Europa im Überblick, 31/17

„Wind in den Segeln“ – Junckers Visionen und Vorschläge zur EU – KOM/EP

In seiner Rede zur Lage der Union 2017 hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine Prioritäten für die Zukunft der EU – u.a. auch im Justizbereich – vorgestellt und dabei für weitreichende Reformen geworben. Neben der Ausweitung der Eurozone sieht Juncker weiterhin einen Schwerpunkt in besserer Rechtssetzung und will hierfür noch im September 2017 eine Task Force „Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit“ einsetzen. Er plädierte zudem dafür, Urteile des EuGH zu respektieren. Juncker schlug neben Initiativen für eine moderne EU-Handelspolitik zudem vor, im Rat in Binnenmarktfragen – insbesondere im Bereich der Steuern – eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit vorzusehen. Neben einer europäischen Aufklärungseinheit zur Terrorismusbekämpfung müsse aus Sicht Junckers auch die neu geschaffene Europäische Staatsanwaltschaft mit der Verfolgung von grenzüberschreitenden terroristischen Straftaten betraut werden. Zudem sollen sich die Mitgliedsstaaten so schnell wie möglich auf die europäische Säule sozialer Rechte einigen. Institutionell schlug er einen Europäischen Wirtschafts- und Finanzminister sowie eine Verschmelzung des Amts des Präsidenten der Europäischen Kommission mit dem des Präsidenten des Europäischen Rates vor.

Ist eine Kumulation von Straf- und Verwaltungssanktionen erlaubt? – EuGH

Unter welchen Voraussetzungen greift der in Art. 50 der Europäischen Grundrechtecharta geregelte Grundsatz „ne bis in idem“ ein, wenn die Regelungen einiger Staaten es gestatten, verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Sanktionen zu kumulieren, um die Nichtabführung erheblicher Mehrwertsteuerbeiträge zu ahnden? Mit dieser Frage hat sich der EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens aus Italien (Rs. Menci Luca C-524/15) erneut zu befassen. Da die im EuGH-Urteil Akerberg Fransson (Rs. C‑617/10 vom 26. Februar 2013) festgelegten Grundsätze in der Praxis zu Problemen führten, hat Generalanwalt Sánchez-Bordona am 12. September 2017 in seinen Schlussanträgen vorgeschlagen, den mitgliedstaatlichen Gerichten zur Auslegung der sog. Engel-Kriterien des EGMR weitere Auslegungshinweise zu geben. Art. 50 der EU-Grundrechtecharta sei weiterhin nur bei Identität des materiellen Sachverhalts anwendbar. Die Verhängung einer Strafsanktion zusätzlich zu einer bereits rechtskräftigen steuerlichen Verwaltungssanktion verstoße nur dann gegen den Grundsatz „ne bis in idem“, wenn wegen derselben Tat ein Strafverfahren eingeleitet oder eine Kriminalstrafe verhängt wurde und die Verwaltungssanktion tatsächlich strafrechtlichen Charakter habe. Dies müsse das nationale Gericht anhand der rechtlichen Qualifizierung der Zuwiderhandlung im nationalen Recht, der Art der Zuwiderhandlung und der Art bzw. Schwere der Sanktion im Einzelfall prüfen.

Mediationsverfahren gewinnen an Bedeutung – EP

Am 12. September 2017 hat das Europäische Parlament seine Entschließung zur Umsetzung der Mediationsrichtlinie 2008/52/EG angenommen. Die Richtlinie dient dazu, den Zugang zur alternativen Streitbeilegung (ADR) zu vereinfachen und die gütliche Einigung bei Streitigkeiten zu unterstützen, indem der Einsatz von Mediation gefördert und ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Mediations- und Gerichtsverfahren gewährleistet wird. (s. EiÜ 39/16, 5/17, 11/17). Wie bereits vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) gefordert (s. EiÜ 25/17), appellierte das Europäische Parlament an die Mitgliedstaaten, noch mehr Anstrengungen zu unternehmen, um die Nutzung der Mediation bei Zivil- und Handelssachen zu fördern. Zudem wurde die EU-Kommission aufgefordert, zu prüfen, ob aktuell ein Bedarf an EU-weiten Qualitätsstandards für Mediationsdienstleistungen besteht und die Mitgliedstaaten nationale Register für Mediationsverfahren einrichten und führen sollten.

