Europa im Überblick, 30/2024

EiÜ 30/24

Draghi-Bericht über die Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU – KOM

Am 9. September legte Mario Draghi seinen von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Bericht über die Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU vor (vgl. EiÜ 30/23). Investitionen von bis zu 800 Milliarden Euro seien dringend notwendig, z.B. im Bereich Verteidigung oder beim Ausbau des Energienetzes. Der Bericht benennt eine Vielzahl möglicher Reformen in den Bereichen der Wirtschafts-, Verteidigungs- und Industriepolitik. Massive Investitionen in Innovation und Forschung, der Abbau von Bürokratie sowie die effizientere Gestaltung von Entscheidungsprozessen seien essentiell. Vorgeschlagen wird u.a. die Einführung des Einheitspatents in allen EU-Mitgliedsstaaten, um einen einheitlichen Schutz für geistiges Eigentum zu gewährleisten. Innerhalb der EU-Institutionen sieht der Bericht Vorschläge für Strukturreformen vor. Empfohlen wird die qualifizierte Mehrheitsentscheidung auf weitere Bereiche zu erweitern. Inwieweit der Draghi-Bericht die Arbeit der EU-Kommission in dieser Legislaturperiode beeinflussen wird, bleibt abzuwarten.

Wettbewerb zur Vertei­digung bedrohter Rechts­anwält:innen – CCBE

Der jährlich stattfindende Amicus Curiae Contest des Rates der Europäischen Anwalt­schaften (CCBE) gibt Jurastu­die­renden und Rechts­re­fe­rendar:innen die Möglichkeit, den menschen­recht­lichen Einsatz für bedrohte Anwält:innen in Form eines Wettbewerbs zu erproben. Der Wettbewerb verfolgt unter anderem das Ziel, auf die besondere Bedeutung der Anwalt­schaft für die Sicherung des Rechts­staates aufmerksam zu machen. Die Teilneh­menden verfassen einen Amicus Curiae-Schriftsatz im Rahmen eines fiktiven Verfahrens zur Unterstützung eines bedrohten Anwalts oder einer bedrohten Anwältin. Die Bewerbung ist bis zum 30. November 2024 möglich. Weitere Informa­tionen sowie den Link zur Weiter­leitung an Interes­sierte finden Sie hier.

Weiter Umfang des Informationszugangsrechts – EuGH

Der Generalanwalt am Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Richard de la Tour kommt in seinen Schlussanträgen vom 12. September 2024 in der Rechtssache C-203/22 zu dem Ergebnis, dass das Auskunftsrecht gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. h der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bestimmt, dass der betroffenen Person einer automatisierten Entscheidungsfindung aussagekräftige Informationen über die Methode und die Kriterien eines Profilings personenbezogener Daten gemäß Art. 22 DSGVO leicht zugänglich, verständlich und vollständig zur Verfügung zu stellen sind, um eine Überprüfung und Zugang zum Recht zu ermöglichen. Nur komplexe Informationen, deren Verständnis besondere technische Fachkenntnisse erforderten, seien nicht offenzulegen. Auf die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Wien stellte der Generalanwalt weiter klar, dass die Informationen der zuständigen Aufsichtsbehörde oder dem zuständigen Gericht zu übermitteln seien, damit eine Abwägung zwischen dem Recht auf Zugang zu Informationen und dem Schutz der Rechte und Freiheiten anderer – d.h. etwa von Geschäftsgeheimnissen im Sinne des Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2016/943 – erfolgen könne. Der EuGH ist an die Schlussanträge des Generalanwalts nicht gebunden, folgt ihnen jedoch in der überwiegenden Zahl der Fälle.

Weniger Diskriminierung im e-Commerce – EP/KOM

Am 12. September 2024 diskutierte der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des Europäischen Parlaments gemeinsam mit der EU-Kommission über die Auswirkungen der Geoblocking-Verordnung und Fortschritte beim weiteren Abbau grenzüberschreitender Beschränkungen. Die 2018 in Kraft getretene Verordnung soll ungerechtfertigte Diskriminierung aufgrund der Nationalität, des Wohn- oder Niederlassungsortes bei Online-Käufen innerhalb des Binnenmarktes verhindern und einen gleichwertigen Zugang von Nutzern zu Online-Diensten garantieren (vgl. bereits EiÜ 9/18). Im Dezember 2023 forderten die Abgeordneten des EU-Parlamentes vor dem Hintergrund des digitalen Wandels und der Zunahme von Online-Einkäufen eine Überarbeitung der Vorschriften (vgl. PM). Die EU-Kommission zog in einer Bestandsaufnahme von Juli 2024 nun Zwischenbilanz: Innerhalb der EU sei ein Anstieg des E-Commerce von 53 % im Jahr 2010 auf 75 % im Jahr 2022 zu verzeichnen. Ein besonderes Augenmerk lag auf audiovisuellen Inhalten, wie Live-Übertragung von Sportveranstaltungen, die von der Verordnung ausgenommen sind, jedoch zunehmend eine Rolle im grenzüberschreitenden Konsumverhalten spielen. Zudem steige die Nachfrage nach Download- und Streamingdiensten in der EU stetig, wobei weiterhin Angebotsunterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten bestehen. Dies wurde von den Ausschussmitgliedern als bedeutend für die Weiterentwicklung des digitalen Binnenmarkts hervorgehoben. Eine umfassende Evaluierung der Geoblocking-Verordnung durch die EU-Kommission ist für 2025 geplant.

