Europa im Überblick, 29/2023

EiÜ 29/2023

E-Evidence Verordnung im Amtsblatt veröffentlicht – EU

Nach mehrjährigen Trilogverhandlungen wurde am 28. Juli 2023 die E-Evidence Verordnung Nr. 2023/1543 über grenzüberschreitende Herausgabe- und Sicherungsanordnungen bzgl. elektronischer Beweismittel im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und ist am 18. August 2023 in Kraft getreten. Aufgrund einer dreijährigen Übergangszeit wird die Verordnung erst 2026 verbindlich gelten. Sie wird es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen, in der EU tätige Anbieter von Online-Diensten zu verpflichten, elektronische Beweismittel wie etwa E-Mails, Textnachrichten oder sonstige im Zusammenhang mit elektronischer Kommunikation stehende Daten, herauszugeben. In 85 % aller Strafverfahren spielen elektronische Beweismittel eine Rolle, in 65 % der Fälle kommen sie allerdings aus einem anderen EU-Land. Der DAV hatte zu dem Verordnungsvorschlag in Stellungnahme Nr. 42/2018 erhebliche Kritik geäußert, u.a. zu der Frage, in welchem Umfang die Behörden des Landes einbezogen werden sollen, aus denen die Dienstanbieter stammen, vgl. EiÜ 3/23; 41/22. Die Verordnung ist in einen Kompromiss gemündet, bei dem die Praxis zeigen wird, ob die EU-Länder das System ordnungsgemäß nutzen.

Anerkennung von Gerichtsurteilen zwischen EU und der Ukraine – KOM

Am 01. September 2023 ist das Haager Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen in Kraft getreten, vgl. EiÜ 28/22; 16/21. In Zukunft werden Urteile in Zivil- und Handelssachen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Ukraine gegenseitig anerkannt und vollstreckt, da sowohl die EU als auch die Ukraine dem Übereinkommen beigetreten sind. Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern soll der Zugang zu internationaler Rechtsdurchsetzung vereinfacht und die Kosten dabei minimiert werden. Bezogen auf die Krisensituation in der Ukraine, kommt dies vor allem dem Handel und Investitionen zu Gute, um deren finanziellen Wiederaufbau zu erleichtern. Neben der EU und der Ukraine gibt es noch fünf weitere Vertragsparteien (Costa Rica, Israel, Russische Föderation, USA und Uruguay), jedoch steht deren Ratifizierung noch aus. Justizkommissar Didier Reynders brachte zum Ausdruck, dass das nun zwischen der EU und der Ukraine geltende „HAVÜ-Abkommen“ andere Länder dazu motivieren sollte, ebenfalls beizutreten, um den internationalen Rechtsverkehr zu stärken. Dementsprechend ist abzuwarten, welche Länder dem Abkommen noch beitreten und vor allem, ob es zu einer Ratifizierung von großen Handelspartnern, wie den Vereinigten Staaten, kommen wird.  

Digital Services Act: Schärfere Vorschriften für Online-Plattformen – EP

Der Digital Services Act (DSA) ist am 25. August 2023 in Kraft getreten. Das Gesetz bringt für Online-Plattformen neue Vorschriften zur Inhaltsmoderation, zum Schutz der Privatsphäre der Nutzer:innen und zur Steigerung der Transparenz mit sich. Benutzer erhalten detaillierte Informationen über die Gründe für empfohlene Inhalte und können eine Option ohne Profilerstellung wählen. Die gezielte Werbung für Minderjährige wird verboten, ebenso wie die Nutzung sensibler Daten wie die sexuelle Orientierung, Religion oder ethnische Zugehörigkeit. Darüber hinaus zielt das Gesetz darauf ab, Nutzer:innen vor schädlichen und illegalen Inhalten wie Hassrede und Desinformation zu schützen. Der DAV hat sich bereits frühzeitig mit den Verordnungsvorschlägen des DSA auseinandergesetzt und versucht, Lösungsvorschläge für Fragen zur Plattformregulierung zu erarbeiten. In seiner Stellungnahme Nr. 34/21 äußert sich der DAV zu den Verpflichtungen, die Plattformen erfüllen müssen, und kritisiert dabei unter anderem den bürokratischen Aufwand sowie das Verhältnis zum Datenschutz (vgl. zum DSA EiÜ 17/21; 3/21; 32/20). Als nächstes sind die 19 größten Online-Plattformen verpflichtet, ihre Risikobewertungen der EU-Kommission vorzulegen. Kleinere Plattformen müssen die Vorgaben hingegen erst ab Februar 2024 umsetzen, da nationale Behörden eingebunden werden müssen.

