EiÜ 33/2022
Neues Sanktionspaket: Rechtsdienstleistungen an Russland verboten – Rat
Der Rat hat am 6. Oktober 2022 eine Reihe weiterer Sanktionen gegen Russland verabschiedet, darunter erstmals auch ein Verbot der Erbringung von Rechtsdienstleistungen an Russland, vgl. Pressemitteilung und Verordnung 2022/1904 und Ratsbeschluss 2022/1909 im Amtsblatt. Es wird darin verboten, direkt oder indirekt Rechtsberatungsdienste an die Regierung Russlands oder in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu erbringen. Rechtsberatungsdienstleistungen umfassen dabei die Rechtsberatung für Mandanten in nichtstreitigen Angelegenheiten, nicht jedoch die Vertretung, Beratung, Ausarbeitung von Dokumenten oder Überprüfung von Dokumenten im Rahmen von Angelegenheiten oder Verfahren vor Verwaltungsbehörden, Gerichten oder in Schieds- oder Mediationsverfahren. Das Verbot gilt nicht für die Erbringung von Dienstleistungen, die für die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung in Gerichtsverfahren und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf erforderlich sind und zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat oder für die Anerkennung oder Vollstreckung eines Gerichtsurteils oder eines Schiedsspruchs aus einem Mitgliedstaat erforderlich sind. Das Verbot gilt auch nicht bei Rechtsberatung von in Russland niedergelassenen juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen die im Eigentum oder unter Kontrolle eines Unternehmens nach dem Recht eines EWR-Mitgliedstaats oder der Schweiz stehen. Das Verbot gilt auch nicht für die Erbringung von Dienstleistungen, die erforderlich sind, um vor dem 7. Oktober 2022 geschlossene Verträge, die mit diesem Artikel nicht vereinbar sind, oder für deren Erfüllung erforderliche akzessorische Verträge bis zum 8. Januar 2023 zu beenden.
Europarat zur Effizienz und Qualität nationaler Justizsysteme – Europarat
Die Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) des Europarats hat am 5. Oktober 2022 ihren zweijährlichen Evaluationsbericht zu den europäischen Justizsystemen veröffentlicht. Dieser basiert auf Daten der Mitgliedsstaaten des Europarats sowie Israel, Marokko und Kasachstan und vergleicht die Effizienz, Qualität und Wirksamkeit der nationalen Justizsysteme. Der Bericht enthält zahlreiche Tabellen und Grafiken zu den europäischen Trends beim Justizbudget, bei den Rechtsberufen und bei der Gerichtsorganisation und -digitalisierung. Der Bericht umfasst auch Länderberichte. In ihrem Bericht stellt die CEPEJ fest, dass Deutschland zwar zur Gruppe der reichsten Länder gemessen am Pro-Kopf-BIP gehört, die absoluten Gehälter der Richter:innen und Staatsanwält:innen aber auf dem mittleren Niveau des Europarats liegen. Unter den Rechtsanwält:innen in der EU beträgt der Anteil an Männern 57 %, welcher 2018 noch bei 59 % lag (vgl. EiÜ 36/20), so die Studie.
Grünes Licht für die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne – Rat
Der Rat für Wirtschaft und Finanzen hat die Richtlinie über angemessene Mindestlöhne am 4. Oktober 2022 endgültig angenommen (vgl. EiÜ 22/22; 35/21; 37/20). Letztere ist von den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen und hat die Schaffung angemessener Arbeits- und Lebensbedingungen für Arbeitnehmer:innen in der EU zum Ziel.
Endgültige Zustimmung zum Digital Services Act – Rat
Am 4. Oktober 2022 hat der Rat für Wirtschaft und Finanzen dem Gesetz über digitale Dienste – dem sogenannten Digital Services Act – seine Zustimmung erteilt (vgl. EiÜ 16/22; 3/22; 40/21; 18/21; 1/21). Damit wird die Verordnung 15 Monate nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU zur Anwendung kommen. Die EU-Kommission plant, im vierten Quartal 2022 eine Durchführungsverordnung für den Digital Services Act vorzulegen.
