bestünden. Die Arbeitsgruppe hatte vor der Erstellung des Papiers Experten angehört. Zentrale Themen des Berichts sind beispielsweise die Entlohnung für kunstschaffende Urheber, Territorialität und Geoblocking sowie Verantwortung der Diensteanbieter. Auch die in einzelnen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich gehandhabte sog. Panoramafreiheit (das Recht Fotos, von urheberrechtlich geschützten Werken, z.B. Gebäuden, im öffentlichen Raum zu erstellen) wird im Rahmen der Ausnahmetatbestände diskutiert (vgl. EiÜ 22/15). Im Rahmen der Diskussionen wurde auch bemerkt, dass Kulturschaffende meist eine schwache Position innehätten und an eine Stärkung des Verbandsklagerechts gedacht werden könne.

FLUGGASTRECHTE: LEITLINIEN ZUR AUSLEGUNG VERÖFFENTLICHT – KOM

Die Europäische Kommission hat am 10. Juni 2016 im Rahmen einer Bekanntmachung (C(2016) 3052) Leitlinien für die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 veröffentlicht. Mit den Leitlinien sollen im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs mehrere Bestimmungen der Verordnung klarer erläutert werden, damit die geltenden Vorschriften wirksamer und einheitlicher durchgesetzt werden könnten, daneben die am häufigsten gestellten Fragen von nationalen Durchsetzungsstellen, Fluggästen, dem Europäischen Parlament und Vertretern der Wirtschaft beantwortet werden. In den Leitlinien werden vor allem Begriffsklärungen vorgenommen, so z.B. zur Frage, wann außergewöhnliche Umstände vorliegen, die dazu führen, dass gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 bei Annullierung oder Verspätung keine Ausgleichszahlungen geleistet werden müssen.

VERSTÄRKTE ZUSAMMENARBEIT IM GÜTERRECHT – EP

Der Rechtsausschuss (JURI) des Europäischen Parlaments hat am 15. Juni 2016 die Berichtsentwürfe von Jean-Marie Cavada (ALDE) zu den Verordnungsvorschlägen (COM(2016) 106 und COM(2016) 107) zur Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen der ehelichen Güterstände und der Güterstände eingetragener Partnerschaften angenommen. Die Verabschiedung der Richtlinien erfolgt im Wege der verstärkten Zusammenarbeit gemäß Artikel 20 EUV, 326ff AEUV. Der Rat hatte hierzu bereits am 9. März 2016 eine allgemeine Ausrichtung erzielt (Vgl.  EiÜ 20/16). Das Plenum des Europäischen Parlaments wird nun am 23.Juni 2016 über die Berichte abstimmen.

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