Europa im Überblick, 24/2024

EiÜ 24/24

Chatkontrolle: Keine allgemeine Ausrichtung erzielt – Rat

Am 20. Juni sollte im Rat über die CSAM-Verordnung (sog. Chatkontrolle) im Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern abgestimmt werden. Laut der belgischen Ratspräsidentschaft habe sich abgezeichnet, dass keine ausreichende Mehrheit erreicht werden würde, weshalb der Punkt kurzfristig von der Tagesordnung gestrichen wurde. Der Verordnungsentwurf soll digitale Dienstanbieter dazu verpflichten, Online-Kommunikation anlasslos auf strafbare Inhalte zu scannen und dabei die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messenger-Diensten zu umgehen. Als Kompromiss für diese Chatkontrolle wurde in den Verhandlungen eine „Upload-Moderation“ vorgeschlagen. Der Nutzer soll dabei in das Scannen seines Bildmaterials freiwillig einwilligen können. Ohne diese Zustimmung wäre nach dem Vorschlag das Teilen von Bildern, Videos oder URLs allerdings nicht mehr möglich. Der DAV hat die Unvereinbarkeit der geplanten Verordnung mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union bereits in der Vergangenheit scharf kritisiert (vgl. PM 45/22 und 18/23, EiÜ 5/24 ,16/23; 18/22) und begrüßt daher die Vertagung der Abstimmung. Die völlige Anlasslosigkeit des Scannens und der faktische Zwang, sich der Massenüberwachung vollständig zu unterwerfen, könnten vor dem EuGH nur schwer Bestand haben. Es bleibt abzuwarten, ob unter der kommenden ungarischen Ratspräsidentschaft eine Einigung zwischen den EU-Staaten erzielt werden kann.

Untersuchung zur Prozessfinanzierung in Form einer „Mapping Study“ – KOM

Im Jahre 2022 hat das Europäische Parlament einen Initiativbericht zur Thematik der verantwortungsbewussten privaten Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten durch Dritte veröffentlicht und der EU-Kommission darin empfohlen, eine Richtlinie zur Festlegung gemeinsamer Mindeststandards auf Unionsebene vorzulegen. Als Reaktion hat die EU-Kommission nun eine sogenannte „Mapping Study“ zur Aufnahme der bisherigen Regulierungslandschaft für Prozessfinanzierer in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der Studie werden von den Dienststellen der EU-Kommission zur Vorbereitung künftiger politischer Entscheidungen genutzt, was auch einen möglichen Gesetzgebungsvorschlag einschließen könnte. Die Umfrage („Stakeholder Survey on Third Party Litigation Funding in the European Union“), die von Civic Consulting und dem British Institute for International and Comparative Law (BIICL) durchgeführt wird, steht allen relevanten Akteuren bis zum 6. August 2024 offen.

Ungarische Ratspräsidentschaft: Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit – Rat

Am 1. Juli 2024 übernimmt Ungarn von Belgien für 6 Monate die Präsidentschaft im Rat der EU und hat hierzu sein Arbeitsprogramm vorgestellt. Ein Fokus bei der Fortführung der Arbeiten des Rates soll im Wahljahr 2024 auf der Umsetzung der strategischen Agenda 2024-2029 liegen. Ein allgemeiner Schwerpunkt ist die Wettbewerbsfähigkeit der EU, in dessen Rahmen der „New European Competitiveness Deal“ ausgearbeitet werden soll. Eine weitere Priorität ist erwartungsgemäß der Kampf gegen illegale Migration durch Abkommen mit Drittstaaten und einer effektiven Rückführungspolitik. Das Thema der Rechtsstaatlichkeit nimmt im ungarischen Programm wenig Raum ein. Bezüglich des Binnenmarktes soll das Gesetzgebungsverfahren zum Zahlungsverzug (vgl. DAV-SN Nr. 76/23 und EiÜ 12/24) weitergeführt und sich auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt werden. Im Bereich Justiz und Inneres beinhaltet das Programm neben der Stärkung der europäischen Außengrenzen und der Fortführung des CSAM-Gesetzgebungsverfahren ( siehe obenstehenden Artikel sowie DAV-SN Nr. 32/23) sowie des Gesetzgebungsverfahrens zur Harmonisierung des Insolvenzrechts (DAV-SN Nr. 06/24) einen Fokus auf der Förderung justizieller Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Fällen. Hierbei werden vor allem die Kooperation in Zivilsachen und die Digitalisierung im Bereich „E-Justice“ bezüglich relevanter KI-Systeme für die Anwaltschaft hervorgehoben.

Befragung: 7 Rahmenbeschlüsse „lissabonisieren“? – KOM

Die EU-Kommission hat im Rahmen einer Studie zur möglichen „Lissabonisierung“ des Aquis der Dritten Säule im Bereich der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen eine Befragung von Interessenträgern in Auftrag gegeben. Diese erfasst sieben Rahmenbeschlüsse der gegenseitigen Anerkennung in Strafsachen, z.B. den Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl. Mithilfe der Befragung sollen praktische Problem in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Strafsachen evaluiert werden und die Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen untersucht werden. Rahmenbeschlüsse stammen aus der Zeit vor dem Vertrag von Lissabon und sind nicht unmittelbar wirksam, die Art und Weise der Umsetzung liegt zudem im Ermessen der Mitgliedstaaten. Zudem war an ihrem Erlass das Europäische Parlament nicht beteiligt. Interessenträger, darunter Rechtsanwält:innen, sind bis zum 31. Juli 2024 zur Beantwortung des Fragebogens aufgerufen. Der Fragebogen ist in englischer Sprache verfasst, akzeptiert werden jedoch Antworten in allen EU-Sprachen. Die Beantwortung kann anonym erfolgen und es kann zu Beginn der Umfrage individuell ausgewählt werden, zu welchem der sieben Rahmenbeschlüsse geantwortet wird.

