EiÜ 23/2023
Gesetz über Künstliche Intelligenz: Der Trilog hat begonnen! – EP
Das Plenum des EU-Parlaments hat am 15. Juni 2023 seine Position zum Verordnungsvorschlag der EU-Kommission über künstliche Intelligenz (‚AI Act‘) festgelegt, abrufbar hier. Im Bereich des Verbots bestimmter KI-Praktiken geht das EU-Parlament deutlich über die Position der Mitgliedstaaten hinaus, die sich bereits im Dezember 2022 positioniert hatten, siehe hier. Dies betrifft u.a. die Verwendung von KI-Systemen zur Risikobewertung der Straffälligkeit einer Person sowie den Einsatz von Emotionserkennungssystemen oder das Erstellen von Gesichtserkennungsdatenbanken. Während die Verwendung biometrischer Echtzeit-Fernidentifizierungssysteme in öffentlich zugänglichen Räumen grundsätzlich verboten ist, ist eine nachträgliche Fernidentifizierung unter Richtervorbehalt und zur Verfolgung schwerer Straftaten möglich. Der DAV hatte sich bereits frühzeitig für die Wahrung der Grundrechte durch eine menschliche Letztentscheidung eingesetzt sowie das Verbot der angesprochenen KI-Praktiken gefordert, vgl. Stellungnahmen Nr. 57/2021; 40/2020, vgl. zum AI Act bereits EiÜ 16/22; 37/21; 14/21). Die Trilogverhandlungen haben noch am Tag der Abstimmung begonnen.
E-Evidence-Verordnung angenommen – EP
Das Plenum des EU-Parlaments stimmte am 13. Juni 2023 über das E-Evidence-Gesetzespaket ab. Sowohl die Verordnung über Beweisanordnungen (E-Evidence-Verordnung) als auch die Richtlinie über gesetzliche Vertreter wurden angenommen (vgl. EiÜ 5/23; 3/22; 41/22). Damit wird es den nationalen Justizbehörden ermöglicht, Diensteanbieter in anderen Mitgliedstaaten direkt zur Herausgabe von Daten sowie Sicherung elektronischer Beweismittel aufzufordern. Werden Inhalts- und Verkehrsdaten angefordert, müssen die Behörden des Vollstreckungsstaates informiert werden. Allerdings sind Ausnahmen von der obligatorischen Notifizierung vorgesehen: der Zugriff auf Teilnehmerdaten wird nicht erfasst, ebenso wie die Konstellation, wenn die Straftat im anordnenden Staat begangen wurde und/oder die Person, um deren Daten ersucht wird, dort ansässig ist. Während der Aussprache im Rahmen der Plenartagung wurden Grundrechts- und Datenschutzbedenken geäußert, insbesondere bzgl. Journalist:innen und Aktivist:innen. Der DAV hat bereits in der Stellungnahme Nr. 42/2018 den Notifizierungsmechanismus bemängelt und seine Kritik an dem E-Evidence-Vorhaben wiederholt (vgl. EiÜ 41/20; 40/19; 13/19; 44/18). Mit der ausstehenden Bestätigung durch den Rat wird das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen, sodass die Verordnung 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten kann.
Noch Änderungsbedarf bei Übertragung von Strafverfahren – DAV
Der Deutsche Anwaltverein begrüßt in seiner Stellungnahme Nr. 41/2023 den Verordnungsentwurf zur Übertragung von Strafverfahren grundsätzlich (s. zum Entwurf EiÜ 13/23), fordert aber noch zahlreiche Nachbesserungen. So droht das begrüßenswerte Antragsrecht der Verteidigung auf Übertragung leerzulaufen, wenn den Behörden keinerlei Verpflichtung zur Bescheidung eines solchen Antrages und Berücksichtigung der darin enthaltenen Argumente auferlegt wird. Grundsätzlich begrüßenswert ist ebenfalls, dass nach dem Entwurf die Interessen von Beschuldigten zu berücksichtigen sind – doch fehlt es an einer genauen Ausgestaltung, wie dieses Interesse berücksichtigt werden muss, an Durchsetzungsmechanismen und an einer Pflicht der Behörde, zu dokumentieren, inwieweit die Interessen der Beschuldigten oder Verdächtigen bei ihrer Entscheidung berücksichtigt worden sind. Kritikwürdig ist aus Sicht des DAV auch, dass lediglich gegen die Annahme der Übertragung, nicht aber gegen deren Ablehnung Rechtsmittel vorgesehen sind. Als nächster Schritt wird der Vorschlag nun in Rat und Parlament verhandelt.
EU-Parlament zieht seine Lehren aus Pandora Papers – EP
Das Berufsgeheimnis solle nicht gelten, wenn die durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte geleistete Rechtsberatung, einschließlich der Steuerberatung, wissentlich zu Zwecken der Geldwäsche, ihren Vortaten oder der Terrorismusfinanzierung erbracht oder von den Mandantinnen und Mandanten zu solchen Zwecken genutzt wird. Was bereits Gegenstand der Geldwäschegesetzgebung ist, forderte das Parlament nochmals in seinem am 15. Juni 2023 im Plenum angenommenen Initiativbericht zu den „Lehren aus den Pandora Papers“ (s. EiÜ 36/22, 13/23). Der Bericht „hebt die Grenzen der Selbstregulierung des Intermediärsektors im nichtfinanziellen Bereich hervor“, ohne diese näher zu bezeichnen, und begrüßt, dass die Kommission im Rahmen der geplanten SAFE-Richtlinie die Regulierung von Intermediären vorbereitet, um die Rolle von Enablern bei der Erleichterung von Steuerhinterziehung und aggressiver Steuerplanung in Angriff zu nehmen (s. dazu EiÜ 36/22, DAV-Stellungnahme Nr. 58/2022). Außerdem müssten die Freiheit, die Vertraulichkeit und das Leben von Journalisten und Whistleblowern besser geschützt werden, um die Aufdeckung von steuerrechtlichen Verstößen, Korruption und Geldwäsche zu ermöglichen, und hierfür die Whistleblower-Richtlinie 2019/1937 umgesetzt werden. Der Initiativbericht wird nun unter anderem der EU-Kommission zur Berücksichtigung vorgelegt.
