EiÜ 30/2022
Regulierung von Prozessfinanzierern gefordert – EP
Private Investoren sollen sich künftig in einem deutlich regulierteren Rahmen bewegen, um durch Prozessfinanzierung Gewinne zu erzielen. Dies fordern die Abgeordneten des EU-Parlaments, die am 13. September 2022 mehrheitlich den Entschließungsantrag zur Regelung der Prozessfinanzierung durch Dritte annahmen (vgl. zum Entwurf bereits EiÜ 24/21). Die EU-Kommission wird aufgefordert, einen in der Entschließung bereits ausformulierten Richtlinienvorschlag zu erlassen. Dieser sieht eine Obergrenze für Gewinne der Investoren vor, wonach Antragsteller mindestens 60 % des gesamten Vergleichs- oder Entschädigungsbetrags erhalten müssen. Der DAV hatte sich über den Rat der Europäischen Anwaltschaften zu dem Verfahren in einer Stellungnahme geäußert, hält die mögliche Gewinnspanne für Prozessfinanzierer von bis zu 40% für überzogen und fordert eine Begründung für diesen Wert. Das EU-Parlament fordert weiter zur Herstellung von Transparenz ein Akkreditierungssystem für Prozessfinanzierer. Offen bleibt in dem Richtlinienentwurf, ob auch die Finanzierung im vorprozessualen Stadium erfasst werden soll. Ebenso fehlt eine Regelung, mit der materielle Rechtsverluste für den Anspruchsberechtigten aufgrund der Ungültigkeit eines Vertrages und damit einhergehender unwirksamer prozessualer Schritte vermieden werden könnten. Die EU-Kommission wird durch die Entschließung des EU-Parlaments zwar nicht zur Vorlage eines Legislativvorschlags gezwungen, muss aber auf die Entschließung reagieren.
Rechtsausschuss legt Stellungnahme zum KI-Gesetz vor – EP
Am 5. September 2022 hat der Rechtsausschuss (JURI) des EU-Parlaments seine Stellungnahme (in Englisch) zum geplanten Gesetz über Künstliche Intelligenz (KI) angenommen (vgl. EiÜ 25/22; 18/22; 16/22; 37/21; 14/21). Diese sieht u.a. eine Stärkung der Transparenzverpflichtungen nach Art. 13 dahingehend vor, dass sichergestellt ist, dass der Output des KI-Systems vom Anbieter und vom Nutzer interpretierbar ist. Laut den präzisierten Regelungen zur menschlichen Aufsicht unter Art. 14 sollen natürliche Personen, die für die menschliche Aufsicht zuständig sind, über ein ausreichendes Maß an KI-Kenntnissen (AI literacy) verfügen - ein Konzept, das in Art. 4 lit. b neu eingeführt werden soll. Der DAV hat sich stets dafür eingesetzt, dass die Aufsicht durch den Menschen gewährleistet sein muss und KI-Systeme transparent und rückverfolgbar sein müssen (vgl. DAV-Stellungnahmen 40/2020 und 57/2021). Die Stellungnahme des JURI-Ausschusses zeigt den voraussichtlich finalen Text der Parlamentsposition zu Artikeln 13, 14, 52 und 59 KI-Gesetz auf, für die der Ausschuss alleine zuständig ist. Im nächsten Schritt werden die beiden federführenden Ausschüsse Binnenmarkt (IMCO) und Inneres (LIBE) über ihre Änderungsanträge abstimmen (vgl. EiÜ 25/22).
Endgültiger Text der Mindestlohnrichtlinie angenommen – EP
Am 14. September 2022 hat das Plenum des EU-Parlaments den endgültigen Wortlaut der Richtlinie über angemessene Mindestlöhne in der EU mit großer Mehrheit angenommen (vgl. EiÜ 27/22; 22/22; 35/21). Die neuen Regelungen stärken das Tarifvertragsrecht und schaffen einen Referenzrahmen für angemessene Mindestlöhne. Nach Inkrafttreten der Richtlinie haben die EU-Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit für die Umsetzung.
Aussprache zum Verfahren nach Art. 7 Abs. 1 EUV gegen Ungarn – EP/KOM
Die EU-Kommission und der Rat sind aufgefordert worden, ihrer Verantwortung nachzukommen und die finanzielle Unterstützung Ungarns durch die Europäische Union zu versagen. In der Aussprache des EU-Parlaments vom 14. September 2022 zum Bericht über den Vorschlag für einen Beschluss des Rates gem. Art. 7 Abs. 1 EUV (Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Werte, auf die sich die Union gründet, durch Ungarn, vgl. EiÜ 23/21, 20/21, 2/20, 26/18) wurde ausgiebig über das weitere, erforderliche Vorgehen hinsichtlich Ungarns diskutiert. Die Mehrheit der Fraktionen unterstützte dabei den vorgelegten Bericht. Der Rechtsstaatlichkeitsbericht der EU-Kommission aus dem Jahr 2022 habe gezeigt, dass die ungarische Regierung nicht bereit sei, die Unzulänglichkeiten bezüglich der Unabhängigkeit der Justiz, der Frauen- und Minderheitenrechte oder der Medien- und Meinungsfreiheit zu beheben. Vielmehr zeichne sich in Ungarn eine systematische Unterdrückung all jener ab, die andere Meinungen als die der Regierung vertreten würden. Des Weiteren kämen europäische Gelder nicht dem ungarischen Volk, sondern den Verbündeten Orbans zugute. Lediglich die Fraktionen ID, ECR und NI äußerten starke Bedenken bezüglich des Berichts. Ihrer Meinung nach stünde die EU durch das Vorgehen gegen Ungarn ihren eigenen Werten der politischen und kulturellen Vielfalt entgegen.