Allgemeine Ausrichtung im Kampf gegen Greenwashing beschlossen – Rat

Am 17. Juni 2024 hat der Rat der EU seine allgemeine Ausrichtung zur Richtlinie über umweltfreundlichere Werbeaussagen (sog. Green Claims Directive) festgelegt (vgl. englische PM). Nachdem die EU-Kommission den Richtlinienvorschlag im März 2023 vorgelegt hatte (vgl. EiÜ 11/23), hat sich das EU-Parlament dazu im März 2024 positioniert (vgl. EiÜ 12/24). Die Richtlinie setzt Mindestanforderungen an die Begründung, Kommunikation und Überprüfung von Umweltaussagen und -zeichen fest und soll Greenwashing bekämpfen. Umweltaussagen sollen klar und leicht verständlich sein und ausreichende und evidenzbasierte Informationen über die Umwelteigenschaften von Produkten, wie etwa Haltbarkeit oder Recyclingfähigkeit aufweisen, um Verbraucher:innen tatsachenbasierte, umweltfreundliche Entscheidungen zu ermöglichen. Umweltaussagen sollen vor Veröffentlichung grundsätzlich von unabhängigen Expert:innen geprüft werden, wobei ein vereinfachtes Verfahren ausnahmsweise vorgesehen ist. Die allgemeine Ausrichtung des Rates sieht nun strengere Beweisvorschriften für Umweltaussagen vor. Davon umfasst sind auch solche, die auf Emissionszertifikaten basieren. Danach müssen Unternehmen Informationen über Art und Menge sowie zeitliche Begrenzungen solcher Emissionszertifikate liefern. Auf Grundlage dieser allgemeinen Ausrichtung können die Trilogverhandlungen mit dem EU-Parlament nun beginnen.

Zur gegenseitigen Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft – EuGH

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 18. Juni 2024 in zwei Vorlageverfahren aus Deutschland Entscheidungen zur Wirkung der Anerkennung als Flüchtling in einem Mitgliedstaat auf Verfahren in anderen Mitgliedstaaten getroffen. In dem durch das BVerwG vorgelegten Fall C-753/22 konnte der Antrag auf internationalen Schutz eines Antragstellers, dem zuvor in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war, aufgrund der dortigen Umstände nicht für unzulässig erklärt werden. Nach dem EuGH ist in einem solchen Fall die mit dem zweiten Antrag befasste Behörde nicht verpflichtet, diesem automatisch aufgrund der zuvor im anderen Mitgliedstaat erfolgten Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft stattzugeben, sie muss aber eine erneute individuelle Prüfung vornehmen und dabei die Beweggründe der Behörde des anderen Mitgliedstaats vollumfänglich berücksichtigen. Im Fall C-352/22 (vgl. zu den Schlussanträgen bereits EiÜ 35/23) stellte der EuGH klar, dass ein Mitgliedstaat einen Drittstaatsangehörigen nicht an sein Herkunftsland ausliefern darf, wenn ihm von einem Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde. Solange dieser Status nicht aberkannt wurde, dürfe die Auslieferung nicht erfolgen, da dies gegen die Schutzrechte nach Art. 21 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU in Verbindung mit Art. 18 und Art. 19 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU verstoßen würde.

Zum immateriellen Schadensersatz bei Datenmissbrauch – EuGH

Mit zwei deutschen Vorabentscheidungsersuchen zum Schadensersatz gem. Art. 82 Abs. 1 Datenschutz-Grundverordnung bei Datenmissbrauch hatte sich der EuGH am 20. Juni 2024 zu befassen. In einer Vorlage des AG Wesel (C-590/22) hatte eine Steuerberaterkanzlei versehentlich Steuererklärungen zweier Mandanten trotz Information über deren neue Adresse an die alte Adresse gesandt – die neuen Bewohner öffneten die Briefe, ob sie auch inhaltlich Kenntnis nahmen, blieb allerdings unklar. Der EuGH befand, dass die Befürchtung einer Person, dass ihre personenbezogenen Daten an Dritte weitergegeben wurden, ohne dass nachgewiesen werden kann, dass dies tatsächlich der Fall war, ausreicht, um einen Schadenersatzanspruch zu begründen, sofern diese Befürchtung samt ihrer negativen Folgen ordnungsgemäß nachgewiesen ist. In einer Vorlage des AG München (verb. Rs. C‑182/22 und C‑189/22) hatten sich Unbefugte Zugang zu den Daten von Anlegern auf einer Trading-App eines Vermögensverwalters verschafft. Hier entschied der EuGH, dass zwar ein Kontrollverlust über die Daten, nicht aber ein Missbrauch mit konkreten Schadensfolgen nachweisbar war. Lediglich den Ausgleich eines Schadens bezwecke aber der Anspruch auf immateriellen Schadensersatz nach DSGVO, nicht eine Genugtuung für die Betroffenen oder eine Abschreckung oder Straffunktion wie in Art. 83 und 84 DSGVO, vgl. auch EiÜ 15/24.

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