BEGLAUBIGUNG öFFENTLICHER URKUNDEN NUR DURCH NOTARE – EUGH
Eine Regelung, nach der die Beglaubigung von Unterschriften auf den zur Schaffung oder Übertragung von Rechten an Liegenschaften erforderlichen Urkunden Notaren vorbehalten ist, verstößt nach Ansicht des Generalanwalts Szpunar weder gegen die Dienstleistungsrichtlinie für Rechtsanwälte 77/249/EWG noch gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV. Dies ergibt sich aus seinen Schlussanträgen vom 21. September 2016 zur Rechtssache Piringer (C‑342/15). Im zugrundeliegenden Fall wies das österreichische Grundbuchgericht einen Antrag auf Bewilligung einer Eintragung ins Grundbuch zurück, da die Echtheit der Unterschrift nicht von einem Notar, sondern von einem tschechischen Rechtsanwalt beglaubigt worden war. Die notarielle Beurkundung, so der Generalanwalt, gewährleiste die Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit von Akten und sei ein wichtiger Beitrag zur Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Zwar könnte man die Beglaubigung von Unterschriften auch Nicht-Notaren überlassen, da diese Aufgabe keinerlei Rechtskenntnisse voraussetze. Allerdings solle inländischen Notaren die Beglaubigung vorbehalten bleiben, da diese unter einer leistungsfähigen und wirksamen staatlichen Kontrolle stünden und insofern eine erhöhte Vertrauensstellung bei den Gerichten innehätten. Das System zur Überwachung der tschechischen Rechtsanwälte enthalte dagegen keine hinreichenden Garantien, die mit den Kontrollen der Notare in den Ländern des Notariats lateinischer Prägung vergleichbar wären.
ANWALTLICHER BEISTAND BEI VERNEHMUNGEN – EGMR
In welchen Fällen darf das Recht eines Verdächtigen auf anwaltlichen Beistand beschränkt werden? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte setzte sich mit dieser Frage am 13. September 2016 in der Rechtssache Ibrahim u.a./Vereinigtes Königreich (Beschwerdenr. 50541/08; 50571/08; 50573/08; 40351/09) auseinander. Drei der vier Kläger waren wegen des Vorwurfs der Beteiligung an versuchten Terroranschlägen in London 2005 festgenommen worden. Auf Grund der prekären Sicherheitslage in der konkreten Situation wurden sie einer sofortigen Sicherheitsbefragung unterzogen. Diese fand ohne anwaltlichen Beistand statt. Der EGMR entschied hierzu, dass dieser in Ausnahmefällen, falls durch besondere Gründe gerechtfertigt, verzögert werden könne. Sofern, wie in diesem Fall, die nationalen Rechtsvorschriften beachtet würden, sei keine Verletzung der EMRK festzustellen. Der vierte Antragsteller war hinsichtlich der versuchten Anschläge zunächst als Zeuge vernommen worden. Seine Aussagen rechtfertigten allerdings die Annahme, dass er selbst an den Anschlägen beteiligt gewesen sei. Dennoch wurde auch ihm zunächst kein anwaltlicher Beistand zuteil. Auch eine entsprechende Belehrung blieb aus. Der EGMR äußerte sich dahingehend, dass in diesem Fall die notwendigen besonderen Gründe für eine Verzögerung nicht mehr bestanden hätten. Sie sei demzufolge nicht gerechtfertigt und stelle eine Verletzung des Rechts auf anwaltlichen Beistand nach Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK dar.
ERSTE BILANZ ZUR AGENDA ZUR BESSEREN RECHTSSETZUNG – KOM
Die Kommission hat am 14. September 2016 eine erste Bilanz hinsichtlich ihrer Agenda zur besseren Rechtsetzung vom 19. Mai 2015 gezogen. Durch die Agenda soll das EU-Gesetzgebungsverfahren transparenter und bürgerfreundlicher gestaltet werden und nur dort eine unionsweite Regelung erlassen werden, wo dies aufgrund eines besonders hohem EU- Mehrwertes angezeigt ist, etwa in Themen wie Migration, Sicherheit und Klimawandel (siehe dazu die 10 politischen Prioritäten der Europäischen Kommission). Seit 2003 wurden 688 Evaluationen durchgeführt und 704 öffentliche Konsultationen abgehalten. Zudem wurde 2015 die REFIT-Plattform, ein Gremium mit Vertretern der Zivilgesellschaft, geschaffen, die Vorschläge für bessere Rechtsetzung erarbeiten soll. Um Bürokratie und regulatorische Hindernisse abzubauen, wurde bereits 2002 das REFIT-Programm (Programm zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung) geschaffen. Die Arbeitsprogramme für 2015 und 2016 enthielten jeweils nur 23 neue Initiativen (100 Initiativen 2014). In den vergangenen zwei Jahren wurden außerdem 90 Gesetzgebungsvorschläge zurückgezogen und 32 überholte Rechtsvorschriften abgeschafft. Der eingeschlagene Kurs soll auch für das Jahr 2017 beibehalten werden.
