Europa im Überblick, 32/2023

EiÜ 32/2023

DAV zu EuGH-Verfahren zum anwaltlichen Berufsgeheimnis – DAV

Das anwaltliche Berufsgeheimnis umfasst auch die gesellschaftsrechtliche Beratung. Der DAV betont in seiner Stellungnahme zum luxemburgischen EuGH-Vorabentscheidungsersuchen C-432/23 (vgl. bereits EiÜ 30/23) die Reichweite des Berufsgeheimnisses, die der EuGH zuletzt in Rs. C-694/20 bestätigt hatte (vgl. EiÜ 42/22). Weder Art. 47 Abs. 2 S. 2 noch die Rechtsprechung zu Art. 7 der Charta – und auch nicht die EGMR- Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK – unterscheidet zwischen verschiedenen Rechtsgebieten, in denen die Rechtsberatung stattfindet. Der DAV kommt außerdem zu dem Schluss, dass die DAC-Richtlinie 2011/16/EU zum Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden nichtig ist, da sie keinen konkreten und zwingenden Schutz des Berufsgeheimnisträgerschutzes enthält. Eingriffe in die anwaltliche Verschwiegenheit müssen gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta neben der Wahrung der Verhältnismäßigkeit "gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten." Art. 17 Abs. 4 der DAC-Richtlinie 2011/16/EU stellt es in das Ermessen der jeweiligen Mitgliedstaaten, ob sie den Berufsträgergeheimnisschutz bei der Übermittlung beachten. Damit werden in jeder Hinsicht die Anforderungen verfehlt, die speziell an den aus Art. 47 Abs. 2 S. 2 und Art. 7 der Charta resultierenden Schutz des anwaltlichen Beratungsgeheimnisses zu stellen sind.

EU-Richtlinie gegen Korruption wirft Bedenken auf – DAV

Der Deutsche Anwaltverein begrüßt in seiner Stellungnahme Nr. 56/2023 die Zielrichtung des Richtlinienentwurfs COM(2023) 234 der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Korruption. Allerdings betont der DAV die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität und warnt davor, dass der Vorschlag die Souveränität der Mitgliedstaaten in der Gestaltung ihres Strafrechts einschränken könnte. Besonders kritisiert der DAV die Begriffsbestimmungen von "öffentlichen Bediensteten" und "nationalen Beamten", da sie den Schutz von Amtsträgern weit über das bisher in Deutschland und der EU geltende Maß hinaus erweitern, sowie die fehlende Kohärenz mit der Richtlinie 2017/1371 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug. Der DAV bemängelt auch die Unklarheit und Unbestimmtheit der Pflichtverletzungen im Bereich der pflichtenbezogenen Tatbestände des Vorschlags. Hier wird beanstandet, dass Vorteile erfasst werden könnten, die als Gegenleistung für nahezu jede Pflichtverletzung, einschließlich Verletzungen arbeitsvertraglicher Pflichten, versprochen werden, und somit eine Ausdehnung von zivil- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen in den Bereich des Strafrechts erfolgt.

Vorratsdatenspeicherung bei Urheberrechtsverletzung erlaubt? – EuGH

Die Vorratsspeicherung und der Zugriff auf Identitätsdaten, die mit der verwendeten IP-Adresse verknüpft sind, sollen erlaubt sein, wenn diese Daten den einzigen Anhaltspunkt darstellen, um die Identität von Personen zu ermitteln, die ausschließlich im Internet Urheberrechtsverletzungen begangen haben. Dies erklärte der Generalanwalt am 28.09.2023 in seinen Schlussanträgen im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchen in der Rs. La Quadrature du Net (C-470/21). Nach Ansicht des Generalanwalts stehe Unionsrecht dem nicht entgegen, auch dann nicht, wenn keine vorherige Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle erfolge. IP-Adressen ermöglichten keine Feststellung der bürgerlichen Identität des Inhabers eines Internetzugangs und die Information über das fragliche Werk erlaubt keine Rückschlüsse auf das Privatleben der Personen. Dabei handle es sich um keine Abkehr von bisheriger Rechtsprechung, sondern eine Konkretisierung, die systematische Straflosigkeit der ausschließlich online begangenen Gesetzesverletzungen verhindere und den gegenüberstehenden Interessen hinreichend Rechnung trage. Damit konkretisiert der Generalanwalt die Ausnahme des mehrfach durch den EuGH bestätigten Verbots der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung (vgl. La Quadrature du Net, verb. Rs. C-511/18, C-512/18 und C-520/18, sowie Spacenet, verb. C-793/19 und C-794/19, vgl. EiÜ 31/2022).

