Europa im Überblick, 24/2022

EiÜ 24/2022

Diskussion über den EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht– EP

Bei einer gemeinsamen öffentlichen Anhörung des Ausschusses für konstitutionelle Fragen (AFCO) sowie des Innenausschusses (LIBE) am 20. Juni 2022 wurde die fundamentale Rolle einer unabhängigen Justiz für die Rechtsstaatlichkeit betont. Die EU-Abgeordneten, verschiedene Gastredner sowie ein Vertreter der EU-Kommission zogen Bilanz und diskutierten über die durch die beiden Ausschüsse des EU-Parlaments durchgeführte Studie (in Englisch), die sich kritisch mit dem jährlichen Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission auseinandersetzt. Die Studie mahnt einen umfassenderen Ansatz bei der Evaluierung der Rechtsstaatlichkeit an, der sich auf alle in Art. 2 EUV enthaltenen Werte erstrecken sollte. Bereits im April wurden Verbesserungsvorschläge hinsichtlich des Umgangs mit der Evaluierung und der Reaktion auf Rechtsstaatlichkeitsverstöße im EU-Parlament diskutiert, vgl. EiÜ 15/22. In der jetzigen Debatte wurde abermals die fundamentale Bedeutung der Unabhängigkeit der Justiz hervorgehoben. Für die Zukunft wurde das Bestreben geäußert, die Schutzmechanismen weiter auszubauen und vom politischen Willen einzelner Organe oder Mitgliedsstaaten zu lösen. Der DAV setzt sich kontinuierlich für die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit und hierbei insbesondere auch für die freie und unabhängige Berufsausübung von Rechtsanwält:innen ein (vgl. Stellungnahme Nr. 59/21; in Englisch).

Verhandlungen über globale Mindestbesteuerung stocken – EP/Rat

Im Rahmen der Plenarsitzung des EU-Parlaments am 23. Juni 2022 haben EU-Abgeordnete in einer Aussprache kritisiert, dass einzelne Mitgliedsstaaten die Verhandlungen über die globale Mindestbesteuerung blockieren. Der Rat hatte am 16. Juni 2022 einen Kompromissvorschlag in Bezug auf den Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung von multinationalen Unternehmen vorgelegt (vgl. EiÜ 11/22; 16/22). Das EU-Parlament hatte seinen Bericht bereits Anfang Mai vorgelegt und fordert in Abweichung zum Kommissionsvorschlag eine Klausel zur Überprüfung der jährlichen Einkommensschwelle sowie weitere Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidung, die der Rat allerdings nicht unterstützt. Aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips bei Steuerangelegenheiten kann ein einzelner EU-Mitgliedsstaat mit einem Veto die Ratsposition blockieren. Nachdem Polen seinen Widerstand aufgegeben hatte, verhindert momentan Ungarn, dass der Rat seine Verhandlungsposition festlegen kann.

Reaktionen auf Konferenz zur Zukunft Europas – Europäischer Rat/KOM

Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben am 23. Juni 2022 Schlussfolgerungen zur Konferenz zur Zukunft Europas angenommen. Der Europäische Rat weist dabei allerdings lediglich darauf hin, dass die Arbeiten an wirksamen Folgemaßnahmen zu den Ergebnissen der Konferenz bereits begonnen haben und es wichtig sei, die Bürgerinnen und Bürger über die Folgemaßnahmen zu informieren. Auch der Rat befasste sich in seiner Sitzung vom 21. Juni 2022 erstmals mit den Vorschlägen des Abschlussberichts. Die EU-Kommission erklärte bereits am 17. Juni 2022 in einer Mitteilung (in Englisch), dass sie die Forderungen nach ihrem besten Willen unterstützen werde. Die Konferenz zur Zukunft Europas begann am 9. Mai 2021 und endete nach einem Jahr mit Vorlage des Schlussberichts der 49 Forderungen enthält (vgl. EiÜ 17/22, 18/22). Diese umfassen u.a. eine stärkere Einbeziehung der Bevölkerung und die Einberufung eines Konvents zur Änderung der Verträge. Im Herbst 2022 soll eine weitere Konferenz stattfinden, die dem zusätzlichen Austausch zum Abschlussbericht der Konferenz dient.

Umfassende Prüfungspflicht bei Abschiebehaft – EuGH

Generalanwalt Richard de la Tour vertritt in seinen Schlussanträgen vom 21. Juni 2022 in den verbundenen Rs. C-704/20 und C-39/21 die Position, dass sämtliche Voraussetzungen für eine Abschiebehaft zu prüfen sind, unabhängig von den in der Klage des Betroffenen vorgebrachten Gründen. Anderslautende Verfahrensregelungen sind mit dem Unionsrecht unvereinbar. Hintergrund sind Vorlagefragen des niederländischen Staatsrats und des Bezirksgerichts Den Haag zur richterlichen Prüfungspflicht im Rahmen der Rechtmäßigkeit von Abschiebehaft. Der Generalanwalt argumentiert, die Prüfungspflicht ergebe sich aus der Auslegung des sekundären Unionsrechts im Lichte der Art. 6 und 47 der EU-Grundrechtecharta. Die Voraussetzungen und Bedingungen für die Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen werden insbesondere in der Rückführungsrichtlinie, der Aufnahmerichtlinie sowie der Dublin-III-Verordnung geregelt. Der Wesensgehalt des Rechts auf Freiheit sowie des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf wären verletzt, wenn ein Gericht nicht von Amts wegen sämtliche Haftvoraussetzungen und -umstände prüfen und bei etwaigen Verstößen die Freilassung anordnen dürfte. Eine Beschränkung auf die vom Kläger geltend gemachten Klagegründe und Argumente sei mit dem Effektivitätsgrundsatz nicht zu vereinbaren. Der EuGH ist an die Schlussanträge nicht gebunden, das Urteil wird in wenigen Monaten folgen.

Fluggastdaten-Massenüberwachung nur bei absoluter Notwendigkeit – EuGH

Die Fluggastdatenrichtlinie (EU) 2016/681 greift in das Recht auf Privatleben und Datenschutz (Art. 7, 8 EU-Grundrechtecharta) ein und muss daher auf das „absolut Notwendige“ beschränkt werden. Das entschied der EuGH am 21. Juni 2022 in einem Vorabentscheidungsverfahren (Rs. C-817/19, in Französisch) des belgischen Verfassungsgerichtshofs (siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella vom 27. Januar 2022; vgl. EiÜ 3/22). Dem EuGH wurde ein Ersuchen vorgelegt, in welchem die belgische Liga für Menschenrechte eine Verletzung der europäischen Grund- und Datenschutzrechte durch die PNR-Richtlinie geltend machen will. Diese sieht zur Bekämpfung von Terrorismus eine umfassende Speicherung und undifferenzierte, automatische Verarbeitung von Fluggastdaten innerhalb der EU vor. Der EuGH hat nun entschieden, dass die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie nur bei absoluter Notwendigkeit angewendet werden darf. Es muss eine reale, aktuelle oder vorhersehbare terroristische Bedrohung eines EU-Mitgliedsstaats vorliegen, die objektiv mit der Beförderung von Fluggästen zusammenhängt.

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