SACHAROW-PREIS 2016: BEKANNTGABE DER NOMINIERUNGEN – EP
Um der Achtung der Menschenrechte in der EU und international mehr Aufmerksamkeit zu verleihen, verleiht das EU-Parlament seit 1988 jährlich den Sacharow-Preis für geistige Freiheit. Nunmehr sind die Nominierungen für das Jahr 2016 veröffentlicht worden. Nach Raif Badawi, Preisträger 2015, (s. EiÜ 29/15) stehen nun fünf Personen zur Wahl. Can Dündar, ehemals Chefredakteur der türkischen Tageszeitung „Cumhuryet“, wurde festgenommen, als seine Zeitung Berichte veröffentlichte, wonach der türkische Geheimdienst Waffen an syrische Rebellen schmuggle. Mustafa Dschemilew war lange Zeit Vorsitzender der mittlerweile verbotenen „Medschlis“ der Krimtataren. Auch im ukrainischen Parlament engagiert er sich seit langem für Menschen- und Minderheitenrechte. Als Verfechterinnen der Rechte der jesidischen Gemeinschaft wurden Nadia Murad Basee und Lamiya Aji Bashar nominiert. Besonders das Schicksal der von Seiten des IS verschleppten und versklavten Frauen, zu denen sie selbst bis vor ihrer Flucht zählten, ist ihnen ein Anliegen. Zuletzt ist Ilham Tohti als Vorkämpfer für die Rechte der Uiguren nominiert. Er wurde nach der Gründung der Webseite „Uyghur Online“ wegen „Separatismus“ von einem chinesischen Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 11. Oktober werden drei Finalisten im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung von Außen- und Entwicklungsausschuss ausgewählt. Das endgültige Ergebnis wird am 27. Oktober im Rahmen der Präsidentenkonferenz bekannt gegeben.
KEINE DROGENSUBSTITUTION IN HAFT: DEUTSCHLAND VERURTEILT – Egmr
Die Ablehnung einer Ersatzbehandlung mit Methadon kann eine unmenschliche Behandlung nach Art. 3 EMRK darstellen. Dies befand am 1. September 2016 eine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter Vorsitz der ukrainischen Richterin Yudkivska einstimmig im Fall Wenner/ Deutschland (Beschwerdenr. 62303/13). Im Fall war der seit 1973 heroinabhängige Beschwerdeführer 2009 zu einer sechsjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. In Haft erfolgte eine Drogenabstinenz ohne Substitution, obwohl der Beschwerdeführer zuvor zwischen 1991 und 2008 substituiert worden war. Der 2011 gestellte Antrag auf Substitutionsbehandlung wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dies weder aus medizinischer Sicht noch aus Belangen des Strafvollzugs indiziert sei. Zu Unrecht, so der EGMR: Zwar gebe es einen Beurteilungsspielraum bei der Wahl der Therapiemaßnahme. Allerdings müsse sichergestellt werden, dass die Mindeststandards der Konvention bezüglich der medizinischen Versorgung im Gefängnis eingehalten würden. Insbesondere müsse durch Fachärzte objektiv überprüft werden, welche Therapie geeignet sei. Die Behandlung müsse einer solchen außerhalb des Gefängnisses gleichwertig sein. Laut EGMR habe die Therapie des Häftlings seinem Gesundheitszustand nicht entsprochen. Obwohl alle Indizien für eine Substituierung gesprochen hätten, da der Beschwerdeführer kaum eine Chance auf Heilung habe, sei keine Änderung der Behandlung erwogen worden.
RÜCKWIRKENDE RECHNUNGSBERICHTIGUNGEN ZULÄSSIG – EuGH
Der EuGH hat am 15. September 2016 entschieden (C-528/14), dass ein Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG auch rückwirkend möglich ist, wenn die erforderlichen Rechnungen zunächst bestimmte Nebenbedingungen nicht erfüllten. Im konkreten Fall beinhalteten die Dokumente der Senatex GmbH weder die Steuer- noch die Umsatzsteueridentifikationsnummer der leistenden Unternehmer nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 UStG. Eine Berichtigung ist nach deutschem Recht, § 14c UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG, nicht rückwirkend möglich. Gemäß dem EuGH aber stehen dieser Regelung die Art. 167, 178 lit. a, 179, 226 Nr. 3 der Mehrwertsteuerrichtlinie 2006/112/EG entgegen. Die Mehrwertsteuerneutralität verlange die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges, sobald die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. auch C-385/09; C-280/10). Die geforderten Angaben seien jedoch als formelle Bedingungen einzustufen. Möglich seien allerdings Sanktionen für den Fall, dass formelle Erfordernisse nicht erfüllt würden. Die Rückwirkung der Rechnungsberichtigung nicht zuzulassen gehe aber über das erforderliche Maß hinaus und sei daher dem Steuerpflichtigen – anders als Geldbußen – nicht aufzuerlegen. Zudem sei nicht klar, weshalb andere, bestimmte Berichtigungen, wie die Verbesserung der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer, möglich seien, ohne den Vorsteuerabzug zu präkludieren.
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