Europa im Überblick, 33/2023

EiÜ 33/2023

Weiterer Schritt zu einem restriktiven Europäischen Asylrecht – Rat

Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten der EU haben am 4. Oktober 2023 eine weitere Einigung zu der umstrittenen Reform des Europäischen Asylrechts erzielt, abrufbar hier (in Englisch). Dabei handelt es sich um die „Verordnung zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl“. Die Verordnung sieht zugunsten der Mitgliedstaaten in diesen Krisensituationen vor, dass diese von den anderen im Asyl- und Migrationspaket enthaltenen Verordnungen abweichen können, siehe zu der Reform (Europäisches Asyl- und Migrationspaket) bereits EiÜ 22/23; 15/23. Das beinhaltet etwa die flexiblere und weitreichendere Anwendung der Grenzverfahren nach der ebenfalls in Verhandlung befindlichen Asylverfahrensverordnung. Auch Fälle der „Instrumentalisierung“ von Migrant:innen sollen nach der Position des Rates nunmehr durch die Verordnung geregelt sein. Das EU-Parlament lehnt die Ausweitung der Grenzverfahren hingegen ab, vgl. den Bericht des EU-Parlaments. Auch der DAV hatte bereits in seiner Stellungnahme 8/21 die Ausweitung der Grenzverfahren und die Reduktion der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen kritisiert. Mit der Annahme dieser Einigung stehen die Trilogverhandlungen mit dem EU-Parlament gleichwohl noch bevor.

Istanbul Konvention in der EU in Kraft getreten – Rat

Nach einer über sechs Jahre andauernden Beitrittsprozedur aufgrund Blockaden durch einzelne Staaten (vgl. zuletzt EiÜ 19/23,7/23) ist am 1. Oktober 2023 das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt (Istanbul-Konvention) für die Europäische Union in Kraft getreten, vgl. PM. Damit verpflichtet sich die EU, auf allen staatlichen Ebenen alles dafür zu tun, dass Gewalt gegen Frauen bekämpft wird sowie Betroffenen Schutz und Unterstützung geboten wird. Die 81 Artikel der Istanbul-Konvention enthalten umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, Opferschutz, sowie Sanktionierung von gewalttätigen Personen, aber auch andere Maßnahmen zur Datenerhebung, Sensibilisierung und rechtliche Maßnahmen zur Kriminalisierung von Gewalt gegen Frauen (vgl. EiÜ 21/23). Ferner legt die Konvention einen spezifischen Monitoring-Mechanismus (GREVIO) fest, um die wirksame Umsetzung ihrer Bestimmungen zu gewährleisten. Die Europäische Union ist die 38. Vertragspartei des Übereinkommens, welches das erste internationale Abkommen und rechtsverbindliche Instrument ist, das Gewalt gegen Frauen definiert und internationale Mindeststandards zur Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt festlegt. In Deutschland gilt die Istanbul-Konvention bereits seit dem 1.Februar 2018.

Parlament bezieht erste Position zur Anti-Korruptionsrichtlinie – EP

Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments (LIBE) hat seinen Berichtsentwurf zum Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Korruption (COM(2023) 234) vorgelegt. Darin werden einzelne Punkte der DAV-Stellungnahme Nr. 56/2023, (siehe auch EiÜ 32/2023) aufgegriffen, etwa zur notwendigen Kohärenz mit der Richtlinie 2017/1371 zur strafrechtlichen Bekämpfung von gegen finanzielle Interessen der Union gerichteten Betrug. Das EU-Parlament sieht die Erhöhung einiger Mindesthöchststrafen vor, außerdem Regelungen zum Umgang mit strafausschließender Immunität und zur Täteridentifizierung hinter juristischen Personen. Zur Korruptionsprävention sollen etwa Schnittstellen zwischen öffentlichem und privatem Sektor, mögliche Interessenskonflikte und ungeklärte Vermögenswerte von Amtsträgern transparenter werden. Lobbying-Aktivitäten sowie Partei- und Wahlkampffinanzierung sollen stärker reguliert werden. Dazu sollen Antikorruptionsorganisationen ein Überprüfungsrecht für staatsanwaltliche Entscheidungen über die Einleitung oder Nichteinleitung von Ermittlungen einräumt werden. Die Frist für Änderungsanträge seitens der anderen Ausschussmitglieder ist der 12. Oktober 2023.

Menschenhandel effektiver bekämpfen: Berichtsannahme – EP

Die Abgeordneten des EU-Parlaments fordern einen wirksameren Schutz für Opfer von Menschenhandel. Entsprechend haben die Ausschüsse für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter (FEMM) am 5. Oktober 2023 den Berichtsentwurf zum Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels mit Änderungen angenommen. Aufgrund neuer Formen der Ausbeutung und des zunehmenden Technologie-Einsatzes ist die Anpassung des Rechtsrahmens notwendig (vgl. EiÜ 13/21; 5/21). Nach dem Bericht soll der Anwendungsbereich der Richtlinie daher um die reproduktive Ausbeutung, Ausbeutung von Kindern in Heimen sowie die Rekrutierung von Kindern für kriminelle Aktivitäten erweitert werden. Die Inanspruchnahme von Diensten, die durch Opfer von Menschenhandel erbracht werden, wird unter Strafe gestellt, soweit es sich um sexuelle Ausbeutung handelt oder Kenntnis bzw. Kennenmüssen von der Ausbeutungssituation vorliegt. Gegen juristische Personen kann die Rückzahlung zugewendeter Subventionen als Sanktion verhängt werden. Gegenüber den Opfern von Straftaten eingeleitete Verfahren sollen eingestellt und Strafen aufgehoben werden, insbesondere wenn sie zu illegalen Grenzübertritten gezwungen wurden.