eu-LISA als wichtiger Baustein digitaler Justiz – EP

Der Ausschuss des Europäischen Parlaments für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) tauschte sich in seiner Sitzung vom 4. September 2024 mit Frau Marina Männik, vorrübergehende Exekutivdirektorin der EU-Behörde für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und der Justiz (eu-LISA), aus. eu-LISA ist einer von vielen Bausteinen, der in der laufenden Diskussion über die Digitalisierung der Justiz eine gewichtige Rolle spielt. Die Exekutivdirektorin stellte die bereits operablen Systeme vor. Darunter das Schengen-Informationssystem SIS, dass die Zusammenarbeit zwischen nationaler Grenzkontroll-, Zoll-, Strafverfolgungs- und Justizbehörden erleichtert und einen zentralen Pfeiler der inneren Sicherheit darstellt. Andere Systeme, wie etwa e-CODEX, ermöglichen eine sichere, grenzüberschreitende Kommunikation in Rechtsverfahren zwischen den EU-Mitgliedsstaaten (vgl. bereits EiÜ 23/24). Das IT-System NEW EURODAC, dass für das Management von Asylanträgen verwendet wird, wird derzeit auf Grundlage der 2024 verabschiedeten Eurodac-Verordnung überarbeitet und soll als wesentlicher Eckstein in der Umsetzung des neuen Asyl- und Migrationspakts fungieren, vgl. dazu bereits EiÜ 19/24.

Verordnungen zum EU-Wettbewerbsrecht auf dem Prüfstand – KOM

Die EU-Kommission hat am 5. September 2024 die Ergebnisse ihrer Evaluierung der Verordnungen 1/2003 und 773/2004 veröffentlicht, die Verfahren für die Anwendung der EU-Wettbewerbsvorschriften regeln (vgl. PM). Sie konkretisieren die verfahrensrechtlichen Rahmen für die Durchsetzung der in Artikel 101 und Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Wettbewerbsvorschriften. Gemäß dem Evaluierungsbericht tragen die Verordnung wirksam zu einer wirksamen, effizienten und einheitlichen Anwendung der EU-Wettbewerbsvorschriften bei. Positiv bewertet wurde die Abschaffung des alten Systems, wonach Unternehmen Vereinbarungen bei der EU-Kommission anmelden mussten, um eine Freistellung nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV nutzen zu können. Zudem ist eine wirksame Durchsetzung durch ein dezentrales System der parallelen Durchsetzung der EU-Wettbewerbsvorschriften durch die EU-Kommission und nationale Wettbewerbsbehörden gewährleistet. Anpassungsbedarf besteht jedoch insbesondere aufgrund fortschreitender Digitalisierung, verlangsamter Verfahren durch zunehmend umfangreichere Prüfungsverfahren und überflüssiger Parallelprüfungen wegen fehlender Zusammenarbeit zwischen der EU-Kommission und nationalen Wettbewerbsbehörden. Zusätzlich hat die EU-Kommission einen Bericht über den Rechtsrahmen für einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit während der Prüfung und deren Anwendung durch nationale Wettbewerbsbehörden angenommen. Die EU-Kommission wird nun beraten, ob eine Überarbeitung der Verordnungen notwendig ist.

Entwicklungen im Gesetz zu digitalen Diensten – EP/KOM

Während der Sitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) im EU-Parlament am 12. September 2024 berichtete Roberto Viola, Generaldirektor der Generaldirektion für Kommunikationsnetzwerke, Inhalte und Technologie der Europäischen Kommission (DG CONNECT), über die aktuellen Entwicklungen bei der Umsetzung des Gesetzes über digitale Dienste (DSA). Im Verlauf des Austauschs wurde besonders der Schutz von Minderjährigen betont (vgl. EiÜ 16/23). Dies unterstrich auch MEP Christel Schaldemose (S&D Fraktion), Vorsitzende der durch das EU-Parlament eingesetzten Arbeitsgruppe. Viola führte aus, dass ein System zur Altersüberprüfung auf Online-Plattformen so schnell wie möglich eingeführt werden sollte. Weiteres Thema war die schnelle Entwicklung des Internets und stetiger Anpassungsbedarf gesetzlicher Regulierungen sowie langwierige Prüfungsverfahren, die potentiell hohe Sanktionszahlungen für Online-Plattformen mich sich bringen. Da die Anwendung des DSA noch viele Fragen aufwirft, soll die Debatte in der nächsten Plenarsitzung fortgesetzt werden.

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