DSGVO: Immaterieller Schaden nicht bei bloßem Ärgernis ersatzfähig – EuGH
Für einen Schadensersatzanspruch nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sind materielle oder immaterielle Schäden ersatzfähig, allerdings erstreckt sich der Ersatz nicht auf ein bloßes Ärgernis, das der Betroffene infolge einer Verletzung der Vorschriften erlitten hat. So argumentierte der Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona am 6. Oktober 2022 in seinen Schlussanträgen zur Rs. C-300/21 zu den Vorlagefragen des Obersten Gerichtshof Österreichs. Vor diesem wurde Revision von einem Kläger eingelegt, nachdem dessen personenbezogene Daten ohne Einwilligung verarbeitet wurden, um dessen politische Affinität zu bestimmen. Die als beleidigend aufgefasste Parteiaffinität soll seiner Ansicht nach zu einem gem. Art. 82 DSGVO ersatzfähigen immateriellen Schaden in Form von Ärgernis und Bloßstellung geführt haben. Eine schadensunabhängige Entschädigung dehne die zivilrechtliche Haftung zu weit aus und wurde vom Generalanwalt daher abgelehnt. Hinsichtlich der Beurteilung des Ersatzes immaterieller Schäden seien vorübergehende, unbehagliche Gefühle nicht ausreichend. Es obliege den nationalen Gerichten, die Erheblichkeit subjektiver Beeinträchtigungen im Einzelfall zu bestimmen. Der EuGH ist an die Schlussanträge nicht gebunden, folgt ihnen jedoch in der Mehrzahl der Fälle. Das Urteil wird in wenigen Monaten folgen.
Suspendierung eines polnischen Richters verstößt gegen EMRK – EGMR
Am 6. Oktober 2022 entschied der EGMR in der Beschwerde Juszczyszyn v. Poland, dass die Suspendierung des Klägers von seinem Richteramt durch die polnische Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs gegen Artikel 6, 8 und 18 der EMRK verstößt. Der Beschwerdeführer hatte ein Berufungsverfahren verhandelt und überprüft, ob der erstinstanzliche Richter dem Erfordernis der Unabhängigkeit entsprach (vgl. EiÜ 6/2020). Laut der Disziplinarkammer stellte dies eine Beeinträchtigung der Würde des richterlichen Amtes und einen offensichtlich groben Gesetzesverstoß dar. In seiner Begründung hob der EGMR nun hervor, dass die Ernennung von Richtern für die neu eingerichtete Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs gegen Art. 6 der EMRK verstößt. Die Disziplinarkammer erfülle nicht die Anforderungen an ein "unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht", wodurch auch die Suspendierung im Sinne des Art. 8 EMRK unrechtmäßig sei. Außerdem sei das Verfahren der Disziplinarkammer mit den Grundprinzipien der richterlichen Unabhängigkeit und der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar und verstoße daher gegen Art. 18 EMRK.
Unzufriedenheit des Parlaments hinsichtlich des Umgangs mit Ungarn – EP
Im Verfahren bezüglich möglicher Kürzungen von EU-Geldern gegen Ungarn zeigten sich die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sowohl während des Meinungsaustausches am Montag im Budget-Ausschuss, als auch in der Aussprache am Dienstag im Plenum größtenteils enttäuscht über die restriktive Vorgehensweise der EU-Kommission. Auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 9 der Konditionalitätsverordnung 2020/2092 hatte die Kommission dem Rat am 18. September 2022 einen Entwurf für einen Durchführungsbeschluss mit 17 Maßnahmen gegen Ungarn vorgelegt, um die finanziellen Interessen der EU vor einer Beeinträchtigung des Haushalts wegen Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit durch Ungarn zu schützen (vgl. EiÜ 09/22, 08/22). Aus Sicht der Fraktionen EVP, Grünen, S&D, Renew und GUE/NGL sei die Kommission ihrer Rolle als Hüterin der Verträge nicht nachgekommen. Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit seien nicht verhandelbar. Diesbezüglich sei ein strengerer Maßnahmenkatalog gegenüber Ungarn wünschenswert gewesen. Insbesondere im Hinblick auf die vergangenen Aussagen und tatsächlichen Handlungen des ungarischen Regierungschefs Victor Orbán sei zudem Vorsicht geboten, den erneuten Zusagen der ungarischen Regierung zu schnell Glauben zu schenken. Taten und Beweise seien das, wonach sich die Kommission richten solle. Die Abgeordneten der ECR- und ID-Fraktion betonten, in dem Verfahren gegen Ungarn handele es sich lediglich um eine politische Mission gegen konservative Regierungen. Die ungarische Regierung hat bis zum 19. November 2022 Zeit, vorgenommene Maßnahmen an die EU-Kommission weiterzuleiten.
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