Keine Grenzen für Datenspeicherung in der EU mehr? – KOM

Nicht-personenbezogene Daten sollen künftig in der EU grundsätzlich überall gespeichert und verarbeitet werden können. Die EU-Kommission hat dazu am 13. September 2017 im Rahmen der „Free flow of data“-Initiative (s. EiÜ 2/17) einen Vorschlag für eine Verordnung zum freien Datenverkehr COM(2017) 495 final vorgelegt. Er bezweckt den Abbau von nationalen Beschränkungen in Bezug auf Datenspeicherorte und eine Verbesserung der Datenportabilität. Der Verordnungsentwurf betrifft die Speicherung und Verarbeitung nicht-personenbezogener Daten, ob diese als Dienstleistung angeboten werden oder von einem EU-Bürger- bzw. Unternehmen aus privatem Grund durchgeführt werden. Beschränkungen hinsichtlich des Datenspeicher- oder Verarbeitungsortes innerhalb der EU sollen künftig nur aus Gründen der öffentlichen Sicherheit vorgenommen werden können. Zudem besteht für diese ein Notifizierungserfordernis gemäß der Richtlinie (EU) 2015/1535 (sog. TRIS-Notifizierungsverfahren). Innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten der Verordnung sollen zudem Ortserfordernisse bzgl. Datenspeicherung und Datenverarbeitung nicht-personenbezogener Daten, die nicht öffentlichen Sicherheitserfordernissen genügen, von den Mitgliedstaaten gestrichen werden. Zur besseren Datenportabilität will die EU-Kommission die Erstellung und Einhaltung von Codes of Conducts auf europäischer Ebene durch die Provider fördern, um künftig den Providerwechsel zu erleichtern.

Initiativen für moderne EU-Handelspolitik – KOM

Im Nachgang zur Rede zur Lage der Union von Kommissionspräsident Juncker hat die EU-Kommission am 14. September 2017 mehrere Initiativen für eine moderne EU-Handelspolitik veröffentlicht (s. Pressemitteilung und Mitteilung COM(2017) 492). Dass die EU-Kommission mit diesen Vorschlägen die Transparenz ihrer Handelspolitik stärken möchte, lässt sich unter anderem an der Einrichtung einer Beratungsgruppe für EU-Handelsabkommen erkennen. Außerdem wurden die Empfehlungen der EU-Kommission an den Rat für die Aufnahme von Verhandlungen über Handelsabkommen mit Australien COM(2017) 472 und Neuseeland COM(2017) 469 veröffentlicht. Mit der Empfehlung COM(2017) 493 soll die EU-Kommission zudem vom Rat für die Aufnahme von Verhandlungen über die Gründung eines multilateralen Gerichtshofs für die Regelung von Investitionsstreitigkeiten ermächtigt werden (s. bereits EiÜ 09/17; 01/17). Dadurch sollen Investitionsstreitigkeiten transparenter, kohärenter und fairer gelöst werden können. Mit einem weiteren Vorschlag COM(2017) 481 sollen ausländische Direktinvestitionen durch die Mitgliedstaaten zur Wahrung der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung überprüft werden können.

EU-Sonderausschuss zur Terrorismusbekämpfung - EP

Nach dem Beschluss des Europäischen Parlaments vom 6. Juli 2017 über die Einsetzung eines Sonderausschusses zur Terrorismusbekämpfung (s. Studie) hat das Europäische Parlament am 12. September 2017 die Liste ihrer 30 ordentlichen Mitglieder des Sonderausschusses angenommen. Die Mitglieder wählten in der ersten Sitzung des Sonderausschusses die französische EU-Abgeordnete Nathalie Griesbeck (ALDE) zur Vorsitzenden sowie Elena Valenciano (S&D), Judith Sargentini (Greens/EFA), Jeroen Leaners (EPP) und Geoffrey Van Orden (ECR) zu den stellvertretenden Vorsitzenden. Der Sonderausschuss wird sich u.a. mit der Ermittlung und Analyse der möglichen Fehler und Versäumnisse im Rahmen der jüngsten Terroranschläge in den verschiedenen Mitgliedstaaten, der justiziellen Zusammenarbeit bei der Terrorbekämpfung sowie dem Austausch von gerichtlichen, strafverfolgungsbehördlichen und nachrichtendienstlichen Informationen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Außengrenzmanagement beschäftigen.

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