JUNCKER: EUROPA MUSS WIEDER AN EINEM STRANG ZIEHEN – KOM/EP
In seiner Rede zur Lage der Union hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die EU-Organe sowie die nationalen Regierungen und Parlamente aufgerufen, an einem Strang zu ziehen, um die europäische Einheit zu verteidigen. Juncker schlägt daher eine positive Agenda konkreter europäischer Maßnahmen für die nächsten 12 Monate vor. Ein zentrales Anliegen sei dabei weiterhin der Kampf gegen Sozialdumping und Steuerumgehungen sowie ein modernes Urheberrecht. Auch in den Ausbau der digitalen Infrastruktur möchte die Juncker-Kommission investieren: Bis 2020 sollen die wichtigsten öffentlichen Orte in Europa mit kostenlosem WLAN ausgestattet und bis 2025 das mobile Internet europaweit auf den Stand der fünften Generation (5G) ausgebaut werden (vgl. Aktionsplan). Innenpolitisch möchte Juncker einen Schwerpunkt auf den Schutz der Außengrenzen und einen besseren Informationsaustausch bei der Terrorismusbekämpfung setzen (s. Mitteilung COM(2016) 602).
VORSCHLÄGE FÜR EIN MODERNES URHEBERRECHT – KOM
Anlässlich der Rede zur Lage der Union stellte die EU-Kommission am 14. September 2016 auch ihr lange angekündigtes Urheberrechtspaket vor (vgl. auch umfassende Mitteilung). Dieses umfasst einerseits den Vorschlag COM(2016) 593 für eine neue Urheberrechtsrichtlinie, welche den Zugang zu kreativen Inhalten harmonisieren und vereinfachen soll. Dieser umfasst zudem EU-weite Ausnahmen von urheberrechtlichen Schranken zu Gunsten von Bildungs-, Forschungs- und gemeinnützigen Einrichtungen. Er beschäftigt sich auch mit der Einführung eines europäischen Leistungsschutzrechts für Presseverleger, sodass Verlage und Urheber einen gerechten Anteil an dem mit ihren Inhalten erwirtschafteten Gewinn erhalten. Verlinkungen bleiben allerdings weiterhin kostenfrei. Außerdem hat die Kommission einen Verordnungsvorschlag COM(2016) 594 bzgl. Online-Übertragungen und der Weiterverbreitung von Fernseh-, Rundfunk- und Hörfunkprogrammen veröffentlicht, mit dem u.a. Mediathekeninhalte einfacher grenzüberschreitend zugänglich gemacht werden sollen. Zur Umsetzung des Marrakesch-Vertrages hat die Kommission den Verordnungsentwurf COM(2016) 595 und den Richtlinienvorschlag COM(2016) 596 zu Gunsten blinder oder sehbehinderter Personen veröffentlicht.
NEUER KOMMISSAR, NEUES PORTFOLIO – KOM
Nach der Entscheidung zum „Brexit“ und dem Rücktritt des Finanzkommissars Jonathan Hill hat sich das EU-Parlament am 15. September für die Ernennung des Briten Sir Julian King zum neuen Kommissar des Vereinigten Königreichs ausgesprochen. Nun können die Mitgliedstaaten im Rat die Ernennung formell vornehmen. King erhält ein neues Portfolio und wird Kommissar für die Sicherheitsunion. Auf Kings Agenda, die sich an der Mitteilung COM(2016) 230 der Kommission (s. auch EiÜ 15/16) orientiert, steht die Optimierung der Nutzung bestehender Instrumente zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Daneben möchte die Kommission bereits beschlossene sicherheitspolitische Maßnahmen wirksam umsetzen, indem sie Mitgliedstaaten technisch und operativ unterstützt, erforderlichenfalls aber auch Vertragsverletzungsverfahren einleiten. King nennt in diesem Zusammenhang etwa die PNR-Richtlinie zur Speicherung von Fluggastdaten (s. auch EiÜ 15/16, 14/16, 42/15, 26/15). Zudem strebt King eine zügige Einigung über die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung mit Fokus auf präventive Maßnahmen sowie verstärkte Investitionen in die Cybersicherheit an.
STRAFFÄLLIGE DRITTSTAATSANGEHÖRIGE: KEINE AUSWEISUNG BEI SORGERECHT – EuGH
Straffällig gewordene Drittstaatsangehörige dürfen nicht ausgewiesen werden, wenn sie allein für ein Kind sorgeberechtigt sind, das EU-Bürger ist. Dies entschied der EuGH am 13. September 2016 (Rs. C-165/14 und C-304/14). Der minderjährige EU-Bürger habe unabhängig von der Anwendbarkeit der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG gemäß Art. 20 AEUV das Recht, sich frei im Unionsgebiet zu bewegen und aufzuhalten. Dieses Recht des Kindes würde jedoch beschränkt, wenn der sorgeberechtigte Drittstaatsangehörige das Unionsgebiet verlassen müsste. Der sorgeberechtigte Drittstaatsangehörige verfügt damit über ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Dessen Einschränkung – so der EuGH – sei zwar aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausnahmsweise möglich, allerdings nur in Fällen einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Allein aufgrund einer Vorstrafe könne hierauf aber nicht geschlossen werden.