Nutzung von Vorratsdaten bei Korruptionsermittlung? – EuGH

In seinem Urteil vom 7. September 2023 befasste sich der EuGH mit der Nutzung von  Vorratsdaten zur Verfolgung von Dienstvergehen im Zusammenhang mit Korruption, Rs. C-162/22. Hintergrund des litauischen Vorabentscheidungsersuchens war die Weitergabe von Informationen während eines Ermittlungsverfahrens durch einen Staatsanwalt an den Verdächtigen und seinen Anwalt. Daraufhin war der Staatsanwalt seines Amtes enthoben und das zur Last gelegte Dienstvergehen mittels von auf Vorrat gespeicherten Verkehrs- und Standortdaten nachgewiesen worden. Der Gerichtshof stellt hierzu klar, dass schwere Eingriffe, wie im vorliegenden Fall die Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG nur zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind. Weiter führt der EuGH aus, dass die gemäß Art. 15  Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG auf Vorrat gespeicherten Verkehrs- und Standortdaten im Lichte der Art. 7, 8 (Achtung des Privat- und Familienlebens sowie Schutz personenbezogener Daten) 11 sowie 52 der EU-Grundrechtecharta nicht nachträglich anderen Behörden übermittelt und von diesen zur allgemeinen Strafverfolgung genutzt werden dürfen. Auch das wie im vorliegenden Fall mit der Bekämpfung von Korruptionsdienstvergehen verfolgte Ziel steht nämlich in der Hierarchie unter dem Gemeinwohlziel der Bekämpfung schwerer Kriminalität und der Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit.

Zugang zu Rechtsbeistand im Betäubungsmittel-Kontext – EuGH

Der EuGH hat in der Rs. C-209/22 am 7. September 2023 über die Reichweite der Richtlinien (EU) 2012/13 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren und (EU) 2013/48 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren im Falle von Durchsuchungen und Beschlagnahme im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln geurteilt. Die Richtlinien, so der EuGH, sind anwendbar, wenn Informationen darüber vorliegen, dass eine Person im Besitz illegaler Substanzen ist und daher einer Leibesvisitation unterzogen wird sowie eine Beschlagnahme der illegalen Substanzen erfolgt. Unerheblich ist dabei der Umstand, dass das nationale Recht (hier das ungarische) den autonomen Begriff des Unionsrechts des „Verdächtigten“ nicht vorsieht und die Person nicht durch amtliche Mitteilung als „beschuldigte Person“ behandelt wurde. Gleiches gilt für die Tatsache, dass diese Person über die Tatsache, dass sie eine „beschuldigte Person“ ist, nicht offiziell informiert wurde. Allerdings steht insbesondere Artikel 3 der Richtlinie 2013/48 einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass eine Person, die keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand hat, trotzdem einer Durchsuchung und Beschlagnahme unterzogen werden kann, nicht entgegen, wenn die Umstände ergeben, dass ein solcher Zugang nicht erforderlich ist, um die Verteidigungsrechte praktisch und wirksam auszuüben.