Keine Verurteilung wegen Nutzung eines Messengerdienstes – EGMR

Die große Kammer des EGMR erklärt in ihrer Entscheidung vom 26. September 2023 (Beschwerdenr. 15669/20) die systematische Verurteilung von Nutzern des verschlüsselten Messengerdienstes ByLock durch türkische Gerichte wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten, terroristischen Vereinigung für unzulässig. Dem Beschwerdeführer war die Mitgliedschaft in der FETÖ/PDY-Partei vorgeworfen worden (bekannt als „Gülen-Bewegung“), allein aufgrund der angeblichen Nutzung des verschlüsselten Messaging-Dienstes ByLock. Die Verurteilung wurde bis zum Verfassungsgericht bestätigt, obwohl der Beschwerdeführer niemals Zugang zu den angeblich vorhandenen Beweisen erhielt. Der EGMR sieht in der Verurteilung einen Verstoß gegen Art. 7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) aufgrund unzureichender Beweislage und Nichtvorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der in Frage stehenden Straftat. Der unzureichende Zugang zu den erhobenen Beweisen habe die Verteidigung erschwert und stelle einen Verstoß gegen das in Art. 6 EMRK verankerte Recht auf ein faires Verfahren dar. Der EGMR verlangt ein Umdenken der türkischen Strafverfolgungsbehörden, insbesondere im Umgang mit Bylock-Beweisen. Türkische Behörden haben rund 100.000 ByLock-Nutzer identifiziert, dem EGMR liegen bereits etwa 8.500 ähnliche Beschwerden vor.

Geistiges Eigentum: Vereinfachte Design-Eintragung

Die EU-Minister für Wettbewerbsfähigkeit haben am 25. September 2023 ihre Positionen zur Überarbeitung des Gesetzgebungspakets für Designs festgelegt (vgl. PM). Dies betrifft konkret den Richtlinienvorschlag über den rechtlichen Schutz von Designs und den Verordnungsvorschlag zur Änderung der Verordnung über Gemeinschaftsgeschmacksmuster (vgl. EiÜ 41/22; s. allgemeine Ausrichtung des Rates hier und hier). Die Aktualisierung der Vorschriften soll der Vereinfachung des Eintragungsverfahrens sowie der Anpassung an den technischen Fortschritt dienen. Zum Schutz der Verbraucher unterstützt der Rat die Einführung einer Reparaturklausel, wonach eingetragene Designs von Ersatzteilen, die ausschließlich für die Reparatur komplexer Erzeugnisse verwendet werden, nicht geschützt werden. Nach der Ratsposition werden die Anforderungen im Eintragungsverfahren bzgl. der Wiedergabe des Designs und Einreichung von Unterlagen gelockert. Die Definition des Erzeugnisses knüpft nunmehr an die physische oder nicht-physische Form eines Gegenstands an. Es werden weitere Eintragungshindernisse und Nichtigkeitsgründe aufgenommen. Die Pflicht zur Bereitstellung eines Verwaltungsverfahrens für die Erklärung der Nichtigkeit wird gestrichen, sodass die Mitgliedstaaten selbst entscheiden, ob sie ein behördliches Verfahren ermöglichen. Sobald das EU-Parlament seinen Standpunkt festlegt, können die Trilogverhandlungen beginnen.

Informationspflicht bei Zufriedenheitsgarantien – EuGH

Im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchen des BGH hat der EuGH am 28. September 2023 eine weitreichende Entscheidung in der Rs. C-133/22 zum Thema Zufriedenheitsgarantien gefällt. Inhaltlich ging es um die Möglichkeit der Anknüpfung einer Garantieerklärung an subjektive Umstände. Im Ausgangsverfahren haben die Parteien über den Inhalt einer Zufriedenheitsgarantie auf sogenannten „Hang-Tags“ an T-Shirts gestritten, die eine Rückgabemöglichkeit bei nicht vollständiger Zufriedenheit vorsahen. Fraglich war nun, ob in den Fällen, in denen ein Unternehmer ein Rückgaberecht von der Kundenzufriedenheit abhängig macht, die Anforderungen des Wettbewerbsrechts und die gesetzlichen Vorgaben des § 479 BGB ausgelöst werden. Der EuGH hat auf die Frage des BGH, ob eine Zufriedenheitsgarantie eine Garantie i.S.d. Art. 2 Nr.14 der Richtlinie 2011/83/EU und Art.2 Nr.12 der Richtlinie (EU) 2019/771 darstellt, entschieden, dass der Begriff „gewerbliche Garantie“ auch eine von einem Garantiegeber dem Verbraucher gegenüber eingegangene Verpflichtung umfasst, die sich auf in der Person des Verbrauchers liegenden Umstände , wie seine subjektive Zufriedenheit mit der erworbene Sache bezieht – ungeachtet einer objektiven Überprüfung dieser Umstände. Diese Entscheidung hat zur Folge, dass die Unternehmen, die eine Zufriedenheitsgarantie anbieten, die Verbraucher vorvertraglich über die Bedingungen der Zufriedenheitsgarantie gem. § 479 BGB informieren müssen.

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