EU geht gegen Zwangsarbeit vor - KOM
Am 14. September 2022 hat die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag (in Englisch) über das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten auf dem Unionsmarkt vorgelegt. Hierdurch soll das Inverkehrbringen von Produkten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, auf dem Unionsmarkt sowie deren Ausfuhr aus der EU wirksam verboten werden. Dabei soll das Inverkehrbringen von in Zwangsarbeit hergestellten Gütern in der EU unabhängig vom Wirtschaftszweig oder Herkunftsland verboten werden. Unternehmen sollen zudem verpflichtet werden, die Produkte beim Vorliegen von Zwangsarbeit zu verwerten und die dabei entstehenden Kosten zu tragen. Die Beweislast für das Vorliegen von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten liegt bei den zur Durchsetzung der Verordnung berufenen Behörden. Die Frist zur Rücknahme des Produkts beträgt mindestens 30 Arbeitstage und darf nicht länger als zur Rücknahme der betreffenden Waren erforderlich sein. Die von einer zuständigen Behörde in einem Mitgliedstaat getroffenen Entscheidungen werden von den zuständigen Behörden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, soweit es sich um Produkte mit gleicher Kennzeichnung und aus der gleichen Lieferkette handelt. Der Verordnungsvorschlag ist verknüpft mit dem im Februar 2022 veröffentlichten Vorschlag über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen (vgl. EiÜ 07/22).
Medienfreiheitsgesetz: Effektiver Schutz vor staatlicher Überwachung? – KOM
Die EU-Kommission hat am 16. September 2022 ihren Vorschlag für ein europäisches Medienfreiheitsgesetz (in Englisch) sowie eine entsprechende Empfehlung veröffentlicht. Erklärtes Ziel des Verordnungsvorschlags ist es, Unabhängigkeit und Pluralismus der Medien zu stärken, sowie konkret Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Mediendienstleistern abzubauen, (vgl. zur Konsultation bereits EiÜ 1/22). Der Vorschlag enthält weitreichende Bestimmungen zu Rechten und Pflichten der öffentlichen oder privaten Mediendienstleister sowie der Nutzer:innen: Mediendienstleister mit Ausrichtung auf Nachrichten werden etwa zur Offenlegung der (in)direkten Eigentümer verpflichtet, die Einfluss auf die zentralen Entscheidungsprozesse haben sowie der wirtschaftlichen Eigentümer im Sinne der Geldwäscherichtlinie. Aber auch der Schutz von Medienschaffenden gegen den Einsatz von Spionagesoftware sowie der journalistische Quellenschutz ist Gegenstand des Vorschlags. Die Mitgliedstaaten werden ferner verpflichtet, Zusammenschlüsse von Mediendienstleistern und die damit verbundene Marktveränderung im Hinblick auf die Medienvielfalt und die redaktionelle Unabhängigkeit mittels objektiver und diskriminierungsfreier Kriterien zu überprüfen. Zur Überwachung der einheitlichen Anwendung des Medienfreiheitsgesetzes ist die Schaffung eines Europäischen Amts für Mediendienste vorgesehen, das sich aus Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden zusammensetzt.
Zulässigkeit von pandemiebedingter Fristaussetzung im Mahnverfahren - EuGH
Am 15. September 2022 entschied der EuGH in der Rechtssache C‑18/21 über die Zulässigkeit einer gesetzlich festgelegten Fristaussetzung im europäischen Mahnverfahren. Die Republik Österreich erließ im ersten Quartal 2020 mit § 1 Abs. 1 des nationalen COVID-19-Gesetzes eine Regelung wonach alle verfahrensrechtlichen Fristen in bürgerlichen Rechtssachen für einen konkreten Zeitraum von etwa fünf Wochen ausgesetzt wurden. Davon betroffen war auch die 30-Tage-Frist für die Einlegung eines Einspruchs gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl (Art. 16 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1896/2006). Gegenstand der Vorlagefrage war, ob die Art. 20 und Art. 26 der Verordnung Nr. 1896/2006 mit einer solchen nationalen Regelung unvereinbar sind. Laut EuGH stehen die Art. 16, 20 und 26 der Verordnung der Anwendung einer nationalen Regelung, mit der die 30-Tage-Frist zur Einlegung eines Einspruchs ausgesetzt wird, grundsätzlich nicht entgegen. Denn etwaige Gründe für die Unterbrechung oder die Aussetzung der laufenden Einspruchsfrist werden durch die Verordnung nicht geregelt, sodass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 26 der Verordnung dazu befugt sind, die letztgenannten Aspekte zu regeln und damit die verfahrensrechtlichen Aspekte zu ergänzen, die nicht in den Art. 16 und 20 dieser Verordnung geregelt sind. Bisher hat die Regelung des österreichischen COVID-19-Gesetzes in Deutschland allerdings keine Entsprechung.
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