VERBRAUCHERSAMMELKLAGEN ZUM DATENSCHUTZ? – EUGH
Der Oberste Gerichtshof Österreichs (OGH; 6 Ob 23/16z) hat dem EuGH am 12. September 2016 die Frage vorgelegt, ob und inwiefern Sammelklagen zur Rüge von Datenschutzverletzungen zulässig sind. Geklagt hatte erneut der Österreicher Max Schrems gegen die Datenschutzbestimmungen von Facebook (s. EiÜ 32/15). Der EuGH hat zu klären, ob Schrems neben seinem eigenen Begehren auch inhaltlich gleichgerichtete, an ihn abgetretene Ansprüche anderer europäischer Facebook-Nutzer vor Gericht geltend machen kann. „Sammelklagen“ sind nach österreichischem Recht in bestimmtem Umfang möglich (vgl. die Auseinandersetzung des OGH in 3 Ob 275/04v). Fraglich ist, ob auch der anwendbare Art. 16 der Brüssel I-Verordnung eine solche Klage ermöglicht. Der EuGH muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob der Kläger noch immer „Verbraucher“ i.S.d. Verordnung ist, so er im Rahmen der Durchsetzung seiner Rechte auch finanzielle Vorteile in Form von Spenden, bezahlten Vorträgen und publizierten Büchern generiert. Problematisch erscheint dem OGH zudem, ob die Verbrauchereigenschaft mit dem Versprechen, den Zedenten nach Abschluss des Prozesses einen Prozesserfolg zukommen zu lassen, vereinbar ist.
RECHTSAUSSCHUSS KRITISIERT JAHRESBERICHT ZUR KONTROLLE DER ANWENDUNG DES EU-RECHTS – EP
Am 5. September 2016 hat der Rechtsausschuss (JURI) des Europäischen Parlaments den Initiativbericht (s. Berichtsentwurf) zur Kontrolle der Anwendung des EU Rechts der Berichterstatterin Heidi Hautala (Verts/ALE), der zum 32. Jahresbericht 2014 der Kommission (s. EiÜ 25/15) Stellung nimmt, angenommen. Darin begrüßt der Ausschuss zwar den Rückgang der formellen Vertragsverletzungsverfahren in den letzten fünf Jahren. Allerdings zeige der Anstieg der Anzahl neuer EU-Pilot-Verfahren in dem untersuchten Zeitraum, dass die Durchsetzung von EU-Recht intransparent und ohne echte Kontrolle erfolge. Zudem wird kritisiert, dass das Parlament trotz wiederholter Aufforderungen an die Kommission noch immer über keinen angemessenen Zugang zu Informationen über EU-Pilot-Verfahren verfüge. Der Ausschuss bedauert insbesondere, dass auf seine Forderung nach verbindlichen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen kein Vorschlag der Kommission folgte. Der Rechtsausschuss hatte bereits im März 2010 eine neue Arbeitsgruppe zum EU-Verwaltungsrecht eingerichtet, die am 11. Januar 2016 einen Entwurf für eine Verordnung über das Verwaltungsverfahren der Union vorgelegt hat (s. EiÜ 02/16).
WLAN-ANBIETER HAFTET NICHT FÜR URHEBERRECHTSVERLETZUNGEN DER NUTZER – EUGH
Ein Gewerbetreibender, der der Öffentlichkeit kostenlos ein WLAN-Netzwerk zur Verfügung stellt, ist für Urheberrechtsverletzungen eines Nutzers nicht verantwortlich. Dies hat der EuGH am 15. September 2016 in der Rs. Mc Fadden (C-484/14) geurteilt. Im zugrunde liegenden Fall hatte der Beklagte, der gewerblich Tontechnikanlagen verkauft, ein WLAN-Netzwerk betrieben, das er – ohne es durch ein Passwort zu schützen – unentgeltlich öffentlich zur Verfügung stellte. Über dieses Netz wurde ein urheberrechtlich geschütztes Werk unberechtigt zum Herunterladen angeboten. Den Schlussanträgen von Generalanwalt Szepunar folgend stellte der EuGH fest, dass die kostenlose Zurverfügungstellung des Netzwerks als Nebentätigkeit zur beruflichen Tätigkeit des Beklagten ein „Dienst der Informationsgesellschaft“ im Sinne der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG sei. Es greife jedoch der Haftungsausschuss nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, so dass kein Anspruch des Urheberrechtsinhabers auf Schadenersatz und Ersatz der Anwaltskosten für Abmahnungen gegen den Netzwerkanbieter. Der EuGH nimmt jedoch eine wichtige Einschränkung vor: Dem Urheberrechtsinhaber bleibe es unbenommen, eine strafbewehrte gerichtliche Unterlassungsanordnung zu beantragen, die auch die Pflicht zur Einführung eines Passwortschutzes umfassen könne. WLAN-Betreiber sollen demnach auch verpflichtet werden können, vor der Herausgabe des WLAN-Passworts einen Identitätsnachweis zu verlangen.
EIÜ-BEZUG – HINWEISE
Zum Bezug der EiÜ genügt eine Nachricht an bruessel@eu.anwaltverein.de unter Angabe des örtlichen Anwaltvereins. Die EiÜ ist auch abrufbar unter: http://www.anwaltverein.de/leistungen/europa-im-ueberblick. Für einen französischen oder spanischen Überblick über anwaltsrelevante EU-Themen („Europe en bref“ bzw. „Europa en breve“) wenden Sie sich bitte an unsere Kollegen von der Délégation des Barreaux de France unter dbf@dbfbruxelles.eu bzw. vom Consejo General de la Abogacía Española unter bruselas@abogacia.es. Der Newsletter des Rats der europäischen Anwaltschaften CCBE kann hier abonniert werden: http://www.ccbe.eu/index.php?id=9&L=0. Sie finden uns auch auf Twitter: GermanBarAssociation @DAVbxl.
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