Bulgarien muss gleichgeschlechtliche Paare schützen – EGMR

Der EGMR hat am 5. September 2023 ein Urteil gegen Bulgarien wegen mangelnder Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare gefällt, Beschwerde-Nr. 40209/29 (nur auf Französisch verfügbar). In dem Fall hatte sich das bulgarische Standesamt unter Berufung auf die bulgarische Definition der Ehe, die als Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau bestehe, geweigert, die Ehe einer Frau aus Sofia, die 2016 ihre Freundin in Großbritannien geheiratet hatte, anzuerkennen und den Familienstand als „verheiratet“ im Personenstandsregister einzutragen. Hierin sieht der EGMR eine Verletzung von Artikel 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens). Auch wenn die Mitgliedsstaaten durch die EMRK nicht verpflichtet sind, die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, besteht dennoch eine Anerkennungs- und Schutzpflicht. In dem einstimmig ergangenen Urteil wies der EGMR darauf hin, dass insbesondere die in Artikel 8 garantierte Anerkennung Teil der Entwicklung der persönlichen und sozialen Identität ist, da sie dem Paar Legitimität gegenüber der Außenwelt verleiht. Durch die Weigerung der Anerkennung würden Paare mehr als 300 Rechte entgehen, insbesondere beim Erb- und Steuerrecht. Die zudem von den Antragsstellerinnen geforderten 25.000 Euro Schadensersatz, lehnte der EGMR mangels Kausalzusammenhangs allerdings ab. Bereits im Mai 2023 hatte der EGMR eine ähnliche Entscheidung gegen Rumänien gefällt.

Weimarer Dreieck: Den Rechtsstaat überdenken? Revolutioniere ihn! – DAV

Am 06. Oktober 2023 findet die dritte Konferenz des Weimarer Dreiecks der Anwaltschaften (Pariser und Warschauer Anwaltskammer sowie DAV) mit Unterstützung des DAV Polen in Warschau statt. Ist der von unseren traditionellen Systemen geprägte Rechtsstaat angesichts einer sich ausbreitenden Krise der demokratischen Werte in verschiedenen Teilen Europas und des raschen Fortschritts der neuen Technologien noch in der Lage, die zunehmend verstreuten Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen? Sollte die Achtung der Rechtsstaatlichkeit als oberstes Ziel für Rechtsanwälte in ganz Europa in ihrer traditionellen Form verteidigt werden oder sogar entsprechend der neuen sozialen Dynamik neu definiert werden? Dies sind die beiden zentralen Fragen, die in der Konferenz diskutiert werden sollen. Anmeldungen für die Konferenz, die auf Englisch stattfinden wird, sind via diesem Link möglich. Sie wird auch online gestreamt werden.

Wettbewerb zur Verteidigung von bedrohten Rechtsanwält:innen – CCBE

Der Amicus Curiae Contest des Rates der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) gibt Jurastudierenden jedes Jahr die Möglichkeit, den menschenrechtlichen Einsatz für bedrohte Anwältinnen und Anwälte in Form eines Wettbewerbs zu erproben. Er richtet sich an Jurastudierende, deren (zukünftige) Anwaltskammer einem der 46 Mitgliedstaaten des CCBE angehört. Ziel des Wettbewerbs ist unter anderem, künftige Juristen auf die besondere Bedeutung von Rechtsanwälten für die Sicherung des Rechtsstaats aufmerksam zu machen. Im Wettbewerb müssen die Studierenden zu einem fiktiven Verfahren einen Amicus Curiae-Schriftsatz erstellen, mit dem eine bedrohte Anwältin oder ein bedrohter Anwalt unterstützt wird. Zum Preis zählt neben einer feierlichen Verleihung im Rahmen der CCBE-Plenarsitzung (letztes Jahr in Griechenland) auch die Publikation des Schriftsatzes auf der Website und in den sozialen Medien des CCBE. Die Bewerbung um die Teilnahme am Wettbewerb ist noch bis zum 30. November 2023 möglich. Weitere Informationen finden Sie hier.

Europa im Überblick abonnieren

Verpassen Sie keine wichtigen rechtlichen Entwicklungen in Europa! Abonnieren Sie unseren E-Mail-Newsletter „Europa im Überblick“ und bleiben Sie stets informiert über die neuesten EU-Gesetzgebungen, Rechtsprechungen und deren Auswirkungen auf Ihre Praxis.

Kommentare

0 Kommentare zum Artikel
Bitte rechnen Sie 4 plus 6.