Europa im Überblick, 32/16

BERICHT ÜBER DIE WIRKSAMKEIT DER JUSTIZSYSTEME – EUROPARAT

60 Euro pro Jahr investieren Europaratsstaaten pro Einwohner durchschnittlich in das Funktionieren ihrer Justizsysteme – und es sind nicht immer die wohlhabenden Staaten, die am meisten ausgeben. Gleichzeitig werden Steuerzahler sowie Nutzer des Systems über Gerichtsgebühren immer stärker an den Kosten beteiligt. Allein die Gerichtsgebühren finanzieren in zahlreichen Staaten über 20% des Budgets der Gerichte. Dies sind einige der Erkenntnisse aus dem am 7. Oktober 2016 vorgestellten sechsten Bericht der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz des Europarats (CEPEJ, zum 5. Bericht s. EiÜ 33/14). In dem Bericht werden die Gerichtssysteme von 45 europäischen Ländern und Israel qualitativ und quantitativ verglichen. Die Studie ist nicht als Ranking gedacht, sondern soll den einzelnen Staaten Schwächen sowie Lösungsansätze zur Verbesserung des jeweiligen Gerichtssystems aufzeigen. Ein weiteres Ergebnis ist, dass – wie auch im Vorjahr – die Staaten mehr Geld für Prozesskostenhilfe ausgeben, u.a. auch für Mediationen und Vollstreckungsverfahren. Für Gerichte stellt der Bericht eine Senkung der Anzahl von Gerichten bei zugleich immer größerer thematischer Spezialisierung fest. Außerdem habe der Einsatz von Informationstechnologie zur Effizienz- und Qualitätssteigerung von Justizsystemen geführt. Der Bericht wird begleitet durch einen weiteren umfassenden thematischen Bericht zum Gebrauch elektronischer Maßnahmen im Rechtsverkehr .

RICHTLINIE ZUR PROZESSKOSTENHILFE ANGENOMMEN – RAT

Nachdem das Plenum des Europäischen Parlaments den Kompromiss zur Richtlinie zur Prozesskostenhilfe in Strafverfahren in der vergangenen Woche angenommen hat, hat nunmehr auch der Rat am 13. Oktober 2016 seine endgültige Billigung erklärt (s. Pressemitteilung des Rats). Nun steht die Veröffentlichung im Amtsblatt aus, mit der die 30-monatige Umsetzungsfrist beginnt.

ERSTER BERICHT ZUR EUROPÄISCHEN SICHERHEITSUNION – KOM

Die Europäische Kommission hat am 12. Oktober 2016 ihren ersten Bericht COM(2016) 670 über die Fortschritte auf dem Weg zu einer wirksamen und nachhaltigen Sicherheitsunion veröffentlicht (s. EiÜ 28/16). In dem Bericht legt die Kommission insbesondere die bislang unternommenen Schritte zur Terrorismusbekämpfung dar. Prioritär solle der sicherheitspolitische Regelungsrahmen zügig verbessert werden, weswegen die Kommission eine Einigung über die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung COM(2015) 625 – mit Fokus auf präventive Maßnahmen sowie verstärkte Investitionen in die Cybersicherheit – bis Ende des Jahres 2016 erzielen möchte. Als weitere Schwerpunktziele stellt die Kommission in dem Bericht einen besseren Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten (insbesondere durch Umsetzung der PNR-Richtlinie zur Speicherung von Fluggastdaten, s. auch EiÜ 15/16, 14/16, 42/15, 26/15) und ein verstärktes Sicherheitssystem an den EU-Außengrenzen heraus.

GERICHTSSTAND EINER WIDERKLAGE NACH BRÜSSEL I-VERORDNUNG – EuGH

Der EuGH hat am 12. Oktober 2016 entschieden, dass eine Widerklage, die auf die Rückerstattung eines fälschlich bezahlten Betrages aus ungerechtfertigter Bereicherung zielt, den Gerichtsstand des Art. 6 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 (Brüssel I-VO) anwendbar mache (C-185/15). Im konkreten Fall hatten der Widerkläger („Leasingnehmer“), ein slowenischer Staatsangehöriger, und die Widerbeklagte, eine Leasinggesellschaft mbH mit Sitz in Österreich, einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen, nachdem der Leasingnehmer zuvor durch ein slowenisches Gericht zur Zahlung der Leasingraten verurteilt worden war. Als der slowenische Oberste Gerichtshof diese Forderung für ungültig erklärte, legte der Leasingnehmer Widerklage zur Rückerstattung ein. Hiergegen wandte sich die Leasinggesellschaft mit dem Argument, slowenische Gerichte seien unzuständig. Die Forderung der Widerklage beruhe auf einer ungerechtfertigten Bereicherung, weshalb der Gerichtsstand für Verbrauchersachen des Leasingvertrages unanwendbar sei. Der EuGH entschied, es sei Sinn des Art. 6 Nr. 3 Brüssel I-VO, gegenseitige Ansprüche vor demselben Gericht zu klären. Die Rückerstattung des Geldbetrages stütze sich direkt auf den der Widerklage zu Grunde liegenden Leasingvertrag. Um überflüssige und mehrfache Verfahren zu vermeiden, sei eine „Widerklage“ i.S.d. Art. 6 Abs. 3 Brüssel I-VO auch dann gegeben, wenn sich der Anspruch selbst aus ungerechtfertigter Bereicherung ergebe.