Pegasus-Bericht: Überwachung stärker regulieren – EP
Der Untersuchungsausschuss zum Einsatz der Spähsoftware Pegasus und ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware hat nach seiner einjährigen Ermittlung am 15. Juni 2023 im Plenum des EU-Parlaments Empfehlungen für künftige Maßnahmen angenommen (vgl. PM). Der Ausschuss wurde im März 2022 durch das EU-Parlament eingesetzt, nachdem bekannt geworden war, dass die Software „Pegasus“ in über 50 Ländern eingesetzt wurde, um unter anderem Anwält:innen auszuspähen. (s. EiÜ 15/22, 23/22, 39/22). Der Bericht enthält neben Appellen an alle EU-Institutionen und Mitgliedstaaten ausdrückliche Aufforderungen u.a. an Polen und Ungarn, den Missbrauch von Spähsoftwares zu verfolgen und die Bindung an rechtsstaatliche Grundsätze in der Justiz wiederherzustellen. Darüber hinaus fordert das EU-Parlament eine strenge Regelung des Handels mit und der Verwendung von Spähsoftwares und stellt für die Mitgliedstaaten Bedingungen zum fortgesetzten Einsatz der Softwares auf. Zudem müsse die Durchsetzung bestehender Rechtsnormen verbessert, und der Begriff der „nationalen Sicherheit“ abgesteckt werden, um eine missbräuchliche Rechtfertigung der Ausspähung zu vermeiden. Der Bericht soll der EU-Kommission nun mit der Forderung vorgelegt werden, auf Grundlage der Empfehlung Legislativvorschläge vorzulegen.
Weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen – KOM
Die EU-Kommission hat wegen des neuen polnischen Gesetzes zur Prüfung von russischer Einflussnahme in die inneren Angelegenheiten Polens ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen initiiert und ein Aufforderungsschreiben an das Land gerichtet (vgl. Pressemitteilung). Das Gesetz sieht einen neuen staatlichen Ausschuss vor, der den Einfluss Russlands auf die innere Sicherheit Polens zwischen den Jahren 2007 und 2022 prüfen soll. Kritiker:innen befürchten, dass das Gesetz dazu genutzt wird, unliebsame Opposition von der politischen Teilhabe abzuhalten. Nach Ansicht der EU-Kommission verstößt Polen mit dem neuen Gesetz unter anderem gegen den Demokratiegrundsatz, die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und des Rückwirkungsverbots von Sanktionen (Art. 49 EU-Grundrechtecharta) sowie gegen das Berufsgeheimnis (Art. 7 EU-GRCh). Bemängelt wird auch, dass keine Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Vorwürfe des Ausschusses vorgesehen sind, von denen oftmals eine sehr rufschädigende Wirkung ausgehen dürfte. Polen hat nun 21 Kalendertage Zeit, um auf das Schreiben zu antworten und auf die Vorwürfe einzugehen. Im Zuge der sogenannten Justizreform in Polen wurden bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren geführt, vgl. EiÜ 6/23; 43/22; 41/20.
Keine Prüfung von Verstößen gegen EU-Umweltrecht von Amts wegen – EuGH
Mitgliedstaaten können in den nationalen Verfahrensvorschriften regeln, dass bei Verstößen gegen das Unionsumweltrecht die Beteiligten eines Rechtsstreits die Gründe sowie Umstände eines solchen Verstoßes genau angeben müssen. Dies geht aus dem Urteil des EuGH vom 15. Juni 2023 zum Vorabentscheidungsverfahren in der Rs. C-721/21 hervor. Nach dem Ersuchen des irischen High Courts soll im Zusammenhang mit der Erteilung einer Genehmigung auf Grundlage einer Prüfung nach der Umweltverträglichkeitsprüfungs-Richtlinie beantwortet werden, ob innerstaatliche Gerichte Verletzungen des EU-Umweltrechts von Amts wegen aufgreifen können. Die Generalanwältin Juliane Kokott hatte in ihren Schlussanträgen das Bestehen dieser Befugnis verneint (s. EiÜ 2/23). Im konkreten Fall haben die Verfahrensbeteiligten entgegen den Anforderungen des irischen Rechts, das zur deutlichen Darlegung der Klagegründe im schriftlichen Vorbringen verpflichtet, nicht näher ausgeführt, gegen welche Bestimmung des EU-Rechts verstoßen wurde. Der EuGH sieht es für nationale Verfahrensvorschriften als zulässig an, solche Anforderungen zu stellen, insoweit sie mit dem Effektivitäts- und Äquivalenzgrundsatz vereinbar sind. Die Einschränkung, in der mündlichen Verhandlung keine anderen Gründe geltend zu machen als im bisherigen Parteivorbringen angegeben, sei demnach zulässig.
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