Webinar zu SLAPP- Klagen – CCBE

Der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) und die Stiftung der Europäischen Anwaltschaften (ELF) veranstalten am 25. Oktober 2023, von 09:00 bis 11:00 Uhr ein Webinar zu „SLAPP-Klagen“ mit dem Titel „SLAPPs and Lawyers – What lawyers need to know?“. Die Anmeldung ist bis zum 24. Oktober 2023 unter diesem Link möglich. SLAPP-Klagen (strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung) beschreibt das Phänomen, dass unliebsame Akteure, das heißt vor allem Journalist:innen und Menschenrechtsverteidiger, durch Klagehäufungen und hohe Schadenersatzforderungen von der Teilhabe am öffentlichen Diskurs abgehalten werden sollen. Dem Phänomen soll unter anderem durch eine derzeit auf EU-Ebene verhandelte Richtlinie entgegengewirkt werden, vgl. zuletzt EiÜ 27/23 22/23; 11/23.

Nachbesserungsbedarf bei öffentlichen Online-Diensten in Deutschland – KOM

In Deutschland muss die Digitalisierung bei öffentlichen Dienstleistungen aufgrund bestehender Lücken beschleunigt werden. Dies geht aus dem Länderbericht hervor, der neben dem Bericht über den Stand der digitalen Dekade am 27. September 2023 von der EU-Kommission veröffentlicht wurde. In diesen jährlichen Berichten (in Englisch) werden die Fortschritte der EU bzw. einzelnen Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung der Ziele des zum Jahresanfang in Kraft getretenen Politikprogramms 2030 für die digitale Dekade mithilfe des Indexes für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) bewertet. Digitale Kompetenzen, digitale Infrastrukturen, Digitalisierung der Unternehmen sowie Digitalisierung öffentlicher Dienste bilden dabei die Hauptsäulen. Horizontale und länderspezifische Empfehlungen sind ebenfalls enthalten. So wird Deutschland empfohlen, die Interoperabilität und Verfügbarkeit von öffentlichen Online-Diensten zu verbessern und die Verwaltungszusammenarbeit zu stärken. Hindernisse bei der Einführung der eID und der elektronischen Patientenakte sollen behoben werden. Ferner soll wegen Defiziten bei digitalen Grundkenntnissen in der Bevölkerung der Fokus auf Förderinitiativen und Umschulungen gelegt werden. Bis zum 9. Oktober 2023 hat jeder Mitgliedstaat der Kommission einen nationalen Fahrplan vorzulegen (s. bereits die deutsche Digitalstrategie).

Klimaschutzklage gegen 33 Staaten – EGMR

Am 27. September 2023 hat vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eine mündliche Verhandlung (abrufbar hier) im Fall Duarte u.a. gegen Portugal und 32 weitere Staaten stattgefunden. In dem Fall (Beschwerde-Nr. 39371/20) werden insgesamt 33 Staaten verklagt, da diese keine hinreichenden Schutzmaßnahmen in Verbindung mit den aus dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 ergebenden Verpflichtungen ergriffen haben. Die Antragsteller:innen machen unter anderem ihr Recht auf Leben (Art. 2), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8) sowie das Verbot von Diskriminierung (Art. 14) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geltend. Letzteres, da ihre (junge) Generation besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen ist und mit besonders starken Einschränkungen der anderen in der Konvention garantierten Rechte im Vergleich zu älteren Generationen rechnen müssten. Die beklagten Staaten wendeten gegen die Klage u.a. die mangelnde Erschöpfung des nationalen Rechtswegs ein.

Kein Widerrufsrecht nach automatischer Vertragsverlängerung – EuGH

Steht bei der automatischen Umwandlung eines 30-tätigen Gratis-Testabo in ein kostenpflichtiges Abonnement Verbraucher:innen ein Widerrufsrecht zu, wenn sie den Vertrag nicht innerhalb der 30 Tage kündigen? Diese Frage stellte der österreichische Oberste Gerichtshof (OHG) im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und hat hierzu um Auslegung der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher ersucht. Der EuGH antwortete in seinem Urteil vom 5. Oktober 2023 (C-565/22) wenig überraschend, dass das Widerrufsrecht eines Fernabsatzvertrags den Verbraucher:innen bei einem Abonnementvertrag nur einmal zustehe. Dies ist auch dann der Fall, wenn das Abonnement anfangs einen kostenlosen Zeitraum vorsieht und sich mangels Kündigung verlängert und kostenpflichtig wird. Ein „neuerliches“ Widerrufsrecht kommt den Verbraucher:innen nur dann zu, wenn sie bei Abschluss des Abonnements nicht den Formvorschriften der Richtlinie entsprechend belehrt wurden. Erforderlich sei, so betonte der EuGH im Rahmen dieser Entscheidung, dass entsprechend Art. 8 der Richtlinie 2011/83 die Verbraucher:innen klar, verständlich und ausdrücklich darüber informiert werden müssen, dass sich das Abonnement nach einem kostenlosen Anfangszeitraum in ein kostenpflichtiges Abonnement umwandelt.

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