AUSSCHUSS SIEHT ÄNDERUNGSBEDARF BEIM EUROPÄISCHEN MAHNVERFAHREN – EP

Am Donnerstag, den 13. Oktober 2016, hat der Rechtsausschuss (JURI) des Europäischen Parlamentes den Berichtsentwurf vom Berichterstatter Kostas Chrysogonos (GUE/NGL) über die Anwendung des Europäischen Mahnverfahrens 2016/2011(INI) mit großer Mehrheit angenommen (s. EiÜ 30/16). Grundsätzlich begrüße der Ausschuss die erfolgreiche Anwendung des Europäischen Mahnverfahrens, wie sie im entsprechenden Bericht der Kommission COM(2015)0495 dargelegt werde. Eine grundsätzliche Überarbeitung der betreffenden Verordnung (Verordnung Nr. 1896/2006) sei daher nicht indiziert, die Verbesserungsvorschläge der Kommission würden aber gestützt. Im Wesentlichen sei der Ausschuss der Auffassung, Anträge sollten künftig auch elektronisch und in verschiedenen Sprachen eingereicht werden können. Wichtig sei zudem eine spezielle Regelung betreffend Zinsen auf die geltend zu machende Forderung. Eine solche fehle bislang. Sofern eine zukünftige Überarbeitung der Verordnung angestrebt werde, sollte darüber nachgedacht werden, einige der bestehenden Beschränkungen zu streichen und die Bestimmungen zur Überprüfung eines Europäischen Zahlungsbefehls zu revidieren. Die erste Lesung im Plenum ist für den 1. Dezember 2016 geplant.

STELLUNGNAHME ZUR DUBLIN IV- VERORDNUNG – DAV

Der DAV hat sich mit seiner Stellungnahme Nr. 67/2016 zum Vorschlag COM(2016) 270 der Europäischen Kommission zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-IV-VO, s. EiÜ 17/16) geäußert. Er bringt darin seine Bedenken zum Ausdruck, ob durch den Vorschlag die Defizite des Dublin-Verfahrens und des europäischen Asylsystems tatsächlich behoben werden können. U.a. wird die Regelung kritisch gesehen, nach der – sollten keine vorrangigen Kriterien erfüllt sein – ausnahmslos und ohne zeitliche Beschränkung der Staat der ersten „irregulären“ Einreise zum für die Durchführung des Verfahrens zuständigen Staat bestimmt wird. Zudem steht die geplante Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeit in Art. 28 des Vorschlags, wonach eine  Entscheidungsfrist von 15 Tagen eingeführt werde, im Widerspruch zu den Entscheidungen des EuGH zur Reichweite des Rechtsschutzes gegen Dublin-Entscheidungen. Darüber hinaus wird kritisiert, dass nun auch für Minderjährige, entgegen der Rechtsprechung des EuGH, bei Fehlen familiärer Bindungen grundsätzlich der Staat der ersten „irregulären“ Einreise zuständig sein soll.

OPFERRECHTERICHTLINIE ERFORDERT ENTSCHÄDIGUNG ALLER OPFER VORSÄTZLICHER GEWALTTATEN – EuGH

In diesem Sinne entschied der EuGH am 11. Oktober 2016 im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens der Kommission gegen Italien (C-601/14). Damit gibt er der Europäischen Kommission Recht, die argumentiert hatte, Italien habe dadurch gegen Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/80/EG (Opferrechte-RL) verstoßen, dass das italienische Recht keine allgemeine Regelung für die Entschädigung von Opfern vorsätzlicher Gewalttaten beinhalte. Die Italienische Republik hatte hiergegen eingewandt, dass die Opferrechte-RL lediglich den Zugang von Unionsbürgern zu bestehenden Entschädigungsregelungen ermöglichen solle. Dem folgt der EuGH nicht: Art. 12 Abs. 2 der Opferrechte-RL sehe keine Beschränkung auf bestimmte Delikte, wie sie in Italien praktiziert werde, vor. Ziel sei es gerade, Opfern von Straftaten einen Anspruch auf eine „gerechte und angemessene Entschädigung“ zu geben sowie ihnen einen leichteren Zugang hierzu zu ermöglichen. Alle auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates vorsätzlich begangenen Straftaten müssten umfasst sein. Diese Interpretation des Art. 12 Abs. 2 Opferrechte-RL stützt der EuGH insbesondere darauf, dass Unionsbürger nur dann von der Freizügigkeit Gebrauch machten, wenn Leib und Leben in allen Mitgliedstaaten auf dieselbe Weise geschützt seien (so bereits C-186/87, Rn. 17).

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